Putschversuche gegen Berliner Piraten-Chef Klarmachen zum Feuern!

Hartmut Semken: Berliner Landeschef der Piraten unter Beschuss
Foto: dapdDie Krisensitzung fand in der Privatwohnung eines Vorstandsmitglieds statt, weder die Presse noch andere Piraten durften teilnehmen. Der Berliner Landeschef der Piratenpartei, Hartmut Semken, stellte gleich zu Beginn die Vertrauensfrage: Wenn man ihn loswerden wolle, solle man das nur sagen. Doch die vier Vorstandskollegen beließen es bei einer Verwarnung, Semken durfte im Amt bleiben. "Der König ist nicht tot", meldete er dem SPIEGEL aus der Sitzung per E-Mail. "Und weigert sich weiterhin, zurückzutreten."
Das Vorstandstreffen am vergangenen Donnerstag war vorläufiger Höhepunkt eines anhaltenden Machtkampfs im Berliner Landesverband, der sich an wirren Aussagen Semkens zu Nationalsozialismus und Linksextremismus entzündet hatte.
Seitdem versuchen einige Piraten, ihren Vorstand zu demontieren und setzen gerade das Transparenzgebot der Partei als Waffe ein. Semkens Kontrahenten platzierten Initiativen bei Liquid Feedback, die Neuwahlen herbeiführen und dem Vorstand bis dahin verbieten sollen, sich ohne Rücksprache über die Partei zu äußern.
Fehlendes diplomatisches Gespür
Der Fall weist auf ein generelles Problem hin, das die gesamte Piratenpartei betrifft und durch die Mitgliederexplosion noch größer werden könnte: Die Piraten entscheiden ihre Personalien auf Parteitagen, die jedes Basismitglied besuchen kann. Diese Offenheit kann unerfahrene Außenseiter ins Amt bringen, die das Machtgefüge in der Partei nicht abbilden. Das zu kurz gekommene Lager lässt anschließend keine Gelegenheit aus, die unliebsamen Spitzenkräfte zu schwächen.
Bei Semken geht das schon eine Weile so, er gibt auch reichlich Anlass. Schon sein Amtsantritt Ende Februar geriet zum Fehlstart. Einige Mitglieder der Fraktion im Berliner Abgeordnetenhaus machten von Beginn an deutlich, dass sie lieber die damalige Schatzmeisterin Katja Dathe als Landeschefin gesehen hätten - doch Dathe unterlag gegen Semken, der sich bei der Befragung der Kandidaten, dem sogenannten Kandidatengrillen, besser verkaufen konnte.
Semken, 45, stellte noch am Tag der Wahl sein fehlendes diplomatisches Gespür unter Beweis. Öffentlich erklärte er, von der Arbeit der Fraktion "nicht begeistert" zu sein. Der Abgeordnete Christopher Lauer konterte via Twitter: "Der administrierende Vorsitzende kackt der Fraktion erst mal schön auf den Teppich".
Maximale Kritik, maximale Wirkung
Mitte April lieferte Semken seinen Gegnern weiteren Stoff. In seinem privaten Blog sprach er sich gegen den Ausschluss rechtsextremer Parteimitglieder aus. Es seien vielmehr "die 'wir müssen uns abgrenzen' immer-wieder-Herunterbeter", die das Naziproblem der Piraten darstellten, schrieb Semken. Die letzte Partei, die "für alles einen Sündenbock" gehabt habe, sei die NSDAP gewesen.
Auch wenn sich Semken später von seinen Aussagen distanzierte, war der exzentrische Informatiker aus Sicht vieler Kritiker nicht mehr tragbar. Mehrere Berliner Piraten, darunter der Abgeordnete Oliver Höfinghoff, riefen den Landeschef in einem offenen Brief zum Rücktritt auf. Semken, zürnten die Piraten, sei "komplett überfordert". Dass man nicht zum Telefonhörer gegriffen hätte, sei klares Kalkül gewesen, räumt einer der Initiatoren ein. Maximal offene Kritik gleich maximale Wirkung, so die Taktik.
Auch die Abstimmungssoftware Liquid Feedback wurde gezielt eingesetzt, um Semken wieder loszuwerden. In einer nur wenige Tage dauernden Schnellabstimmung entschieden sich die Piraten Anfang Mai für eine Neuwahl des Vorstands im September. Nur 81 von etwa 3000 Landesmitgliedern stimmten dafür, trotzdem will der Vorstand das Ergebnis akzeptieren und sich im Herbst der Wahl stellen.
Allzweckwaffe Liquid Feedback
Anfang Mai griff Semken erneut daneben, als er mit linksextremen Ideen sympathisierte. Nun versuchten es seine Kontrahenten mit einem Redeverbot. Wieder wurde dafür Liquid Feedback zur Hilfe genommen. Gleich zwei Initiativen fordern den Vorstand auf, sich nicht mehr im Namen der Partei zu äußern. In einem Vorhaben heißt es: "Wenn man nicht in der Lage ist, etwas Vernünftiges nach außen zu kommunizieren, dann kommuniziert man am besten gar nichts." Derzeit sieht es so aus, als würde eine der beiden noch laufenden Initiativen angenommen. Semken bezeichnet sie als "Maulkorb, der mich ruhigstellen soll".
Eigentlich soll die Basis Liquid Feedback nutzen, um ihren Vorständen und Fraktionen eine inhaltliche Richtung vorzugeben. Doch der Fall Semken belegt, wie die Software auch als effektives Instrument im Machtkampf eingesetzt werden kann.
Für den Landesvorsitzenden wird die Lage immer ungemütlicher. Nach Informationen des SPIEGEL hat ein Mitglied beim Bundesvorstand einen Parteiausschluss Semkens angeregt. Begründung: "Als Linksextremist hat er in unserer Partei nichts zu suchen." Semken weist die Vorwürfe zurück. Doch der neue Bundesvorstand um seinen Vorsitzenden Bernd Schlömer hat den Landesvorstand um eine Stellungnahme gebeten und prüft den Fall.
Auch die Fraktion im Abgeordnetenhaus lässt Semken keine Ruhe: "Es gibt im Vorstand drei Leute, die die ganze Last tragen, dazu gehören weder der Vorsitzende noch die stellvertretende Vorsitzende. Das sind die Signale, die ich höre", sagt Pavel Mayer. Ein Kollege lästert über Semken: "Der hat sich schon längst aus dem Chefsessel katapultiert." Schließlich sei Semken nicht als Alleingänger angetreten, sondern mit dem Versprechen, sich als Verwalter des Landesverbands in den Dienst der Partei zu stellen. "Dieses Versprechen hat er mehrfach gebrochen."