Hass im Netz Noch immer fehlt der Wille

Ein Kommentar von Eva Horn
Das Problem der Hassrede im Netz ist seit Jahren bekannt. Doch Betroffene fühlen sich im Stich gelassen. Dafür gibt es Gründe.
Am 29.09.2018 ziehen Teilnehmende einer Demonstration gegen Hass im Netz durch Hamburg

Am 29.09.2018 ziehen Teilnehmende einer Demonstration gegen Hass im Netz durch Hamburg

Foto: Bodo Marks / dpa

Während ich diesen Text schreibe, denke ich darüber nach, ob er wirklich eine gute Idee ist. Werde ich mal wieder Mails bekommen, in denen steht, ich müsse nur so richtig »durchgef*ckt« werden oder Schlimmeres – oder etwas harmlosere, in denen der Absender laut überlegt, dass man ja eh nicht so genau wisse, ob ich ein Mann oder eine Frau sei?

Die Beleidigungen und Drohungen sind immer dieselben, sie sind austauschbar. Und dennoch lassen sie sich nicht ausblenden. Es hat Folgen, für seine Arbeit oder die Äußerung einer Meinung bedroht zu werden. Gegen viele Zuschriften gibt es mittlerweile Filter oder andere technische Tools, aber eines können sie nicht wegfiltern: Wie allgegenwärtig der Hass mittlerweile ist, vor allem, aber längst nicht nur, für Frauen.

Ich kenne keine Frau, die sich in den sozialen Netzwerken zu Wort meldet, die noch nie beleidigt oder bedroht oder mit einem ungewollten Penisbild bedacht wurde. Einige Hassmailer brauchen gar keinen inhaltlichen Anlass, es scheint für sie schon zu reichen, dass man überhaupt existiert.

Seit Jahren weisen Feministinnen darauf hin, wie eng Frauenhass und Rechtsextremismus miteinander verwoben sind. Doch die Behörden unterschätzen das Problem immer noch . Und das ist ein Skandal. Denn es ist alles andere als neu. Bereits 2013 machten Feministinnen nach der #Aufschrei-Kampagne, die die alltägliche sexualisierte Gewalt beschrieb, der Frauen ausgesetzt sind, Erfahrungen mit digitaler Hassrede – und seitdem ist eigentlich alles nur noch schlimmer geworden.

Mittlerweile trifft es nicht mehr nur Aktivistinnen oder Politikerinnen, sondern auch Wissenschaftler, Professorinnen  oder Virologen. Und das, obwohl es mittlerweile Gesetze gegen Hass und Hetze gibt. Genutzt haben sie wenig, es hapert an vielen Stellen – auch an der Umsetzung.

Das liegt sicher auch daran, dass Misogynie, Rassismus, Frauenhass und Hass auf queere Menschen tief in unserer Gesellschaft verwurzelt sind – und Betroffene deshalb früh lernen, sich nicht so anzustellen. Viele denken immer noch, dass sie mindestens ein bisschen selbst schuld sind. Es liegt aber auch daran, dass Strafverfolgungsbehörden Beleidigungen und Drohungen immer noch nicht wirklich ernst nehmen. Es liegt an den sozialen Netzwerken, die des Hasses und der Verschwörungstheorien nicht Herr werden (oder nicht Herr werden wollen). Und wie sollen Betroffene Ermittlungsbehörden vertrauen, die immer mal wieder selbst unter Verdacht stehen, ihren Teil zu Hass und Hetze beizutragen?

Langsame oder überforderte Staatsanwaltschaften, fehlende Koordination der verschiedenen Ebenen, Polizist*innen, die aller Schulungen zum Trotz immer noch nicht adäquat auf eine Anzeige reagieren, Politiker*innen, die den Hass anheizen, Meinungsmacher*innen, die ihn multiplizieren, all das sind Faktoren, die Hass und Hetze begünstigen. Die wenigsten Betroffenen haben ein Büro, das ihnen dabei hilft, Postings zur Anzeige zu bringen. Und selbst wenn sie eines haben, eine Garantie dafür, dass Hass auch als solcher erkannt und bestraft wird, gibt es nicht.

Es fehlt auch nach Jahren an so vielem: An dem Bewusstsein über Dynamiken im Netz, am Wissen über Desinformationstaktiken, an Fachpersonal – und am Willen, Hass und Hetze klar zu benennen und zu ächten.

Mit Hass lässt sich gut Aufmerksamkeit generieren – aber nur dann, wenn alle mitspielen. Es muss allen klar sein: Der Ball liegt bei jeder und bei jedem von uns. Wer andere Leute digital beleidigt und bedroht, ist Teil des Problems. Aber auch, wer jemanden deckt oder einen Vergewaltigungswunsch als Dummejungenstreich abtut, macht sich mitschuldig. Und es ist wichtig zu verstehen: Hass ist eben kein Problem des Internets, Äußerungen online haben Konsequenzen offline, der Hass frisst sich in unser Denken, in unsere Gesellschaft, er manifestiert sich in physischer Gewalt. Deswegen gilt: Betroffene von Hass und Hetze verdienen Solidarität – sie sind eben nicht »selbst schuld« an ihrem Schicksal.

Es reicht nicht, mit dem Finger auf den Gesetzgeber oder die sozialen Netzwerke zu zeigen und darauf zu warten, dass jemand eine einfache Lösung für ein komplexes Problem präsentiert. Viel wichtiger ist es, selbst aktiv zu werden, Hatespeech klar zu benennen, den Hass nicht weiterzuverbreiten und sachlich dagegen anzuschreiben.

Es liegt an uns allen, mithilfe von digitaler Zivilcourage für eine Atmosphäre zu sorgen, in der sich alle trauen können, ihre Meinung offen zu artikulieren, ohne Angst zu haben, deswegen bedroht zu werden. Es ist höchste Zeit, denn viele Stimmen im Netz sind mittlerweile vorsichtiger geworden – oder bereits verstummt.

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