Abzug aus Afghanistan Bundeswehr-Helfer fürchten um ihr Leben

Bundeswehr nahe Baghlan in Nordafghanistan: Zwei deutsche Soldaten mit einem Kommandanten der afghanischen Ortspolizei
Foto:FABRIZIO BENSCH/ REUTERS
Berlin/Masar-i-Scharif - Wenn Mohammed Schah* in der Moschee in Masar-i-Scharif betet, geht es immer auch um das Jahr 2014. "Jeden Tag bitte ich Allah darum, dass die internationalen Truppen nicht in zwei Jahren aus meinem Land abziehen mögen", sagt der 27-jährige Afghane. "Denn dann verliere ich nicht nur meinen Job, sondern muss auch um mein Leben und das meiner Familie fürchten."
Es ist später Nachmittag in Nordafghanistan, Schah kommt gerade von seiner Schicht: Wie Hunderte andere Afghanen arbeitet der junge Mann seit rund sechs Jahren als Dolmetscher für die Bundeswehr im Camp Marmal, dem größten Feldlager der Deutschen. 700 Dollar pro Monat bekommt Schah für seine Hilfe bei der Kontaktaufnahme mit der Bevölkerung. Er verdient damit in etwa doppelt so viel wie ein afghanischer General.
Jeden Tag geht Schah mit raus auf Patrouille. Er mag die Bundeswehrsoldaten.
Es sind die Nachrichten im Abendfernsehen, die Schah in diesen Tagen Angst machen: Spätestens Ende 2014, das ist der Plan der in Afghanistan engagierten Nationen vor dem Nato-Gipfel in Chicago, sollen fast alle internationalen Soldaten vom Hindukusch abgezogen sein. Dann haben die afghanischen Sicherheitskräfte in ihrem Land die volle Verantwortung übernommen, hofft die Nato. "Übergabe in Verantwortung" nennt die Bundesregierung dieses Konzept gern.
Doch wenn es dazu kommt, müssen Schah und seine Kollegen um ihr Leben fürchten. "Die Taliban wissen genau, wer für die Nato arbeitet", sagt er, "sie drohen uns schon jetzt in ihren Schriften und per SMS". Ohne den Schutz der Ausländer fühlt sich Schah als Freiwild. "Wir gelten für die Taliban als Verräter, denn wir haben den Ausländern geholfen", sagt er. "Deswegen werden sie uns jagen und töten." Von den lokalen Sicherheitskräften erhofft er sich wenig. "Die werden vor den Taliban weglaufen", kündigt er an.
Allein im deutschen Regionalkommando Nord in Afghanistan sind zwischen 1600 und 3000 Afghanen, im Beamtendeutsch Ortskräfte genannt, als Dolmetscher, Fahrer und Arbeiter beschäftigt. Die meisten sind seit Jahren fest angestellt bei Bundeswehr, dem Auswärtigen Amt (AA) oder anderen deutschen Stellen wie bei den Polizeiausbildern oder bei Entwicklungshilfeprojekten.
Der vermeintliche Traumjob für jeden Afghanen, mit fester Bezahlung und einigen anderen Privilegien, entpuppt sich nun als tödliches Risiko. Seit Monaten hetzen die Taliban in ihren Propagandaschriften gegen alle Helfer der internationalen Truppen und rechtfertigen jeden Angriff auf sie. "Wenn die Ausländer erst mal weg sind, werden die Kollaborateure den Preis für ihren Verrat zahlen", kündigt Taliban-Sprecher Sabihullah Mudschahed an.
Wie man die Helfer nach dem deutschen Abzug schützen kann, beschäftigt nicht nur die Afghanen. "Wir können diejenigen, die uns unterstützt haben, nicht im Regen stehen lassen", sagte kürzlich ein Bundeswehrgeneral. "Die Frage ist nur, wie wir ihnen helfen können." Dass gerade Dolmetscher gefährdet sind, sei klar - schließlich würden diese außerhalb der Camps für jeden sichtbar als Helfer der Deutschen auftreten. Ausgestattet mit Schutzwesten und Helmen wirken sie fast wie ein Teil der Isaf-Truppe.
Taliban könnten öffentlich zur Jagd auf die "Verräter" blasen
Die Verantwortlichen bei der Bundeswehr und den deutschen Ministerien fürchten ein Horrorszenario nach dem Abzug: Taliban-Kommandeure könnten offen zur Hatz auf die einstigen Angestellten der Isaf-Truppen aufrufen, sie festsetzen und möglicherweise öffentlich hinrichten.
Die deutschen Ministerien, die in Afghanistan aktiv sind, suchen intensiv nach Lösungen. Seit Ende März - damals hatten sich die Staatssekretäre aus dem Wehrressort, dem Auswärtigen Amt, dem Innen- und Entwicklungshilfeministerium zu einer Krisensitzung getroffen - arbeitet das Innenressort an einem Hilfsplan für die gefährdeten Angestellten der Deutschen in Afghanistan.
Manche der Dolmetscher und Arbeiter würden zwar nur zu gern für sich und ihre Familien Visa bekommen und ein neues Leben in Deutschland beginnen. Die Bundesrepublik gilt in Afghanistan fast als eine Art Traumland, seit einigen Jahren steigt die Zahl der illegalen Einreisen von Afghanen rapide an. Meist versuchen die Ausreisewilligen durch Schlepper über Griechenland oder Italien illegal an ihr Ziel zu kommen.
Ob Deutschland jedoch Dutzende oder gar Hunderte ehemalige afghanische Mitarbeiter aufnehmen will, und wie man die wirklich gefährdeten Personen von Opportunisten unterscheidet, darüber wird in den Ministerien bereits heftig diskutiert. "Wir schließen keine Option aus", sagt ein Diplomat, "auch nicht die Ausreise von wirklich Gefährdeten nach Deutschland." Derzeit werde die Gefährdung von einzelnen Personen genau geprüft.
Dass der Andrang auf deutsche Visa möglicherweise groß wird, wissen die deutschen Planer aus Erfahrungen der USA. Seit Jahren bietet das State Department ein Programm für ehemalige Helfer der US-Streitkräfte in Afghanistan an, die Amerikaner vergeben jährlich rund 500 Visa für Ausreisewillige unter ihnen. Für das Programm gab es in den vergangenen Jahren ohnehin schon einen Riesenandrang. Die Aussicht auf einen Abzug der Ausländer dürfte noch mehr Anfragen bringen.
Die Bitten von Dolmetscher Schah sind dagegen ziemlich bescheiden. "Ich will das Land verlassen, aber nicht nach Deutschland", sagt er. Eine kleine Abfindung, vielleicht tausend Dollar, seien doch genug. "Wir würden dann nach Iran oder Pakistan ziehen, dort wären wir sicher." Ansprechen aber will er das heikle Thema bei seinen deutschen Arbeitgebern vorerst nicht. "Wir brauchen das Geld jeden Monat, das will ich nicht riskieren."
* Der Name des afghanischen Dolmetschers wurde auf seinen Wunsch hin geändert, da er Repressalien fürchtet.