Der Kanzler und das Volk Kohls heimliche Deutschenschelte

Kanzler Kohl 1989 in Dresden
Foto: PATRICK HERTZOG/ AFPEs zählt zu den Eigenheiten der bundesdeutschen Geschichte, dass die Kanzler immer wieder mit dem Volk unzufrieden waren. Schon Republikgründer und CDU-Patriarch Konrad Adenauer (1876 bis 1967) schimpfte einst, die Deutschen seien "entsetzlich dumm". Der Sozialdemokrat Helmut Schmidt (1918 bis 2015), ein Nachfolger Adenauers, attestierte ihnen die "Neigung zu Aufgeregtheit, Gefühlsüberschwang und Überheblichkeit". Immerhin bezog sich Schmidt in diese Beschreibung mit ein.
Nun ist ein Dokument aufgetaucht, demzufolge auch Kanzler Helmut Kohl (1930 bis 2017) über das Volk lästerte. Es handelt sich um den vertraulichen Vermerk eines Gesprächs mit einem US-amerikanischen Besucher aus dem März 1989, den das Institut für Zeitgeschichte in einer Dokumentensammlung jetzt veröffentlicht .
Demnach klagte der christdemokratische Regierungschef, die Deutschen müssten "Bescheidenheit lernen". Diese Tugend sei ihnen "nicht angeboren". Vorgänger Adenauer habe ihm einst gesagt, die Deutschen seien in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts Hochstapler gewesen. Nun müssten sie dagegen, so Kohl, "Tiefstapler" sein.
Wenige Monate vor dem Mauerfall missfiel dem Bonner Kanzler insbesondere die angebliche Neigung der Deutschen, "geliebt werden" zu wollen. Das sei nicht möglich, wenn man wirtschaftlich so erfolgreich sei. Die Deutschen sollten sich damit zufriedengeben, dass "sie den Respekt der anderen" hätten.