Staatsakt für Helmut Schmidt "Als wäre ein Freund gegangen"

Die Hamburger haben ihn wirklich geliebt. Wegen seiner hanseatischen Coolness. Wegen seiner Elblotsenmütze. Und weil er sich so sehr zu dieser Stadt bekannt hat. Und so stehen an diesem Montagmittag Tausende an den Straßen, auf denen der Sarg von Helmut Schmidt auf dem Weg vom Michel zum Friedhof Ohlsdorf vorbeigefahren wird.
Oder wie es der Pastor Alexander Röder zuvor ausgedrückt hat: "Als wäre ein guter Freund gegangen." So fühle sich der Tod Schmidts wohl für viele Hamburger an.
Röder hat in der Kirche St. Michaelis, die man in der Hansestadt nur Michel nennt, den religiösen Teil des Staatsakts übernommen. Denn natürlich verabschiedet man den fünften Kanzler der Republik mit den größten protokollarischen Möglichkeiten des Landes. Kaum ein Platz bleibt leer, fast 2000 Gäste sind beim Staatsakt da.
In den ersten Reihen sitzen - bis auf Helmut Kohl, Schmidts Nachfolger als Kanzler - so gut wie alle, die politisch Rang und Namen in Deutschland haben oder einmal hatten. Zu sehen ist beispielsweise das Ex-Kanzlerpaar Schröder neben dem Ex-Bundespräsidentenpaar Wulff. Oder einige Reihen weiter hinten der sozialdemokratische Ex-Kanzlerkandidat Peer Steinbrück neben dem Altliberalen Gerhart Baum. Zur Erinnerung: Schmidt war der letzte SPD-Kanzler einer Koalition mit der FDP.
Schmidt wurde immer größer
Aber das ist lange her. Und je länger das zurücklag, auch der am Ende tragische Verlust der Kanzlerschaft, desto größer wurde Schmidt. Irgendwann konnte man beinahe denken, er würde für immer da sein. Rauchend, Tabak schnupfend, den Deutschen die Welt erklärend. Aber dann ist Helmut Schmidt am 10. November mit 96 Jahren doch gestorben.
Helmut Schmidt hatte sich einiges zurechtgelegt für diesen Fall: Unter anderem wünschte er sich für den Staatsakt den Psalm 90, in dem es heißt: "Unser Leben währet siebzig Jahre, und wenn's hoch kommt, so sind's achtzig Jahre, und wenn's köstlich gewesen ist, so ist es Mühe und Arbeit gewesen; denn es fährt schnell dahin, als flögen wir davon." Schmidt hätte das in seinem eigenem, meist spöttisch-knappen Ton, vielleicht so formuliert: Es war jetzt wirklich genug.
Aber die Lücke ist schon groß, die Schmidt hinterlässt. Das beklagt im Michel nicht nur Hauptpastor Röder. Olaf Scholz, Parteifreund Schmidts und Erster Bürgermeister Hamburgs, sagt: "Wir haben einen Giganten verloren." Und selbst die nicht zum Überschwang neigende Bundeskanzlerin und CDU-Vorsitzende Angela Merkel nennt Schmidt eine "Instanz", die nun fehlen werde.
Scholz und Merkel halten die politischen Trauerreden, auch das hatte sich Schmidt gewünscht. Genau wie den dritten Redner an diesem Tag: seinen alten Freund Henry Kissinger. Der ist inzwischen auch schon 92, aber der frühere US-Außenminister hat es sich nicht nehmen lassen, nach Hamburg zu kommen.
Kissinger: "Helmut wird bei uns bleiben"
Kissinger wurde im fränkischen Fürth geboren, später musste die jüdische Familie in die USA fliehen, Kissingers Deutsch ist deshalb immer noch stark gefärbt vom weichen Dialekt seiner Heimatstadt. "Sechs Jahrzehnte habe ich Helmut gekannt", sagt er. So klingt das dann, wenn man sehr alt wird. Auch der gemeinsame Weggefährte und frühere französische Präsident Valéry Giscard d'Estaing, 89, ist beim Staatsakt dabei. Kissinger erzählt, wie er sich an Schmidts 90. Geburtstag gewünscht hatte, dieser möge ihn überleben. "Ich habe mich geirrt", sagt er. Die gute Nachricht: "Helmut wird bei uns bleiben."
Aber was wird von ihm bleiben?
Die Erinnerung an einen geradlinigen, klugen Politiker, zweifelsohne. An einen zutiefst gebildeten, neugierigen Menschen. An einen Kanzler, der klare Entscheidungen traf - ob während des RAF-Terrors oder später in der Aufrüstungsfrage. Mancher aus seiner Partei räsoniert ja dieser Tage darüber, wie der Regierungschef Schmidt wohl in der aktuellen Flüchtlingslage agieren würde und ob eine von ihm geführte Koalition weniger chaotisch daher käme.
Aber wird Schmidt wirklich als ein "Weltgewissen" in Erinnerung bleiben, als das ihn Kissinger würdigt? Der Mann, der die Friedensbewegung erst groß machte, der die aufkommenden Grünen und die ökologische Frage unterschätzte, der bis zuletzt in streng realpolitischen Rahmen dachte und beispielsweise beim Thema universale Menschenrechte eher schweigsam wurde?
Sein Freund Kissinger hat es sicher gut gemeint mit dieser Zuschreibung. Man soll ja auch nichts Schlechtes über die Toten sagen. Aber man sollte auch nicht übertreiben.
Übrigens störte Helmut Schmidt nichts so sehr wie Übertreibungen.
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In der Hamburger St. Michaelis-Kirche sind zahlreiche Vertreter aus Politik, Kultur und Gesellschaft bei einem Staatsakt zusammengekommen, um Abschied von Helmut Schmidt zu nehmen. Der Altbundeskanzler war am 10. November im Alter von 96 Jahren in Hamburg gestorben.
Der frühere US-Außenminister Henry Kissinger und Bundeskanzlerin Angela Merkel gehörten zu den rund 1800 Trauergästen.
"Helmut" sei nicht oft "in die Klemme des politisch Gebotenen und der öffentlichen Pflicht geraten", sagt Kissinger. "Er war eine Art Weltgewissen", sagte Kissinger über Schmidt.
Kissinger war ein langjähriger Freund Schmidts.
Merkel merkte an, dass der Abschied von Helmut Schmidt nicht unerwartet komme, aber trotzdem "außerordentlich schwer fällt". Helmut Schmidt werde "uns allen fehlen". Eine Instanz sei er gewesen, als scharfsinniger und kritischer Beobachter.
Würdiger Rahmen: "Der Tod des großen Staatsmannes Helmut Schmidt hat Millionen Menschen auf der Welt tief berührt", sagte Pastor Alexander Röder. Schmidt sei ein Vorbild an Geradlinigkeit, Redlichkeit, Klugheit, Kantigkeit und auch an Bodenständigkeit gewesen.
Einer der zahlreichen prominenten Gäste im Michel: Jean-Claude Juncker, Chef der EU-Kommission.
Schmidt war über Jahrzehnte eine der prägenden Figuren der SPD. Der aktuelle Parteivorsitzende und Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel beim Staatsakt.
Bundestagspräsident Norbert Lammert, Kanzlerin Merkel, Hamburgs Erster Bürgermeister Olaf Scholz, Kissinger: Wegen der prominenten Gäste gilt die höchste Sicherheitsstufe. Die Polizei hat mehrere Straßen voll gesperrt. Beamte tragen schusssichere Westen, Scharfschützen sind im Einsatz.
Zu den Gästen gehörten zudem Gerhard Schröder, der Schmidts Amtsnachfolger Helmut Kohl im Kanzleramt ablöste, sowie seine Frau Doris Schröder-Köpf.
Auch der frühere Bundespräsident Christian Wulff und seine Frau Bettina waren nach Hamburg gekommen.
Wulff war nicht der einzige frühere Bundespräsident bei der Trauerfeier. Zu den 1800 Gästen gehörte auch Roman Herzog.
Ex-Bundespräsident Horst Köhler war ebenfalls angereist.
Der frühere französische Präsident Valéry Giscard d'Estaing war ein langjähriger politischer Gefährte Schmidts. Er nahm ebenfalls an dem Trauergottesdienst teil.
Peer Steinbrück gehörte ebenfalls zu den Gästen. Er wollte bei der Bundestagswahl 2013 als SPD-Kandidat Kanzler werden, unterlag aber gegen Angela Merkel. Im SPIEGEL hatte Altkanzler Schmidt den Kandidaten Steinbrück gelobt: "Er kann es."
Ingvar Carlsson, ehemaliger schwedischer Premierminister und Chef der schwedischen Sozialdemokraten, war ebenfalls angereist.
Blumenschmuck vor der Kirche: Ein Passant fotografiert Kränze, die in Gedenken an Helmut Schmidt aufgestellt wurden.
Bundespräsident Joachim Gauck mit Schmidts Tochter Susanne.
Bundespräsident Joachim Gauck, Parlamentspräsident Norbert Lammert und Kanzlerin Merkel, Hamburgs Bürgermeister Olaf Scholz sowie der ehemalige US-Außenminister Henry Kissinger, der eine Rede auf seinen Freund Helmut Schmidt hielt. Er bezeichnete ihn als eine Art "Weltgewissen". Er habe die für Staatsmänner elementaren Eigenschaften Vision und Mut verkörpert, auch wenn er sie für sich selbst nie reklamiert habe, sagte Kissinger.
Auch EZB-Präsident Mario Draghi ist zum Staatsakt für den früheren Bundeskanzler in den Michel gekommen.
In der ersten Reihe hatten Schmidts Partnerin Ruth Loah (l.), Tochter Susanne Schmidt, Bundespräsident Joachim Gauck, der Präsident des deutschen Bundestages, Norbert Lammert, sowie Kanzlerin Merkel und Hamburgs Bürgermeister Olaf Scholz Platz genommen.
Scholz wurde von seiner Frau Britta Ernst zu der Trauerfeier begleitet.
"Wir haben einen Giganten verloren", sagte Hamburgs Bürgermeister Olaf Scholz.
Scholz lobte den "lebensklugen politischen Pragmatismus" Schmidts, aus dem "scheinbar unbegrenzte moralische Autorität" erwachsen sei.
Auch Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier und Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble waren nach Hamburg gekommen, um Schmidt die letzte Ehre zu erweisen.
Der Sarg des ehemaligen Bundeskanzlers im Michel: Verbeugung vor einem politischen Giganten.
Am Hamburger Michel galt anlässlich des Staatsaktes die höchste Sicherheitsstufe.
Soldaten der Bundeswehr warten auf das militärische Ehrengeleit mit dem Sarg des ehemaligen Bundeskanzlers Helmut Schmidt.
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