
Hans-Olaf Henkel: Der Euro-Skeptiker
Henkel und die Freien Wähler Operation Stimmenraub
Eine neue liberale Partei, Europa-freundlich und Euro-kritisch, schrieb er noch vor kurzem in einer Kolumne für das "Handelsblatt", hänge "wie eine reife Frucht am Ast. Man muss nur gegen den Stamm treten, dann fällt sie herunter". Aber nun hat sich Ex-BDI-Präsident Hans-Olaf Henkel entschieden, das Fallobst doch nicht aufzulesen. Der 71-Jährige will bei den kommenden Bundestagswahlen 2013 die Reihen der Freien Wähler verstärken, um noch einmal in der Bundespolitik mitzumischen.
Doch welche Chancen hat er damit überhaupt? Wie groß das Potential der Freien Wähler auf Bundesebene ist, ist schwer einzuschätzen. In Bayern erhielten sie bei den vergangenen Landtagswahlen immerhin 10,2 Prozent und wurden damit drittstärkste Kraft im Landtag. Einer der Gründe für dieses überragende Wahlergebnis dürfte allerdings auch darin liegen, dass viele Wähler der vermeintlich omnipotenten CSU einen Denkzettel verpassen wollten.
Das Auftreten der Freien Wähler dürfte künftig jedenfalls den "bürgerlichen" Parteien CDU, CSU und FDP am meisten schaden. Selbst wenn die Freien Wähler die Fünfprozenthürde nicht überwinden, würden sie doch wichtige Stimmenanteile insbesondere von der FDP abziehen. Und das könnte für die derzeit fragilen Liberalen das Aus bedeuten.
Bürgerprotest vereint mit bayerischer Folklore
Ein wichtiger Aspekt bei der Einschätzung der Chancen einer solchen Partei ist auch, dass Wähler erfahrungsgemäß mit ihrer Stimme bei Bundestagswahlen vorsichtiger umgehen, da es sich hier letztlich um eine Vertrauenswahl handelt. Landtags- und Europawahlen werden hingegen eher als Stimmungswahlen verstanden. Ein Bündnis aus einer Mischung aus Folklore und bürgerlichem Protest wie in Bayern dürfte es auf Bundesebene schwer haben.
Hinzu kommt, dass mit Ausnahme der bayerischen Landtagswahlen die Ergebnisse für die Freien Wähler eher ernüchternd waren:
- In Hessen erreichten sie bei den Landtagswahlen 2008 lediglich 0,9 Prozent der Zweitstimmen.
- In Rheinland-Pfalz erzielten die Freien Wähler bei der Landtagswahl 2006 noch 1,6 Prozent, 2011 jedoch schon 2,3 Prozent.
- Bei den vorigen Landtagswahlen 2009 in Sachsen - im Freistaat ist es nach dem Landtagswahlgesetz nicht möglich, als Wählervereinigung zur Landtagswahl anzutreten - gründeten einige Freie Wähler die "Partei Freie Sachsen" und erzielten immerhin 1,4 Prozent der Stimmen.
- In Thüringen traten die Freien Wähler 2009 zum zweiten Mal bei den Landtagswahlen an. 2004 erreichten sie 2,6 Prozent, 2009 waren es dann schon 3,9 Prozent der Stimmen.
Intern war es bei den Freien Wählern sehr umstritten, ob sie überhaupt als Partei bei Landtagswahlen oder gar Bundestagswahlen antreten sollen, weil viele Aktivisten, die häufig aus lokalen Verbänden bestehen, sich selbst nicht als Partei im herkömmlichen Sinne betrachten. Immerhin erhielten die Freien Wähler bei der Europawahl 2009 1,7 Prozent der gültigen Stimmen - Spitzenkandidatin war übrigens damals Gabriele Pauli, die einstige Fürther Landrätin.
Hans-Olaf Henkel trug sich eine Zeitlang mit der Idee, selbst eine neue Partei zu gründen, aber die gewünschten Mitstreiter spielten nicht mit. Am liebsten hätte er Friedrich Merz, Wolfgang Clement und Thilo Sarrazin gewonnen. Wichtigster Beweggrund für seine Überlegungen, sagte er mehrmals, sei seine gewandelte Einstellung zum Euro.
Friedrich Merz, Wirtschaftsexperte und früherer Unionsfraktionschef im Bundestag, sah sich allerdings veranlasst, Henkel öffentlich abblitzen zu lassen: "Ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie meinen Namen im Zusammenhang mit einer Neugründung einer Partei möglichst nicht weiter nennen würden", schrieb Merz an Henkel. Die Gründung einer Partei halte er für "schädlich", und er teile die Vorstellungen Henkels im Hinblick auf die Aufteilung der Euro-Zone nicht. Auch andere öffentlich diskutierte Kandidaten winkten ab, so Wolfgang Bosbach (CDU): "Ich fühle mich nach wie vor als Teil der Unionsfamilie. Und eine Familie verlässt man nicht, auch wenn es mal in einer Sachfrage mit Mutti Ärger gibt."
Und nun? Versucht es der allein gelassene Henkel mit den Freien Wählern, die bisher auf Bundesebene gar nicht aufgetreten sind. Er will Parteichef Hubert Aiwanger politisch auf die Sprünge helfen. Die Hauptzielrichtung der beiden dürfte sein, bei der FDP zu wildern.
Der Aufbau einer neuen Partei ist außerordentlich schwierig. Richtig gelungen ist es auf Bundesebene bislang nur den Grünen, die erstmals 1983 in den Bundestag einzogen. Die Linke ist ein Sonderfall, weil sie aus der Staatspartei der DDR, der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands (SED), hervorgegangen ist. Ob die Piraten, die den Sprung ins Berliner Abgeordnetenhaus 2011 mit 8,9 Prozent schafften, sich auch bundesweit durchsetzen können, ist noch nicht ausgemacht, auch wenn sie in den aktuellen Umfragen (mit etwa sieben Prozent) sehr gut liegen.
Sieht man von der unmittelbaren Nachkriegszeit ab, waren fast alle Parteigründungen zum Scheitern verurteilt, einige Beispiele:
Schwierige Parteigründungen
Die Freien Wähler haben an der kommunalen Basis häufig ein sehr gutes Image, auch weil sie sich gegen etablierte Parteien wenden. Je mehr sie aber selbst zur politischen Partei werden, desto mehr verlieren sie ihr Alleinstellungsmerkmal. Freie-Wähler-Aktivisten sind als Kommunalpolitiker erfolgreich, doch endet ihre Kompetenz meist an der Kreisgrenze.
Die bundesweite Freie-Wähler-Partei dürfte im Spektrum der Parteien eher im Rechtspopulismus angesiedelt sein. Als Testlauf sieht der 40-jährige Aiwanger die Wahlen zum Landtag in Schleswig-Holstein im Mai kommenden Jahres, wo man beim letzten Mal etwa ein Prozent geholt hat.
Zu erwarten ist, dass die neue Parteiformation der Freien Wähler auf Bundesebene das Thema Einwanderung und Integration in den Fokus nehmen wird, natürlich auch den Euro. Und schließlich wird eine Politik formuliert werden, die sich am "kleinen Mann" orientiert, denn gerade Rechtspopulisten sind wirtschafts- und sozialpolitisch eher links eingestellt.
Da wird es spannend, welcher der beiden Populisten sich durchsetzt - Aiwanger oder Henkel. Ohnehin hat sich Aiwanger öffentlich noch nicht festgelegt, ob Henkel überhaupt für den Bundestag kandidieren soll. Zudem ist Henkel - wie auch Aiwanger - für seine Egozentrik bekannt. Die beiden Alphatiere werden sich wohl noch in die Quere kommen, je näher es auf die Wahlen zugeht.
Ob sich die Partei der Freien Wähler zu einer Partei der politischen Mitte entwickeln kann, bleibt sehr fraglich, denn die politische Mitte ist letztlich von den großen Parteien besetzt. Nur rechts von der Union ist noch Platz für eine neue Partei. Das wäre sowohl eine Chance für die Freien Wähler, gleichzeitig aber auch ihr erstes Problem, denn dann müsste sie das schöne überparteiliche Image aufgeben. So ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass der Talkshow-Senior Henkel, wie viele vor ihm, mit dem Versuch scheitern wird, eine neue Partei bundesweit zu etablieren.