Hessenwahl und die Folgen Auf nach Jamaika

Annegret Kramp-Karrenbauer, Angela Merkel
Foto: Bernd von Jutrczenka/ dpaErst mal die Hessenwahl abwarten. So haben sie das über Wochen gesagt in Union und SPD. Wie lange wird Angela Merkel noch CDU-Vorsitzende sein? Wie lange noch Kanzlerin? Hält die Große Koalition? Kann Andrea Nahles SPD-Chefin bleiben? Erst mal Hessen abwarten.
Erledigt. Die Hessenwahl ist jetzt durch.
Und nun? Über zehn Prozentpunkte haben CDU und SPD jeweils verloren.
Die Sozialdemokratie liegt damit auch in ihrem einstigen Kernland darnieder: geschlagen vom Wähler, erschüttert in ihrem Selbstverständnis, erschlafft in ihrer Kraft. Die Christdemokraten dagegen können sagen: Noch mal davongekommen. Volker Bouffier wird wohl Ministerpräsident bleiben können - sollte die SPD, falls die Zahlen das am Ende des Wahlabends hergeben, nicht noch ein unwahrscheinliches Ampel-Bündnis mit Grünen und FDP schmieden.
Dass Bouffier das Amt behält, das ist auch für die Kanzlerin entscheidend. Denn stürzte der CDU-Mann in Wiesbaden, dann hätte dies möglicherweise auch Merkels Aus in Berlin zur Folge. Bleibt Bouffier, dann wird nun zwar die SPD in den nächsten Tagen neuerlich die Große Koalition massiv in Frage stellen, aber Merkel hat die Chance, den Übergang zu managen.
Exakt: den Übergang managen.
Denn darum geht es jetzt. Die Zukunft gehört nicht der Großen Koalition, das ist allen Beteiligten spätestens seit diesem Hessen-Ergebnis klar. Denn Hessen ist eine sortenreine Denkzettelwahl: Da sagen 60 Prozent der Leute, sie seien zufrieden mit der Arbeit der Landesregierung, aber 70 Prozent geben an, sie seien unzufrieden mit der Bundesregierung. Da sagen über 70 Prozent der abgewanderten hessischen CDU-Wähler, sie wollten Berlin einen Denkzettel verpassen; immerhin noch 53 Prozent sind es bei der SPD. Touché!
So kann Schwarz-Rot in Berlin nicht weiterregieren. Jedenfalls nicht auf Dauer.
Natürlich, es gibt jetzt wieder diese Rufe nach der "Rückkehr zur Sacharbeit". Das klingt so schal, so abgedroschen. Die Große Koalition könnte morgen ein Freibier-für-alle-Gesetzesvorhaben in den Bundestag einbringen und die Leute da draußen würden sagen, gute Güte, mit dieser GroKo ist ja nun wirklich nichts mehr los. Wetten?
Es geht nicht mehr. Die Kanzlerin weiß das, die SPD-Chefin weiß das. Die Frage ist nur: Wie findet man den Absprung? Und glückt der dann auch?
Nach diesem Wahlherbst in Bayern und Hessen könnte es im Bund über kurz oder lang auf ein neubürgerliches Bündnis aus geschwächter Union, erstarkten Grünen und schmächtiger FDP hinauslaufen. Mit einer neuen Aufstellung in CDU und CSU, vor allem also ohne Angela Merkel. Unmissverständlich hat FDP-Chef Christian Lindner das klar gemacht. Heißt die Jamaika-Kanzlerin am Ende Annegret Kramp-Karrenbauer?
Passend erscheint ein solches Bündnis auch deshalb, weil die Grünen auf ihrem langen Weg aus der Sponti-Szene der Siebziger über die Jahre des rot-grünen Projekts und die folgende Annäherung an den schwarzen Kosmos längst im bürgerlichen Lager angekommen sind.
Im Video: Der Ausgang der Hessenwahl im Überblick
Wahrscheinlich sind die hessischen Grünen an diesem Wahlsonntag von Herzen erleichtert, dass der grün-rot-rote Kelch an ihnen vorübergeht. Die Grünen zwischen Frankfurt und Kassel waren ja schon immer Taktgeber, seit Joschka Fischers Zeiten. Natürlich wird es auch künftig noch rot-grüne Bündnisse geben, natürlich wird es auch noch rot-rot-grüne Debatten geben.
Aber die Musik spielt fürs Erste im anderen Lager. Künftige Jamaika-Bündnisse werden dann womöglich nicht mehr aus arithmetischer Verlegenheit geschlossen, sondern aus Überzeugung.

Landtagswahl in Hessen 2018: Die Stimmung der Parteien in Bildern
Wenn es so kommt, dann ist das - egal wie man zu solcher Art Neubürgerlichkeit stehen mag - eine gute Entwicklung. Denn Jamaika ermöglicht eine Rückkehr zu politischen Lagern, mithin zu klar voneinander abgrenzbaren Politikentwürfen und damit auch zu so etwas wie politischer Heimat. Nach all den technischen Jahren der Großen Koalition fehlt wenig so sehr wie die emotionale Komponente von vernunftgeleiteter Politik. Das schließt Sacharbeit im Übrigen nicht aus. Ganz im Gegenteil: Es ermöglicht sie.
An der SPD liegt es dann, sich programmatisch wieder an ihrer Kernklientel auszurichten - den Arbeitern und Angestellten, den Aufstiegswilligen und Aufsteigern - und dieser Gruppe ein politisches Angebot zu machen, statt wie zu oft als Lightversion der Grünen mit den Grünen zu konkurrieren.
Die Partei sollte nicht den Fehler begehen, aus ihren schier ewigen, durch eigenes Zutun mitunter von der Wirklichkeit entkoppelten, pietistischen Jahren in der Oppositionszeit unter Kanzler Kohl jetzt eine schier ewige Regierungszeit auf Biegen und Brechen unter Kanzlerin Merkel abzuleiten. Beides waren keine Erfolgsmodelle.
Es muss gleichermaßen gelten: keine Angst vorm Regieren.
Und keine Angst vor der Opposition.