Hessen-SPD Parteirebellen Everts und Walter verzichten auf erneute Kandidatur

Sie will keine "Zerreißprobe": Die SPD-Rebellin Carmen Everts wird bei den Neuwahlen in Hessen nicht wieder kandidieren - begrüßt jedoch den neuen, sanften Tonfall der Parteiführung. Auch Jürgen Walter, prominentester Gegenspieler von Landeschefin Ypsilanti, will nicht mehr antreten.

Hamburg - Sie ist die Stärkste in ihrer Gruppe, die Anführerin eines Quartetts, das Andrea Ypsilanti zum Verhängnis wurde. Am Tag der Entscheidung - als sie mit drei anderen Abgeordneten das hessische Linksbündnis kippte - lief Carmen Everts voran. Auch in der Zeit danach blieb stets sie die Wortführerin der SPD-Rebellen, nicht Parteivize Jürgen Walter, der einen getriebenen und wenig gefestigten Eindruck hinterließ.

Doch nun hat auch die 40-jährige Abgeordnete aus Groß-Gerau ihren Abschied aus dem Parlament angekündigt - wie zuvor schon Dagmar Metzger und Silke Tesch - und am Abend auch Jürgen Walter, der der "Süddeutschen Zeitung" laut Vorabmeldung sagte, er werde bei der Landtagswahl im Januar definitiv nicht wieder kandidieren: "Würde ich antreten, würde dies vor allem in meinem Unterbezirk Wetterau zu einer extremen Polarisierung führen. Das wäre Gift für die Partei."

Auch Everts begründet ihren Verzicht damit, sie wolle die Partei "keiner weiteren Zerreißprobe aussetzen".

Der promovierten Politikwissenschaftlerin ist jedoch zweifellos auch klar, dass sie kaum Chancen hätte, sich in ihrem Wahlkreis durchzusetzen. In ihrem Unterbezirk wurde bereits ein anderer Kandidat für die Nominierungs-Konferenzen vorgeschlagen und die innerparteiliche Stimmung ist trotz Ausnahmen mehrheitlich gegen die vier Dissidenten.

Allerdings hat sich der Tonfall von Seiten der SPD-Führung deutlich entspannt. Da ist keine Rede mehr von "Verrätern" oder "Lügnern", wie noch Anfang November, nachdem Ypsilantis Machtwechsel gescheitert war. Der Bezirk Hessen-Süd hat am Montagabend die Sofortmaßnahmen aufgehoben, nach denen Everts und Co. eine Kandidatur verwehrt gewesen wäre.

Zwar herrscht nach wie vor Streit darüber, ob die Rebellen ihr Delegiertenrecht wahrnehmen dürfen. Doch sollte auch diese Frage von der Parteiführung bald im Sinne der neuen, rationalen Linie entschieden werden. Denn Thorsten Schäfer-Gümbel weiß, dass er bei einem Andauern der Debatte nur verlieren kann. Für ihn kommt es nun darauf an, den Streit zu beenden und die Partei für den Wahlkampf wieder zu einen - so schwierig das ist.

Everts jedenfalls freut sich über den Sinneswandel. Sie sagte zu SPIEGEL ONLINE, es gebe "besonnene und weniger besonnene Stimmen" in der Parteiführung. Schäfer-Gümbel gehöre offenkundig zu der pragmatischen Gruppierung. Unverständnis äußerte die Abgeordnete dagegen über das Verhalten von Karlheinz Pfaff. Der ist Geschäftsführer des Bezirks Hessen-Süd - und sagt, die Abweichler hätten ihr Delegiertenmandat zurückgegeben. In einer E-Mail habe Everts sämtliche Parteifunktionen zur Verfügung gestellt.

Schäfer-Gümbel gegen Parteiausschluss der Rebellen

Everts nennt Pfaff nun einen "typischen Parteiapparatschik". Weder habe sie ihre Delegiertenrechte in dieser E-Mail erwähnt noch jemals vorgehabt, sie zurückzugeben. Sie sehe nicht bei allen Genossen die Bereitschaft, eine "Bandbreite von Positionen" in der Partei zu akzeptieren.

Das Beispiel zeigt, wie kleinkariert die hessischen Sozialdemokraten derzeit miteinander streiten. Für Schäfer-Gümbel sind die alltäglichen Negativschlagzeilen verheerend. Der Spitzenkandidat bemüht sich daher sichtbar um verbale Abrüstung. In der vergangenen Woche erklärte er in der Talksendung von Michel Friedman auf "N24" erstmals, dass er für einen Verbleib der Rebellen in der SPD sei. Zwar wand er sich sichtbar und erklärte sich erst nach mehrfachen, bohrenden Nachfragen des Moderators. Aber immerhin: Er sprach sich gegen einen Ausschluss aus - und wird daran künftig gemessen.

Dem Beispiel Wolfgang Clements will Everts derweil nicht folgen, ein Parteiaustritt komme für sie nicht in Frage. Sie bedauere den Schritt des Ex-Wirtschaftsministers, sagte Everts, die öffentliche Warnung vor Ypsilantis Politik im Januar habe aber auch eine "Belastung für den Wahlkampf" dargestellt.

"Große Probleme mit der Ausrichtung der Partei"

Kritik an ihrer Entscheidung lässt sie nicht gelten - auch der Zeitpunkt dürfe bei einer Gewissensentscheidung keine Rolle spielen, so Everts. Gegen ihr Parteiordnungsverfahren will sie sich mit aller Härte und durch alle Instanzen verteidigen. Selbst eine Rüge würde sie - eigentlich wie Clement - nicht akzeptieren.

Gegen eine neue Kandidatur für den Landtag habe sie sich letztlich entschieden, weil sie "weiterhin große Probleme mit der Ausrichtung" ihrer Landespartei habe. Vor allem die Öffnung für ein Bündnis mit der Linkspartei bezeichnete Everts als "eklatanten Fehler": "Wenn ich lese, dass die Linke Banken verstaatlichen will, fühle ich mich in meiner Entscheidung bestätigt." Tatsächlich ist dies Teil des Wahlprogrammes der Linkspartei.

Auf ein Gesprächsangebot, das sie an Schäfer-Gümbel gerichtet habe, habe dieser "bisher leider nicht reagiert". Sie erwarte aber, dass er noch auf sie zugehe, so Everts.

In einem Brief, den die Abgeordnete am Mittwochnachmittag in ihrem Unterbezirk verschickte und der SPIEGEL ONLINE vorliegt, wünschte sie den Genossen "viel Erfolg", auch wenn sie sich "einen anderen Kurs in der SPD wünsche".

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