Hessen-Wahlkampf SPD-Spitze verschärft Attacken auf Koch

Verantwortungslos, erbärmlich, brutalstmöglicher Populismus - Vizekanzler Steinmeier nimmt sich den hessischen Wahlkämpfer Roland Koch vor. Auf ihrer Vorstandsklausur in Hannover will die SPD nun zeigen, dass sie keineswegs "weich" bei der Inneren Sicherheit ist.

Wetzlar - Diesmal muss Frank-Walter Steinmeier sich nicht künstlich in Rage reden, wie es so oft das Los des Wahlkämpfers ist. Diese Rede läuft wie von selbst. "Roland Koch" - die beiden Worte reichen schon aus, um den Saal in wohliges Schaudern zu versetzen. Wie dieser Roland Koch "wieder einmal" Ängste schüre, das sei "verantwortungslos", wettert Steinmeier. "Das ist nicht Reden für die schweigende Mehrheit, das ist erbärmlich." Und um es noch deutlicher zu machen: "Ein Wahlkampf auf diesem Niveau ist eine Beleidigung für jeden Stammtisch."

Er habe sich ja gefragt, im fernen Berlin, als diese Meldungen aus dem deutschen Süden hereinflatterten: "Was ist da eigentlich los in Hessen?", sagt Steinmeier. Wieso redet die hessische CDU plötzlich von Hausschlachtungen und Müllentsorgung? Haben die keine anderen Sorgen? So klingt es fast schon lustig, im Saal wird gegrinst, aber Steinmeier erinnert daran, wie bitter ernst das alles ist. Als Außenminister wundere es ihn schon sehr, wie der Regierungschef eines Bundeslandes mit einem internationalen Flughafen und einer internationalen Metropole im Wahlkampf mit Ausländerfeindlichkeit zu punkten versuche. Es solle Koch zu denken geben, dass seine Parolen nur bei einer einzigen Partei Beifall gefunden hätten: den Republikanern. Und Steinmeier fragt: "Ist das nicht ein zu hoher Preis für einen Wahlkampf?"

Der Außenminister und Vizekanzler ist zum Neujahrsempfang der SPD ins hessische Wetzlar gekommen, um die hiesigen Genossen auf den Wahlkampfendspurt einzuschwören. Bis zu den Wahlen am 27. Januar absolviert Steinmeier neben Parteichef Kurt Beck die meisten Wahlkampfauftritte. Das entspricht seiner neuen Rolle: Seit er zum stellvertretenden Parteivorsitzenden nominiert und schließlich gewählt wurde, spricht der deutsche Chefdiplomat immer häufiger Klartext. Das CDU-Grundsatzprogramm verglich er mit Kaufhausmusik, der Kanzlerin und CDU-Chefin Angela Merkel warf er vor, Außenpolitik "für die schnelle Schlagzeile zuhause" zu machen.

Umfrage: Mehrheit lehnt Kochs Kurs ab

Nun also ist er in Hessen, um sich den derzeitigen Lieblingsfeind aller Sozialdemokraten vorzunehmen. Koch hat die SPD wieder einmal ins Herz getroffen. Seit er seinen Wahlkampf unter das inoffizielle Motto "Schutz vor kriminellen jungen Ausländern" gestellt hat, toben die Genossen - in Hessen und dem Rest der Republik. "Zum Kotzen" sei dieser Koch, heißt es im Berliner Willy-Brandt-Haus.

Diesmal werde sich dieser "brutalstmögliche Populismus nicht auszahlen", schwört Steinmeier in der Kulturhalle in Wetzlar-Naunheim. Er könnte Recht behalten: Laut einer neuen Umfrage lehnt eine Mehrheit der Wähler Kochs Wahlkampf ab. Allerdings sind gerade beim Ausländer-Thema Umfragen mit besonderer Vorsicht zu behandeln.

Einen Erfolg jedenfalls kann Koch bereits verbuchen: Die SPD hat er kalt erwischt - ebenso wie viele in der CDU übrigens. Doch während sich die CDU-Spitze notgedrungen hinter ihren Wahlkämpfer stellt und sich bei ihrer Vorstandsklausur in Wiesbaden auf eine Verschärfung des Jugendstrafrechts geeinigt hat, tut sich die SPD mit einer Gegenstrategie schwer. Man ist empört über die "Stimmungsmache" gegen Ausländer, aber vor allem geschockt, dass Koch plötzlich die Schlagzeilen dominiert. Der eigene Wahlkampfschlager Mindestlohn rückte schlagartig in den Hintergrund.

SPD tut sich schwer mit Konter

Zunächst versuchte die SPD es mit Ignorieren. Bloß keine Themen aufdrängen lassen, lautete die Devise. Lieber sich auf den Mindestlohn konzentrieren. Doch erwies sich dies als illusorisch, je länger die Debatte um Jugendgewalt dauerte. Stattdessen entstand die Gefahr, dass die SPD als abgehoben wahrgenommen wurde - ein Desaster für eine Partei, die "nah bei den Menschen" (SPD-Slogan) sein will. SPD-Chef Beck äußerte sich schließlich gestern im SPIEGEL. Er signalisierte Gesprächsbereitschaft - was von Koch und Merkel sogleich als Triumph gefeiert wurde. Merkels spöttische Bemerkung, jetzt habe "eventuell" auch die SPD die Brisanz des Themas erkannt, dürfte das Klima in der Großen Koalition auf einen neuen Tiefpunkt bringen.

In Hessen hat Koch nun wieder Oberwasser: Seit Tagen protzt er mit seiner Fähigkeit, einen Wahlkampf zu drehen. Doch die hessische SPD, in der zuletzt die Siegeszuversicht keimte, will sich nicht aus dem Konzept bringen lassen. "Der Kampf ist hart geworden", sagt die Spitzenkandidatin Andrea Ypsilanti in Wetzlar. Aber: "Wir lassen uns unsere guten Themen nicht von Koch kaputtmachen." Bildung, Mindestlohn, Energiewende - die SPD habe es nicht nötig, "Politik mit Angst zu machen", sagt die Herausfordererin. "Wir machen Politik mit Hoffnung."

Die anfängliche Sprachlosigkeit gegenüber Kochs Chuzpe ist einer neuen Angriffslust gewichen. In Wetzlar verweisen Steinmeier und Ypsilanti auf die Bilanz des Regierungschefs: Jugendhilfe gestrichen, mehr als tausend Polizeistellen gekürzt, zwölf Polizeireviere zugemacht, weitere 20 vor der Schließung, 160 Stellen in der Justiz gekappt. "Von was redet Herr Koch hier eigentlich?", fragt Ypsilanti und erntet donnernden Applaus. Steinmeier fügt hinzu: "Wir brauchen keine Wahlkampfparolen, sondern mehr Polizisten."

Steinmeier verwahrt sich auch gegen den Vorwurf, die SPD nehme die Innere Sicherheit nicht ernst. Seit Otto Schily sei klar, dass die SPD sich nicht wegducke. Diese Botschaft wird wohl auch von der SPD-Vorstandsklausur in Hannover ausgehen.

SPD-Generalsekretär Hubertus Heil betonte vor der Klausur, die SPD habe beim Thema Jugendgewalt "keinen Nachholbedarf". Die Sozialdemokratie sei "hart gegen Verbrechen, aber noch härter gegen die Ursachen". Es sei schade, dass sich Bundeskanzlerin Angela Merkel bei dem Thema von Koch habe "treiben lassen".

In Wetzlar wird deutlich, wie die SPD Kochs neuen Wahlkampfslogan "Sicher leben" in den verbleibenden drei Wochen bis zur Wahl kontern will. "Sicher leben", so Steinmeier und Ypsilanti, das beinhalte mehr als bloß eine Verschärfung des Jugendstrafrechts. Der Mindestlohn gebe mehr Sicherheit im Leben, als es Kochs Parolen je könnten, sagt Steinmeier. "Auch in Hessen macht sich jede Mutter mehr Sorge, wie sie die Klassenfahrt ihrer Tochter bezahlen kann, statt über Burka tragende Mitschülerinnen."

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