Hessens SPD-Kandidat Schäfer-Gümbel Tapfer ins absehbare Desaster
Wiesbaden - Die aufmunternden Worte für den Kandidaten wirken ein wenig bemüht, fast mitleidig. "Ich wünsche dir alles Gute", ruft Helmut Schumann seinem Gast zu. Er war 28 Jahre lang Bürgermeister in Hünstetten - für die SPD. Thorsten Schäfer-Gümbel sieht er an diesem Tag zum ersten Mal.
Der Nachfolger von Andrea Ypsilanti hat es nicht leicht.
Bevor ihn Ypsilanti am 8. November als Kandidaten vorschlug, war er selbst Genossen unbekannt, galt im Landtag als Hinterbänkler. Und nun steuert er als Spitzenkandidat die einst so stolze Hessen-SPD in ein absehbares Desaster. In Umfragen liegen die Sozialdemokraten fünf Tage vor der Landtagswahl bei 24 bis 25 Prozent.
Doch gegenüber Journalisten gibt sich Schäfer-Gümbel dennoch aufgeräumt. "Ich bin kein Problemsucher", sagt er. Tatsächlich erweckt der Gießener den Eindruck, als mache ihm die schier unlösbare Aufgabe Spaß. Er ist ein Parteisoldat. Hinzu kommt: Mit gerade 39 Jahren und dem Verdienst, die SPD durch schwierige Zeiten geführt zu haben, wird er nach der Wahl den Neuaufbau der Partei anführen können.
Laufend wird Schäfer-Gümbel an diesem Tag auf sein Verhältnis zu Ypsilanti angesprochen. Obwohl er weiterhin ihren Verbleib an der Parteispitze verteidigt, ist die wachsende Distanzierung unübersehbar. "Es gibt unterschiedliche Führungsnaturelle", sagt er beim Mittagessen in Hünstetten, "und jedes hat seine Zeit." Mehrfach betont Schäfer-Gümbel, dass er wie an diesem Tag "natürlich" im Bus mit Journalisten mitfahre und dort für Interviews zur Verfügung stehe. Ypsilanti hatte dies bei entsprechenden Gelegenheiten im letzten Jahr nicht getan, sondern war im Dienstwagen nebenher gefahren - was für großen Unmut bei den Berichterstattern sorgte.
Thorsten Schäfer-Gümbel macht in der Tat vieles anders als seine Vorgängerin. Er kann zuhören und sich auf seine Gesprächspartner einstellen. Innerparteilich wird diese Eigenschaft gelobt. Er gilt zwar ebenso wie Ypsilanti als Parteilinker, doch stößt er den Leuten vom anderen Flügel nicht vor den Kopf, sondern ist bemüht, "sich breit zu orientieren", wie er es selbst beschreibt. Stets habe er intensiv "flügelübergreifend kommuniziert".
Bei der Gewerkschaft abgelehnt
Die Wahlkampftour hat an diesem Tag den Schwerpunkt Bildung. Schäfer-Gümbel besucht eine Kindertagesstätte, eine Gesellschaft zur Förderung von Langzeitarbeitslosen und eine Podiumsdiskussion zum Thema "Gleiche Chancen für gute Bildung". Dabei bemüht sich der Kandidat mit Witzen und Anekdoten um eine lockere Atmosphäre. In Frankfurt erzählt er, wie er zur SPD gekommen ist. "Ich habe als Schüler gegen die Bildungsreformen unter Walter Wallmann (ehemaliger hessischer CDU-Ministerpräsident, Anmerkung der Redaktion) demonstriert." Danach habe er in die Lehrergewerkschaft GEW eintreten wollen. "Doch da hat man mir gesagt, dass die Satzung Beitritte von Schülern nicht vorsehe", grinst er. Darum sei er in den "anderen Arm der Arbeiterbewegung" gegangen - die SPD.
Er wolle eine Schule, die "vom Kind her denkt", sagt Schäfer-Gümbel und skizziert das Modell vom "Haus der Bildung". Es ist das gleiche Modell, mit dem Ypsilanti vor einem Jahr Wahlkampf machte. Ihr Spruch "Kein Kind wird zurückgelassen" wirkt nach. Mehrfach wird der Slogan in der Diskussion zitiert. So verheerend Ypsilantis Bild in der Öffentlichkeit auch ist, innerparteilich und für manche Kernmilieus der SPD ist sie nach wie vor eine wichtige Figur.
"Linkspartei ist eine Chaotentruppe"
Alleine deshalb konnte sich Schäfer-Gümbel nicht abrupt von ihr distanzieren. Doch zwischen den Zeilen wird deutlich, wie er seine Partei neu aufstellen will. Der Spitzenkandidat schließt ein Bündnis mit der Linkspartei nicht aus, sagt aber auch, er hoffe darauf, dass sie den Einzug in den Landtag verpassen. Mit Blick auf die innerparteilichen Querelen der Linken sagt er: "Es ist unbestreitbar, dass das an gewissen Stellen eine Chaotentruppe ist." Beim letzten Mal habe der Wähler die Linke jedoch in den Landtag geschickt und man habe lernen müssen, damit umzugehen.
Thorsten Schäfer-Gümbel kommt aus einer Familie von Sozialdemokraten, er will keine parlamentarische Kraft links von seiner Partei. Im Bus erzählt er von seinem Elternhaus, von politischen Diskussionen und einschneidenden Erlebnissen. Der Vater war Helmut-Schmidt-Fan, der Großvater mehr für Willy Brandt.
Schäfer-Gümbel ist ein Politiker, der schnell lernt. In den letzten zwei Monaten sei so viel passiert, sagt er, um es zu verarbeiten, führe er Tagebuch. Der Sozialdemokrat ist ein Politiker, der bündnisfähig in alle Richtungen erscheint. Trotz enormer Unterschiede in der politischen Geisteshaltung kann er mit Kollegen von FDP und CDU offen reden, Gemeinsamkeiten entdecken und Kompromisse schmieden. Diese Zugewandtheit unterscheidet ihn wohl am meisten von Ypsilanti.
Er weiß, dass er kaum eine Chance hat gegen Roland Koch. Nicht nach diesem Jahr. Doch Schäfer-Gümbel kämpft tapfer.
Am Tag nach der Bustour steht er morgens um halb sechs am Werkstor von Volkswagen in Baunatal, Stammwähler mobilisieren.