Hetzjagd auf Ausländer "Viele im Osten sind durch dumpfe Parolen mobilisierbar"

Die Jagd auf acht Inder in Mügeln sorgt weltweit für Schlagzeilen - schon fürchtet Ministerpräsident Georg Milbradt um das Image Sachsens. Im Interview mit SPIEGEL ONLINE spricht er über die Macht der NPD und was dagegen getan werden kann.

SPIEGEL ONLINE: Herr Ministerpräsident, die Jagd von rund 50 Jugendlichen auf acht Inder in der sächsischen Kleinstadt Mügeln hat den Freistaat international in die Medien gebracht. Ist Sachsen eine No-Go-Area für Menschen mit anderer Hautfarbe?

Milbradt: Nein. Die Inder leben schon länger in der Umgebung und sind, soweit ich das vom Bürgermeister gehört habe, auch integriert. Aber eines ist ganz klar: Was da am Wochenende vorgefallen ist, ist absolut inakzeptabel. Wir haben eine Kommission mit 16 Beamten gebildet, die die Vorfälle möglichst schnell aufklärt, die Schuldigen verfolgt und gegebenenfalls zur Anklage bringt.

SPIEGEL ONLINE: Der Ex-Regierungssprecher unter dem damaligen Kanzler Gerhard Schröder und heutige Chefredakteur des SPD-Parteiblatts "Vorwärts", Uwe-Karsten Heye, hatte vor der WM 2006 von Gegenden in Ostdeutschland gesprochen, die für Farbige nicht betretbar seien. Ist Mügeln nicht ein Beweis, dass er recht hat?

Milbradt: Ich warne vor schnellen Verurteilungen. Während der Weltmeisterschaft wurden die Gäste aus aller Welt gerade auch im Osten sehr freundlich aufgenommen. Wer sich am Austragungsort Leipzig in den Straßen und Biergärten umgesehen hat, der konnte sich von der gastfreundlichen und weltoffenen Atmosphäre überzeugen.

SPIEGEL ONLINE: Abgesehen von der WM sprechen aber die Zahlen eine andere Sprache. Die aggressivsten Angriffe gegen Ausländer oder Inländer mit anderem Aussehen ereignen sich meist im Osten.

Milbradt: Was die Vorgänge in Mügeln angeht, so bitte ich darum, erst einmal die Ermittlungen abzuwarten. Es steht außer Frage, dass man solche Vorfälle nicht auf die leichte Schulter nehmen kann, aber man sollte auch nicht jede Auseinandersetzung zwischen Deutschen und Ausländern sofort unter dem Stichwort Ausländerfeindlichkeit verbuchen.

SPIEGEL ONLINE: Sie sehen also solch einen ausländerfeindlichen oder gar rechtsradikalen Hintergrund nicht?

Milbradt: Wir wissen um die Vorfälle in Mügeln augenblicklich noch zu wenig, um solche weitreichenden Schlussfolgerungen zu ziehen. Wir sollten die Ermittlungen abwarten. Vielleicht wissen wir in einigen Tagen mehr, um zu einer gesicherten Analyse zu kommen.

SPIEGEL ONLINE: In der Bundesrepublik wird derzeit wieder über den Fachkräftemangel diskutiert. Dafür sollen Menschen aus dem Ausland angeworben werden. Ist das Beispiel Mügeln da nicht erneut verheerend für das Bild Deutschlands?

Milbradt: Auf jeden Fall, das gilt natürlich auch für Sachsen. Wir haben ja gerade bei uns im Freistaat in der boomenden Chipindustrie sehr viele Ausländer beschäftigt. Wir sind in dieser Branche in einem regen Austausch mit Indien, China, Taiwan, den USA und vielen anderen Staaten. Wir brauchen gerade im Bereich der Spitzentechnologie und Spitzenforschung internationale Kooperation. Das ist überlebensnotwendig für uns.

SPIEGEL ONLINE: Sachsen betreibt eine aktive Ansiedlungspolitik. Werden Sie von potentiellen Investoren eigentlich auf Reisen ins Ausland auf rechtsradikale oder ausländerfeindliche Überfälle angesprochen?

Milbradt: Ja. Und ich versuche dann immer offen darüber zu reden und deutlich zu machen, was davon Tatsache ist und was nicht. Denken Sie an das Beispiel von Sebnitz, wo zunächst voreilig von einem rechtsradikalen Hintergrund ausgegangen wurde und sich die Dinge dann im Nachgang anders dargestellt haben. Bei aller Abscheu vor solchen Überfällen wie in Mügeln sollten wir uns doch davor hüten, vorschnell in Klischees zu verfallen.

SPIEGEL ONLINE: Sachsen schleppt ja auch eine andere Hypothek mit - der Wahlerfolg der NPD vor rund drei Jahren.

Milbradt: Es ist bedauerlich, dass 2004 durch die aufgeheizte Situation rund um die Einführung von Hartz-IV sowohl die Extremen von Rechts wie von Links an Stimmen bei uns gewinnen konnten. Sie haben insbesondere Wähler mit ihren Parolen angesprochen, die bis dahin den Urnen fern geblieben waren.

SPIEGEL ONLINE: Wie schätzen Sie die Gefahr ein, die von der NPD ausgeht?

Milbradt: Parlamentarisch hat die NPD in Sachsen gezeigt, dass sie nicht in der Lage ist, die Probleme des Landes zu lösen. Die Fraktion hat sich weitgehend selbst zerlegt. Tatsache ist aber auch, dass es in Ostdeutschland leider viele Wähler gibt, die ihre politische Heimat noch nicht gefunden haben und die durch solche Debatten wie die um die Sozialreformen für extremistische Parteien mit ihren dumpfen Parolen mobilisierbar sind.

SPIEGEL ONLINE: Was kann dagegen getan werden?

Milbradt: Aufklären und immer wieder aufklären. Durch die demokratischen Parteien, durch die Gewerkschaften, die Kirchen, vor allem aber durch eine aktive Bürgerschaft. Wir müssen versuchen, die Haltung der Menschen zu ändern, sie davon überzeugen, dass sie durch die Wahl etwa der NPD am Ende nur sich selbst schaden.

Das Interview führte Severin Weiland

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