Hilferuf aus Athen Merkel steckt in der Griechenland-Falle

Hilferuf aus Athen: Merkel steckt in der Griechenland-Falle
Foto: ddpBerlin - Eine Gewissheit will Wirtschaftsminister Rainer Brüderle schon nach wenigen Sätzen loswerden, als er an diesem Morgen am Rednerpult des Bundestags steht. ? Davon könne vorerst keine Rede sein, behauptet der FDP-Mann. Man beobachte "die Lage genau, wir nehmen die Signale ernst, wir verfallen aber nicht in Aktionismus", sagt Brüderle. Und weiter: Die Europäische Union und der (IWF) stünden nur "dann bereit, wenn sich Griechenland nicht mehr selbst helfen kann, als Ultima Ratio. Bislang ist diese Situation nicht eingetreten".
Nur anderthalb Stunden später ist alles anders: Da gibt es erste Meldungen über das Hilfegesuch aus Athen.
Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen
Damit ist der Plan von Kanzlerin Angela Merkel und ihrer schwarz-gelben Bundesregierung dahin: Sie hofften, dass die Griechen vielleicht doch noch ein paar Wochen durchhalten, bevor sie um Hilfe bitten. Hauptsache, die so wichtige am 9. Mai ist vorüber, bei der CDU und FDP auf die Fortführung ihrer Koalition hinarbeiten. Merkel und ihr Koalitionspartner Guido Westerwelle wissen genau: Die Zahlung von deutschen Steuermilliarden an die Griechen ist beim Wahlvolk äußerst unpopulär. Nach dem 9. Mai ließe sich über die ungeliebten Milliarden für Athen leichter reden.
Doch daraus wird nichts, drei dürre Zeilen aus Athen machen diese Strategie zunichte: In dem Schreiben an die EU-Kommission und den Internationalen Währungsfonds bittet die griechische Regierung um Inanspruchnahme der angebotenen Milliardenhilfen. Das Rettungspaket sei ein "nationales Erfordernis", sagte Regierungschef Giorgos Papandreou in einer dramatischen Fernsehansprache. Die Europäische Union will dem hochverschuldeten Griechenland im Notfall mit Krediten von bis zu 30 Milliarden Euro helfen - davon müsste Deutschland knapp 8,4 Milliarden Euro schultern. Allerdings gibt es Befürchtungen, die Belastungen für den deutschen Haushalt könnten noch viel höher ausfallen.
SPD-Chef Gabriel: "Merkel hat die Deutschen belogen"
Die Opposition hat das Thema nach dem Eingang des griechischen Notrufs endgültig für sich entdeckt: Schon in den vergangenen Tagen hatte die SPD immer wieder gegen die unklare Griechenland-Haltung der Bundesregierung gewettert - nun ledert Parteichef richtig los. Auch für die SPD geht es um viel in Nordrhein-Westfalen, sie träumt von einer rot-grünen Koalition mit ihrer Spitzenkandidatin Hannelore Kraft an der Spitze. Der "Bild am Sonntag" sagte Gabriel: "Frau Merkel hat die Deutschen belogen und hinters Licht geführt." Noch vor wenigen Wochen habe sie in Brüssel "die Eiserne Kanzlerin gespielt und so getan, als ob sie die deutschen Steuerzahler schützen will", sagt der SPD-Chef. " wusste in Wahrheit schon damals, dass Deutschland gar nicht anders kann, als Griechenland zu helfen und so den Euro-Raum zu stabilisieren." Es sei Merkel nur darum gegangen, "vor der Landtagswahl in NRW eine Show abzuziehen".
Zuvor hatte SPD-Fraktionschef "Klarheit" für die deutsche Öffentlichkeit und die Finanzmärkte gefordert. Haushaltsexperte Carsten Schneider war zuletzt mit Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble aneinandergeraten, weil der Sozialdemokrat sich für ein ordentliches Gesetzgebungsverfahren im Bundestag ausgesprochen hatte.
Bei den Grünen klingt die Kritik am Freitagnachmittag so: "Kanzlerin Merkel und Finanzminister Schäuble können nicht mehr länger Katz und Maus mit Griechenland und den Märkten spielen", sagt Fraktionschef Jürgen Trittin. "Die Bundesregierung muss nun umgehend in der nächsten Sitzungswoche das Gesetzgebungsverfahren zur Absicherung der Griechenlandhilfen einleiten." Eine solch weitreichende europapolitische und auch fiskalische Entscheidung wie die Griechenland-Hilfe dürfe "nicht länger in den Hinterzimmern verhandelt werden", so Trittin. Einig sind sich SPD und Grüne in der Forderung, die Gläubigerbanken an der Rettungsaktion zu beteiligen.
Und was macht Schwarz-Gelb? Die Regierungspartner versuchen erneut zu beschwichtigen. Bloß keine Aufregung verursachen, lautet die Devise der Koalition. Eilig bringen die beiden haushaltspolitischen Sprecher von Unions- und FDP-Fraktion - Norbert Barthle und Otto Fricke - eine gemeinsame Erklärung heraus. Man werde "nicht in eine populistische Griechenlandschelte verfallen", heißt es da. Die Politik der Koalition zeichne sich dadurch aus, dass sachbezogen analysiert werde und die notwendigen Konsequenzen gezogen werden.
Mit eben diesem Duktus äußert sich am Nachmittag auch die Kanzlerin: Merkel versucht, Zeit zu gewinnen. Die Voraussetzung für Finanzhilfen der Euro-Länder an Griechenland seien noch nicht erfüllt, sagt sie. Zunächst müsse Griechenland eine Einigung mit dem IWF und der EU-Kommission über sein Sparprogramm erzielt haben. "Ich habe heute mit dem griechischen Premierminister telefoniert, und er sagte, dass diese Gespräche noch einige Zeit dauern werden." Bevor die EU Griechenland helfen könne, müsste eine Gefährdung für den Euro-Raum vorliegen, die Stabilität des Euro habe oberste Priorität. Ähnlich das Statement von Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble: Es gebe keinen Grund für eine überstürzte Finanzhilfe für Griechenland, sagt er. "Es ist nicht damit zu rechnen, dass in den kommenden Tagen weitergehende Entscheidungen zu treffen sind." Am Montag will Schäuble die Vorsitzenden der Bundestagsfraktionen über die Lage unterrichten.
FDP-Parteitag droht von Griechenland-Hilfen überlagert zu werden
Vor allem die Liberalen haben nun ein Problem: Ausgerechnet an diesem Wochenende treffen sie sich zum Bundesparteitag in Köln, es ist der Start in die heiße Wahlkampfphase in NRW. Eigentlich steht das Steuerkonzept im Mittelpunkt, nun wird auch das Thema Griechenland am Samstag eine Rolle spielen. Das Thema gärt in der FDP seit längerem, am Freitagnachmittag gab es sogar liberale Kritik an CDU-Finanzminister Schäuble. Die überraschende Entscheidung Griechenlands passe "nicht zu den bisherigen Erklärungen des Bundesfinanzministers", sagte Volker Wissing, Chef des Finanzausschusses.
Ursprünglich sollte auf dem Parteitag ein Initiativantrag mehrerer Bundestagsabgeordneter zum Umgang in der Euro-Zone vorgelegt werden, erarbeitet unter anderem vom Finanzexperten Frank Schäffler. Er ist einer der schärfsten Kritiker der Griechenland-Hilfe, empfahl einst Athen, Inseln zur Schuldentilgung zu verkaufen und die Euro-Zone freiwillig zu verlassen. Schäffler gilt als Einzelstimme in der Bundestagsfraktion, es gibt Unmut in der Führung über ihn, weil seine unabgestimmten Äußerungen als offizielle Aussage einer Regierungspartei in der internationalen Finanzwelt interpretiert werden. Kurzentschlossen wollte der Bundesvorstand am Freitagabend einen eigenen Antrag einbringen. "Verantwortungsvoll" solle mit dem Thema als Regierungspartei umgegangen werden, man wolle kein Wahlkampfthema daraus machen, hieß es.
Doch das Thema wird die FDP so schnell nicht los. Diplom-Betriebswirt Schäffler, selbst Mitglied im NRW-Landesvorstand, sagte SPIEGEL ONLINE: "Man sollte das Thema im Wahlkampf schon spitz stellen." Er befürchte, dass ein weicherer Euro eine "Schwächung für die Altersvorsorge von Millionen Menschen ist". Auch beeinflusse es die Investitionsentscheidung von Tausenden von Firmen. So plädiert Schäffler unter anderem dafür, den Stabilitätspakt so zu verändern, dass auch Länder aus der Euro-Zone "entlassen werden können". Im Klartext: Rausschmiss.
Dass ihm bislang keiner in der Bundestagsfraktion folgt, ficht ihn nicht an. "Es gibt noch keine offene Zustimmung. Aber das kommt noch. Warten Sie es ab."