Historiker beim BND Geheimdienst lässt sich in die Akten gucken

BND-Chef Ernst Uhrlau: Historikerkommission soll die Geschichte des Dienstes erforschen
Foto: Sean Gallup/ Getty ImagesBerlin - Glaubt man der Liste, die der Bundesnachrichtendienst ( ) im Jahr 1970 über seine Verbindungen zur Presse aufgestellt hat, dann arbeitete ein beträchtlicher Teil der deutschen Journalisten für den Geheimdienst. Die langjährige Herausgeberin der "Zeit", Marion Gräfin Dönhoff, war unter dem Decknamen "Dorothea" registriert, "Bild"-Chefredakteur Peter Boenisch wurde als "Bongert" geführt, Wilfried Hertz-Eichenrode von der "Welt" als "Hermelin", Horst Mahnke vom SPIEGEL als "Klostermann".
Außerhalb des Dienstes weiß freilich niemand, ob es wirklich eine Zusammenarbeit der Redakteure mit Pullach gegeben hat, wie diese aussah - oder ob nur ein Agentenführer mit bekannten Namen prahlte.
In wenigen Monaten könnte allerdings Licht in das Dunkel kommen, zumindest für die vier Historiker Jost Dülffer (Köln), Klaus-Dietmar Henke (Dresden), Wolfgang Krieger (Marburg) und Rolf-Dieter Müller (Potsdam). Der BND verhandelt seit Wochen mit diesen Professoren, weil sie die Geschichte des Dienstes in den ersten Jahrzehnten aufarbeiten und dafür vollen Zugang zu allen BND-Akten bekommen sollen, auch zu den "geheim" und "streng geheim" gestempelten Papieren.
Abenteuer mit ungewissem Ausgang
Noch ist der Vertrag zwischen dem BND und den Wissenschaftlern nicht unterschrieben, aber alle Beteiligten sind optimistisch, dass man sich demnächst einigt. Es wäre der Start für das wohl ungewöhnlichste Geschichtsprojekt der vergangenen Jahre, ein Abenteuer mit ungewissem Ausgang - für alle Beteiligten.
So stellt der Dienst den Historikern ausdrücklich frei, was sie erforschen. Vermutlich werden sie der Frage nachgehen, wie es der BND in seiner Frühphase mit Mitarbeitern hielt, die an Holocaust und Kriegsverbrechen beteiligt waren. Ebenso gut möglich, dass sie wissen wollen, wer in Parteien, Unternehmen und Medien heimlich für den BND gespitzelt oder ob Pullach den Partnerdiensten in Amerika oder Frankreich bei Mordaktionen geholfen hat.
Nie zuvor hat der Dienst Wissenschaftler in sein Archiv gelassen, von dem ehemalige Mitarbeiter raunen, es würde die Republik erschüttern, wenn seine Geheimnisse an die Öffentlichkeit kämen. Andere behaupten hingegen, es handele sich um ein chaotisches, von Wassereinbrüchen mehrfach heimgesuchtes Aktenlager, und die wichtigsten Papiere hätten die Geheimen sowieso bei ihrer Pensionierung jeweils mit nach Hause genommen oder vernichtet.
Die Wissenschaftler dürfen alles sehen, aber nicht alles schreiben
Welche Version zutrifft, werden die externen Wissenschaftler erst noch herausfinden müssen, und das wird möglicherweise länger als die vier Jahre dauern, die für die Arbeit der Kommission vorgesehen sind. Der Dienst hat nämlich nach eigenen Angaben erst 5000 Akteneinheiten erschlossen, die dreifache Menge muss noch zugänglich gemacht werden. Ein BND-internes Team unter der Leitung des BND-Mannes Bodo Hechelhammer - ein promovierter Historiker - soll das jetzt vorantreiben.
Und der Zustand des Archivs ist vermutlich noch das kleinere Problem. Denn die Wissenschaftler sollen zwar alles sehen, aber nicht alles schreiben dürfen. Ausdrücklich behält sich der Dienst vor, aus Gründen des Geheimschutzes sein Veto einzulegen. Wahrscheinlich wird darüber später in vielen Einzelfällen verhandelt werden müssen. Da kommt es dann sehr darauf an, welche Grundhaltung der BND und das ihm vorgesetzte Kanzleramt einnehmen.
Zur Zeit betonen alle Beteiligten, man wolle auf keinen Fall eine Zensur ausüben. Für die Glaubwürdigkeit von BND-Präsident spricht dabei, dass er schon seit Jahren versucht, das Geschichtsprojekt voranzutreiben. Immer blockte das Kanzleramt. Die geplante Einsetzung der Historikerkommission spricht dafür, dass Uhrlau jetzt die Unterstützung der Regierungszentrale hat. Aber Uhrlau wird voraussichtlich Ende des Jahres pensioniert, und ob ein Nachfolger das Projekt mit gleicher Verve vorantreibt, ist völlig offen.
Wie fremd dem Dienst Transparenz im Umgang mit der eigenen Geschichte ist, hat sich erst kürzlich wieder erwiesen. Die Journalistin Gaby Weber musste vor dem Bundesverwaltungsgericht klagen, um Einblick in die BND-Akten zum SS-Obersturmbannführer Adolf Eichmann nehmen zu können. Der BND führte ernsthaft die Sicherheitsinteressen der Bundesrepublik Deutschland ins Feld. Wohlgemerkt: Eichmann ist vor 49 Jahren in Israel hingerichtet worden.