Neue Hitler-Welle »Grüße Ihres A. H.«
Er ist wieder da, 28 Jahre nach der Selbstvernichtung im Berliner Führerbunker, in Buchläden, an Kiosken und auf Kino-Leinwänden: Adolf Hitler kehrt in das öffentliche Bewußtsein der Deutschen zurück.
Wie noch nie zuvor in der deutschen Nachkriegsgeschichte wälzt sich eine Flut neuer Hitler-Publikationen auf den Bundesbürger zu. Rechtzeitig zum 40. Jubiläumsjahr der nationalsozialistischen Machtergreifung werden Bücher und Filme Millionen Deutsche dem Gründer und Verderber des Dritten Reiches und mithin ihrer eigenen Vergangenheit konfrontieren. Experten sprechen bereits von einer Hitler-Renaissance.
»Hitler ist für Verleger anscheinend wieder ein Geschäft«, vermutete die »Welt«, und die Nachrichten aus den Verlagshäusern bestätigen die Annahme: Die hohen Ziffern der Vorbestellungen (Startauflage der beiden wichtigsten Hitler-Bücher der Saison: je 50.000) offenbaren ein neuerwachtes Interesse der Deutschen am Thema Hitler.
Dabei kommt die neue Hitler-Welle vorwiegend aus dem Ausland, vor allem aus Amerika. Das abnehmende Interesse am Horrorthema Vietnam hatte schon vor zwei Jahren amerikanische Verlage veranlaßt, ihre Produktion auf gängigere Bösewichter wie Hitler umzustellen. Ein US-Verleger: »Schließlich fühlt sich eine Menge Leute beim Zweiten Weltkrieg wohler als beim Vietnamkrieg.«
Bereits im Herbst 1972 registrierte der amerikanische Buchhandel 19 neue Hitler-Titel. »Der Führer wird von Mal zu Mal größer an den Kiosken und in den Buchläden Amerikas«, meldete der New Yorker »National Observer«. Filme ("The Producer") und Theaterstücke ("Hitler Dances") über Großdeutschlands Führer begeisterten das Publikum, der Titel einer Film-Komödie gab dem bizarren Hitler-Kult einen Namen: »Springtime for Hitler« -- Frühling für Hitler.
Der Hitler-Rummel griff auf andere Länder über. Verlage in England, Dänemark, Schweden und Italien brachten Neuauflagen des Hitler-Buches »Mein Kampf« auf den Markt, das Florentiner Teatro Laboratorio dramatisierte das Kampf buch, das Scheichtum Adschman am Persischen Golf druckte eine Hitler-Briefmarke.
Auch Englands Film- und Fernsehindustrie bemächtigte sich des Führers: Die BBC bereitete eine 26teilige Hitler-Serie vor, die unabhängige ITV brachte »The Death of Adolf Hitler« auf die Mattscheiben, Produzent Wolfgang Reinhardt drehte mit Sir Alec Guinness in der Hauptrolle das Mammut-Lichtspiel »Hitler -- The last ten days«. Der »Daily Mirror« spottete: »It's Oscar Time for Adolf.«
Zugleich zogen die Preise für Hitler-Requisiten an. Des Führers Parade-Mercedes von 1941 brachte auf einer Auktion in Arizona 490.000 Mark ein -- der teuerste Gebrauchtwagen der Welt. Bei einer Versteigerung in München zahlte ein Käufer ("Hitler ist mehr gefragt, als wir ahnen") für einen Rede-Entwurf des NS-Chefs 2000 Mark, ein handsigniertes Führerbild trug 2600 Mark ein.
Schließlich schwappte die Hitler-Welle auch auf die Bundesrepublik über -- seit langem erwartet von Historikern und Autoren, die sich seit Jahren darauf vorbereiten, das gängige Hitler-Bild der Deutschen zu korrigieren.
Erste Vorreiter wie der Schriftsteller Walter Kempowski ("Haben Sie Hitler gesehen?") und Hitler-Romancier Peter Haage ("Der Tip") stimmten das Bundesvolk in das Thema ein. Helmut Qualtingers »Mein Kampf«-Lesungen kündeten die Hitler-Hausse ebenso an wie Faksimile-Nachdrucke aus dem »Völkischen Beobachter« und Erwin Leisers Filmdokumentation »Mein Kampf«, die eine Filmfirma seit Januar in sechs Super-8-Kassetten (Preis: 430 Mark) anbietet.
Doch das war nur Vorgeplänkel, das große Hitler-Spektakulum beginnt erst in dieser Woche: Der Düsseldorfer Econ-Verlag liefert ein Buch des Führer-Biographen Werner Maser mit bisher unbekannten Briefen und Notizen Hitlers aus.
Bald darauf werden weitere Titel erscheinen: Ullstein präsentiert im April zwei zeitgeschichtliche Evergreens, »Hitlers letzte Tage« von Hugh Trevor-Roper und »Hitler -- Die letzten zehn Tage« von Gerhard Boldt, unmittelbar gefolgt von einer im Diana-Verlag erscheinenden Studie des amerikanischen Historikers Harold C. Deutsch über einen der folgenreichsten Hitler-Coups, die »Entmachtung der Generale« -- so der Untertitel des Buches.
Dann kommt Molden mit dem umstrittenen Hitler-Psychogramm des US-Psychiaters Walter Langer ("The Mind of Adolf Hitler"), Bertelsmann läßt sich von dem Hamburger Journalisten Uwe Bahnsen und dem US-Publizisten James O'Donnell noch einmal das Drama im Führerbunker ("Zehn Nächte ohne Morgen") beschreiben. Bechtle legt eine verbesserte Version von Masers Hitler-Biographie. die Deutsche Verlags-Anstalt eine Neuauflage von Masers »Frühgeschichte der NSDAP« (neuer Titel: »Sturm auf die Republik") vor.
Im Herbst erwarten die Hitler-Fans einen besonderen Hit: Der Propyläen-Verlag offeriert Joachim Fests Hitler-Biographie, von emsigen Werbern bereits als »das gefragteste Buch dieses Jahres« angekündigt. An Werbemitteln wird es nicht fehlen; der »Stern« plant, im Sommer in einer 15teiligen Serie 120 Seiten des Fest-Buchs abzudrucken, auch die »Frankfurter Allgemeine Zeitung« bringt einige Kapitel aus dem 1000-Seiten-Werk ihres künftigen Mitherausgebers.
Selbst danach wird die Hitler-Welle noch weiterrollen. Flinke Filmer drehen bereits an dem Hitler-Streifen »Das bittere Ende«, ein anonymer Drehbuch-Autor ließ ins Titelschutzregister »Das Privatleben des Adolf Hitler« eintragen. Und im Propyläen-Verlag wird bereits ein neues Hitler-Manuskript des britischen Historikers David Irving (Thema: der Feldherr Hitler) satzfertig gemacht, während in den USA der Stalin- und Mao-Biograph Robert Payne sein Buch »The Life and Death of Adolf Hitler« abschließt.
Eine solche Flut von Hitler-Materialien alarmierte schon frühzeitig besorgte Kulturkritiker, die in dem jäh erwachten Interesse an NS-Themen einen Rückfall in die restaurativen Denkgewohnheiten der frühen Nachkriegs-Gesellschaft befürchten. »Handelt es sich um eine Nostalgie des Verruchten?« fragte die Lichtspiel-Korrespondenz »Filmreport«, und auch der amerikanische Literaturkenner Wesley Pruden wunderte sich: »Wer hätte geglaubt, daß das Dritte Reich noch einmal einen Frühling erleben würde.«
Hans Habe, Axel Springers Presse-Kassandra, witterte gar in der Hitler-Renaissance »ein ungemein geschicktes Ablenkungsmanöver« der Linken, die das Unrechtssystem des Kommunismus vernebeln wolle. Habe: »Wer den Linksextremismus verkaufen will, muß das Gespenst des Rechtsextremismus an die Wand malen.«
»Hitler -- mit menschlichem Maß kaum zu messen?«
Ärger kann man freilich die Zeichen der Zeit nicht mißdeuten. Die neuen Hitler-Biographen wie der Liberal-Konservative Maser, der einstige Junge-Union-Anhänger Fest, der Neo-Konservative Irving oder der CDU-Sympathisant Bahnsen sind schwerlich der Linken zuzurechnen.
Ihre Arbeiten und der Widerhall, den sie offenkundig finden, sind (bei aller Skepsis gegenüber jedem Versuch, einer Mode dieser Art allzu konkrete und einheitliche Motive zu unterschieben) eher als eine Reaktion auf die Faschismus-Thesen zu verstehen, mit denen linke Politologen und Soziologen die Wirklichkeit des Dritten Reiches in den engen Rahmen einer alles erklärenden Doktrin zu pressen versuchen.
So schwammig ist dieser Faschismus-Begriff, daß er sowohl die rechtsautoritären Bewegungen der dreißiger Jahre als auch die heutigen bürgerlich-kapitalistischen Systeme umschließt. In solcher Optik verliert ein speziell deutsches Phänomen wie der Nationalsozialismus seine Konturen, gehen Einsichten in die konkreten Zusammenhänge der deutschen Katastrophe verloren.
Ergebnis: Die zentrale Gestalt Hitlers, ohne die das Dritte Reich nicht denkbar ist, wird »ins Schemenhafte zurückgedrängt« (so der Politologe Karl Dietrich Bracher), gerät zum farblosen Werkzeug monopolkapitalistischer Unterdrückung.
Die linken Faschismus-Theoretiker wissen denn auch wenig mit der Figur Hitlers anzufangen. Sie haben bisher auf jeden Versuch verzichtet, eine Hitler-Biographie zu schreiben, selbst die Historiker der DDR, seit Jahrzehnten zum planmäßigen Aufarbeiten neudeutscher Geschichte eingesetzt, meiden eine detailliert-biographische Beschäftigung mit dem Diktator. Wer spürt nicht ihre Verlegenheit, wenn etwa der junge westdeutsche Politologe Stefan Jensen in einer jüngst erschienenen Bertelsmann-Publikation ("Panorama der deutschen Geschichte") zu der umwerfenden Erkenntnis gelangt, »daß die Person Hitlers nicht beherrschend im Mittelpunkt gestanden hat«.
Solche Formeln enthüllen eine Hilflosigkeit, die marxistische Faschismus-Theoretiker freilich mit manchen konservativen und liberalen Historikern teilen. Michael Freund meinte einst in seiner »Deutschen Geschichte«. Hitler sei »mit menschlichem Maß kaum zu messen«, und Golo Mann war die Figur so widerwärtig, daß er sich oft weigerte, den Namen Hitler auszuschreiben -- er begnügte sich dann mit dem Initial H.
In derlei emotionalen Reaktionen schlug sich noch einmal nieder, wie schwer es Biographen und Historikern fällt, die Person Hitlers glaubwürdig zu erklären. Wie kein anderer Staatsmann des 20. Jahrhunderts hat Adolf Hitler zunichte gemacht, was Fortschrittsglaube und modernes Selbstbewußtsein für den unvermeidlichen Gang der Geschichte hielten.
»Lehrer seiner selbst, Organisator einer Partei und Schöpfer ihrer Ideologie, Taktiker und demagogische Heilsgestalt, Führer, Staatsmann und während eines Jahrzehnts Bewegungszentrum der Welt« (so Fest), hinterließ Hitler der Nachwelt eine beklemmende Botschaft, die dem Emanzipationsglauben der Moderne zu schaffen macht, sosehr er sich auch über die Irrationalismen der Zeit erhaben fühlt: daß Wahnideen und Zwangsvorstellungen ein ganzes Volk mobilisieren können, wenn nur der Machtwille eines genialen Demagogen sich mit den Sehnsüchten der Massen vereinigt.
Nie konnten Hitlers Gegner den Schock überwinden, den sie erlitten hatten, seit Deutschland dem Braunauer zugefallen war. Mancher von ihnen erlag der Faszination des Bösen und fragte sich später voller Scham, wie es möglich gewesen war, daß ihm dieser Mann einmal imponiert, ja ihn sogar zu der Überzeugung gebracht hatte, Demokratie und Humanität seien nicht mehr gefragt.
Desto dringender stellte sich die Frage, wer jener Hitler gewesen war, der auf seine Art Jacob Burckhardts Erkenntnis illustrierte, die Geschichte liebe es zuweilen, sich in einem Menschen zu verdichten, dem daraufhin die Weit gehorche. Hitler aber entzog sich fast allen biographischen Bemühungen, schien nicht greifbar, blieb menschlich leer und maskenhaft.
Es hatte freilich von Anfang an nicht an Versuchen gefehlt, die Figur Hitlers zu ergründen. Konrad Heiden, Leiter des Demokratischen Studentenbundes an der Münchner Universität und Mitarbeiter der »Frankfurter Zeitung«, war der erste und einflußreichste unter den Hitler-Biographen.
Der überzeugte Republikaner verfolgte jede Spur Hitlers, seit er in München Mitte der zwanziger Jahre Zeuge des Aufstiegs des NS-Parteichefs geworden war. Wo immer Hitler redete und agitierte, stets saß der Journalist Heiden dabei und notierte.
Daraus formte sich ihm ein Bild Hitlers. das er in zahlreichen, zumeist in der Emigration geschriebenen Büchern ("Geschichte des Nationalsozialismus«, 1932; »Adolf Hitler«, 1936/37; »Der Führer«, 1944) mit immer weiteren Details anreicherte. Heiden sah in Hitler eine Abenteurernatur, auf den Parkbänken und in den Obdachlosenasylen Wiens zum fanatischen Verächter demokratischer Zivilisation und bürgerlicher Gesellschaft geworden, durch die Ermüdung der Proletarier und Kapitalisten an die Macht gekommen, dabei unsicher und zerrissen ("Geht nur voran, wenn er weiß, daß andere folgen") -- Symbolfigur für »das Zeitalter der dämonischen Hanswürste«.
Heidens Hitler-Bild bestimmte eine ganze Generation von Biographen und Historikern. Fast alle Autoren -- so der ehemalige »Berliner Tageblatt«-Redakteur Rudolf Olden in seinem Buch »Hitler the Pawn« (1936) und Ludwig Wagner in seinem »Hitler: Man of Strife« (1942) -- griffen auf Heidens Material zurück.
Doch dem Hitler-Gegner Heiden war es nicht um historiographische Objektivität gegangen, er verstand seine Bücher in erster Linie als antifaschistische Kampfschriften. Er verfügte kaum über Originaldokumente; die Aussagen der Zeugen, die er befragt hatte, hielten kaum einer wissenschaftlichen Nachprüfung stand.
Die Hitler-Biographen verzichten auf Quellenforschung.
Erst Anfang der fünfziger Jahre begann sich die Hitler-Diskussion zu versachlichen. 1952 präsentierte der Oxford-Professor Alan Bullock eine Hitler-Biographie (Untertitel: »Eine Studie über Tyrannei"), die wissenschaftliche Ansprüche erhob. Aber auch dieses Werk konnte nicht überzeugen: Bullock schrieb im Grunde nur Heidens Arbeit fort und bediente sich dabei längst gedruckter Quellen -- eigene Forschungen betrieb er nicht.
Bullocks offensichtliche Schwächen bewogen freilich auch nicht die westdeutschen Historiker, mit gründlichen Forschungen zu beginnen. Man fuhr auf den alten Geleisen weiter: Die neue Generation der Hitler-Biographen, Autoren wie Walter Görlitz und Herbert A. Quindt, Karl Dietrich Bracher, Helmut Heiber und Hans Bernd Gisevius, begnügte sich damit, die alten Quellen neu zu interpretieren.
Gegen eine so »voreingenommene und befangene Methode, Geschichte zu schreiben«, aber rebellierte ein temperamentvoller Ostpreuße, der nicht zufällig die Welle der neuen Hitler-Bücher dieses Jahres eröffnet:
Der Historiker Dr. Werner Maser, 50, von der Münchner Hochschule für Politik korrigierte durch jahrelange Forschungen das überkommene Hitler-Bild.
Seltsame Zufälle hatten den Sohn eines Landwirts und Pferdezüchters mit seinem Forschungsobjekt verbunden. 1936 war Maser in Königsberg seinem Führer begegnet. Hitler: »Was willst du einmal werden?« Maser: »Schriftsteller.« Ab 1941,50 sagt Maser, habe er sich »mit dem Gedanken vertraut« gemacht, später eine Hitler-Biographie zu schreiben.
Dem 55-Chef Himmler wurde er denn auch schon im September 1944 als der »künftige Führerbiograph und Historiker des Nationalsozialismus« vorgestellt. Himmler enttäuschte freilich Maser: »Jetzt wird nicht Geschichte geschrieben. Jetzt wird Geschichte gemacht.«
In den Steinbrüchen am Schwarzen Meer aber hatte der hochdekorierte Infanterieoffizier und Kriegsgefangene Maser Gelegenheit, über die Katastrophe des Hitlerismus nachzudenken. Ein prominenter NS-Gegner half ihm später dabei: Ernst Nickisch, Professor an der Ost-Berliner Humboldt-Universität, auch er ein Hitler-Experte ("Hitler -- ein deutsches Verhängnis").
Nickisch erwählte sich 1950 Maser zum Assistenten und ermunterte ihn, von den Hitler-Studien nicht mehr abzulassen. Von Nickisch stammte auch das Thema von Masers Dissertation: »Die Organisierung der Führerlegende.« Maser hatte das Thema seines Lebens gefunden.
»Alle Hitler-Biographen müssen ihre Bücher neu schreiben.«
Nach Westdeutschland übergesiedelt, erkannte Maser bald, daß die damalige Hitler-Forschung kaum über zuverlässige Quellen verfügte. Schon ein paar Stichproben bewiesen ihm, daß Heidens Unterlagen nur allzu fragwürdig waren. Vergebens suchte Maser nach neuem Material.
Da setzte sich eines Tages in einem Münchner Lokal ein Mann, der sich Werner nannte, an Masers Tisch und erzählte ihm Einzelheiten aus Hitlers Leben. von denen Maser nie gehört hatte. Er erinnert sich: »Ich dachte zunächst, der Mann flunkert. Aber dann stellte sich heraus, daß er im Hauptarchiv der Partei gearbeitet hatte. Ich ließ natürlich nicht locker und fand -- über allerlei Mittelsleute schließlich die Dokumente der NSDAP in den USA.«
Maser ließ sich 1951, als GI verkleidet, in die Berliner Lagerräume der US-Armee einschmuggeln, in denen Kisten mit Dokumenten des ehemaligen Hauptarchivs der NSDAP lagerten. Er fand Berichte, Briefe und Akten über Hitlers Leben. Wichtigster Fund: ein Tagebuch der Partei aus den Jahren 1920 und 1921 mit kritischen Eintragungen über Hitler.
Der Fund spornte Maser an, nach weiterem Hitler-Material zu fahnden. Er spürte alte Kirchenbücher und Geburtsdokumente in Hitlers österreichischer Heimat auf, er stieß auf die angeblich verschwundenen Krankenberichte der Führer-Ärzte. Er gewann vor allem das Vertrauen der Verwandten Hitlers, die ihm ihre gesamten Familiendokumente zur Verfügung stellten.
Am Ende konnte er manche Hitler-Legende zerstören: In seiner »Frühgeschichte der NSDAP« (1965) zeichnete er die ersten Gehversuche des Parteiführers nach, in dem Buch »Hitlers »Mein Kampf'« (1966) erzählte er die wahre Entstehungsgeschichte des am wenigsten gelesenen Bestsellers deutscher Geschichte.
Schließlich breitete er in seiner Hitler-Biographie (1971) das ganze Material seiner Erkundungen aus. Von dem Hitler der alten Legende blieb wenig übrig: Der Judenabkömmling Hitler erwies sich ebenso als ein Produkt der Phantasie wie der Frauenverächter, der einzelgängerische Sonderling oder der Homosexuelle. Die Fachwelt staunte. »Eine Fülle von Einzelheiten, die bisher unbekannt, umstritten oder legendenumwoben waren, erscheinen nun in einem klareren Licht« (Professor Andreas Hillgruber). Die »Frankfurter Rundschau« urteilte, Maser zwinge »alle Hitler-Biographen, ihre Bücher, was den Tatsachengehalt angeht, neu zu schreiben«.
Maser glaubte freilich nicht, daß er damit das letzte Wort über Großdeutschlands Führer gesagt hatte. Maser rechnet stets mit neuen Überraschungen.
Sie kamen in der Tat: Kurz nach der Veröffentlichung von Masers Hitler-Biographie erreichten ihn völlig unbekannte Briefe und Notizen Hitlers, die von Feldpostbriefen an den Vermieter Popp ("Viele Grüße Ihres A. H.") bis zu Redeentwürfen und Texten des Kanzlers reichen. Hitlers Papiere werden jetzt in einem Buch veröffentlicht, das der SPIEGEL in einer Serie (angereichert mit einem zusätzlichen, im Buch nicht enthaltenen Text Masers) abdruckt.