Melanie Amann

Die Lage am Morgen Wie Baerbock ihre Plagiate erklärt

Melanie Amann
Von Melanie Amann, Mitglied der Chefredaktion

Liebe Leserin, lieber Leser, guten Morgen,

heute geht es um die Konzepte von Annalena Baerbock gegen künftige Naturkatastrophen, um die Eruptionen von Armin Laschet und die Frage, woran man in der Coronakrise die Freiheitsfreunde erkennt.

Baerbock über das Baerbook

Es scheint in diesen Tagen zwei Versionen von Deutschland zu geben. Wer in Berlin lebt, der erlebt das sonnige, sommerliche Deutschland, wo die größte Sorge ist, ob das Lieblingslokal noch einen Tisch für vier hat oder wie die Coronalage im geplanten Urlaubsland aussieht. Und dann gibt es das andere Deutschland, in dem Menschen binnen Minuten alles verloren haben, ihre Häuser, ihre Betriebe und wohl mehr als 180 Menschen sogar ihr Leben.

Es ist surreal, in dem sonnigen, sorgenfreien Deutschland zu leben und dann die Bilder aus diesem anderen Deutschland zu sehen. Bilder, die man sonst kennt aus anderen Teilen der Welt, in denen ein Taifun, ein Erdbeben oder ein Tsunami gewütet haben. Oder wie Angela Merkel sagte: »Die deutsche Sprache kennt kaum Worte für die Verwüstung, die hier angerichtet ist.« Nach der Kanzlerin und Finanzminister Olaf Scholz reist heute auch Innenminister Horst Seehofer in die Flutgebiete.

Das von der Flut zerstörte Dorf Schuld in Rheinland-Pfalz

Das von der Flut zerstörte Dorf Schuld in Rheinland-Pfalz

Foto: Boris Roessler / dpa

In zehn Wochen ist Bundestagswahl, und ob man nun im sonnigen oder im überfluteten Deutschland lebt, in dem heilen oder dem zerstörten Teil – viele Leute dürften ihre Wahlentscheidung auch danach ausrichten, welche Partei die besten Antworten darauf hat, was die Ursachen dieser Katastrophe waren, und wie solche Ereignisse künftig verhindert werden sollten.

Und dabei geht es weniger um die Frage, ob die extremen Wetterereignisse mit dem menschengemachten Klimawandel zu tun haben – diese Frage bestreitet wohl nur noch die AfD. »Also ich sehe zunächst mal eine Unwetter-Wetterlage, wie man sie im Sommer manchmal hat. Die ist dieses Mal besonders krass ausgefallen«, sagte AfD-Chef Jörg Meuthen soeben im ZDF-Sommerinterview . »Inwieweit Klimawandel-Phänomene diese Geschichte nun verstärkt haben, das wissen wir nicht.« Ob Meuthen mit »wir« nur seine eigene Partei meint? Vielleicht wissen AfD-Leute wirklich nicht, wie der Klimawandel sich auf das Wetter auswirkt?

Annalena Baerbock, Kanzlerkandidatin der Grünen

Annalena Baerbock, Kanzlerkandidatin der Grünen

Foto: Omer Messinger / EPA

Aber die Frage dieser Woche dürfte eher sein, wie der Katastrophenschutz in Deutschland verbessert werden muss. Die grüne Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock, die ihren Urlaub wegen der Hochwasser vorzeitig beendet hat, äußert sich dazu im Gespräch mit meinen Kollegen Martin Knobbe und Jonas Schaible. »Deutschland hatte das große Glück, über Jahrzehnte relativ wenige Naturkatastrophen erleben zu müssen«, sagt Baerbock. »Das hat aber auch dazu geführt, dass Katastrophenschutzmaßnahmen nicht ausreichend ausgebaut wurden – obwohl Experten seit Jahren vor klimabedingten Extremwettereignissen warnen. Es wurde nicht ausreichend Vorsorge getroffen.«

Die Grüne will deshalb »den Katastrophenschutz neu formieren, und der Bund muss dafür mehr Verantwortung übernehmen«. Hochwasser oder Waldbrände geschähen oft an mehreren Orten zur selben Zeit. Deshalb wünscht sich Baerbock »eine Instanz, die alle Kräfte bündelt, die schnellstmöglich aus ganz Deutschland oder EU-Nachbarstaaten Hubschrauber oder Spezialgeräte zusammenzieht«.

Aber Baerbock wäre keine Grüne, wenn sie nicht auch den Klimaschutz betonen würde: »Die politische Haltung einiger Parteien in diesem Land – so schlimm wird es schon nicht werden, und im Zweifel trifft es andere Regionen der Welt – können wir uns nicht länger leisten«, sagt sie.

Meine Kollegen haben Baerbock übrigens auch gefragt, wie die Plagiate in ihrem Buch zustande gekommen sind. Die Erklärung lautet ungefähr so: Sie lese und notiere viel, und leider hätten in den Notizen dann die Quellen gefehlt. Außerdem habe sie, um Faktenfehler zu vermeiden, Details in »öffentlichen Quellen« nachgeprüft, nur dies leider nicht angegeben. Würde Baerbock dieses PR-Projekt rückblickend noch mal machen? Lesen Sie die Antwort selbst:

Laschet und der Kontrollverlust

Für Armin Laschet waren es Katastrophentage, und das liegt nur zum Teil daran, das sein Land Nordrhein-Westfalen von der Hochwasserkatastrophe verwüstet wurde. Der Kanzlerkandidat hat in diesem Kontext zwei missglückte Auftritte hingelegt. Zuerst kam ein Interview im WDR Fernsehen, in dem der Ministerpräsident gelöchert wurde, ob das Hochwasser nicht Anlass sei, sich noch mehr für den Klimaschutz einzusetzen. Laschet, sichtlich genervt, antwortete: »Weil jetzt so ein Tag ist, ändert man nicht die Politik.« Als hätte Nordrhein-Westfalen einfach nur keinen ganz optimalen Tag hinter sich, anstatt einer Jahrhundertflut – kein Anlass für große politische Veränderungen.

Armin Laschet während des Pressestatements des Bundespräsidenten in Erftstadt

Armin Laschet während des Pressestatements des Bundespräsidenten in Erftstadt

Foto: Marius Becker / dpa

Wenig später sahen die Fernsehzuschauer Laschet dann kichernd und feixend im Hintergrund stehen, während im Vordergrund Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier im Flutgebiet ein ernsthaftes, teilnahmsvolles Statement zu den Opfern der Tragödie abgab.

Es waren zwei sehr unterschiedliche Auftritte, die aber eines zeigen: Laschet, der Vollprofi, seit 1994 Berufspolitiker, ist unbeherrscht. Er neigt zum Kontrollverlust, vor allem unter großem Druck. Die unkontrollierte Entladung kann mal ein unpassendes Gekicher sein, mal ein pampiger Spruch. Bitte nicht falsch verstehen: Laschet wäre nicht der erste Kanzler mit einer kurzen Lunte, siehe Gerhard Schröder. Auch Menschen, die zu unkontrollierten Eruptionen neigen, können kanzlertauglich sein – (die meisten scheinen sich aber dann doch für die Medienbranche zu entscheiden). Diese Leute haben es viel schwerer auf dem Weg in das begehrte Amt, denn irgendwo fängt doch immer eine Kamera ein unpassendes Grinsen ein, oder verstärkt ein Mikrofon einen frustrierten Fluch, wie bei Annalena Baerbock nach einer Parteitagsrede.

Insofern ist bisher nur SPD-Kanzlerkandidat Olaf Scholz unfallfrei durchgekommen. Wer wie Laschet eigentlich einen Schlafwagen-Wahlkampf geplant hatte, weich und formlos, ohne steile Thesen oder Polarisierung, der kann es am wenigsten gebrauchen, dass die Videoschnipsel seiner Ausraster in Endlosschleife in sozialen Medien laufen. Im Kanzleramt wäre für Laschet dann gewissermaßen jeden Tag Hochwasser, was das Stresslevel angeht.

Mein Bauchgefühl sagt, dass uns der eruptive Laschet noch einige Male begegnen dürfte in diesem Wahlkampf. Aus Bürgerinnensicht würde man es sich auch wünschen. Angela Merkel hat in ihren fast 16 Jahren im Amt die gestanzte Sprache und steife Mimik perfektioniert. Man sieht Merkel ständig und kennt sie doch nicht. Armin Laschet kennt man seit diesem Wochenende ein bisschen besser.

Freedom für Mensch und Tier

Heute ist »Freedom Day« im englischen Teil von Großbritannien, alle Coronamaßnahmen werden dort aufgehoben. Die Leute sollten aber weiter vorsichtig sein, warnte Premierminister Boris Johnson. Ich bin wirklich gespannt, wie sich dieser Schritt auswirkt, der auf mich ein bisschen verrückt und gemeingefährlich wirkt. Aber vielleicht bin ich auch einfach nicht freiheitsliebend genug, wie es gelegentlich in kritischen Leserbriefen heißt.

In Deutschland werde es weiterhin bei der Masken- und Testpflicht bleiben, hat die Kanzlerin neulich angekündigt – damit die Infektionszahlen niedrig bleiben und noch schärfere Eingriffe in persönliche Freiheiten vermieden werden könnten. Ich ahne schon, wie bei diesen Worten den Menschen der Kamm schwillt, die für sich in Anspruch nehmen, mehr von Freiheit zu verstehen als andere. Doch ehe ich hier weiteren Zorn auf mich ziehe, möchte ich auf meinen Kollegen Ullrich Fichtner verweisen, der wahrscheinlich sehr viel böse Post diese Woche bekommen wird. Er hat sich in einer Titelgeschichte mit den Leuten angelegt, die eine Impfung verweigern.

»Die Rede ist von den Zweiflern, den Ängstlichen oder Übervorsichtigen, den Unentschiedenen und Überinformierten. Es geht um all jene, die Hochschulabschlüsse haben und trotzdem an falsche Alternativen glauben. Um alle, die schlicht zu faul sind, sich an einem Impfzentrum in die Schlange zu stellen, jene, die die Krankheit unterschätzen oder die – irrigerweise – darauf spekulieren, bald geschützt zu sein, auch ohne eigene Impfung, weil die Herde ausreichend immun sein wird.« Diese Einstellung kostet Leben, argumentiert Fichtner. Wer weiß, vielleicht kann er ja einige Leute umstimmen?

Sie dürfen leben: Hähnchen auf einem Biohof in Mecklenburg-Vorpommern

Sie dürfen leben: Hähnchen auf einem Biohof in Mecklenburg-Vorpommern

Foto: Bernd W¸stneck/ picture alliance / dpa

Übrigens ist heute nicht nur in England »Freedom Day«, sondern vielleicht auch in Brüssel: Heute könnte ein Tag für das Geflügel in Europa werden: Die EU-Landwirtschaftsministerinnen und -minister beraten auf Antrag von Deutschland und Frankreich über ein Verbot der Praxis, männliche Küken zu töten, weil die für die Industrie weniger lukrativ sind als Hennen. Auch das Thema Käfighaltung steht auf der Tagesordnung. Wenn Sie jetzt denken, das Tierwohl sei neben Hochwasser und Corona dieser Tage eher nebensächlich, möchte ich Sie auf einen Essay von Richard David Precht über Tierethik hinweisen, der heute auf unserer Seite erscheinen soll. Darin führt Precht aus, warum »die Nutztierhaltung in Ställen und auf Weiden einschließlich der Tierfutterproduktion zu den schlimmsten ökologischen Sünden der Menschheit zählt«.

Gewinnerin des Tages …

Kamzy Gunaratnam, stellvertretende Bürgermeisterin von Oslo

Kamzy Gunaratnam, stellvertretende Bürgermeisterin von Oslo

Foto: Sigrid Harms / dpa

…ist für mich Kamzy Gunaratnam, Vizebürgermeisterin von Oslo. Gunaratnam wurde in Sri Lanka geboren und wuchs in Norwegen auf, vor zehn Jahren gehörte sie zum Leitungsteam des politischen Jugendcamps auf der Insel Utøya, wo der Rechtsterrorist Anders Breivik 69 Menschen ermordete, weitere acht hatte er zuvor mit einer Autobombe getötet. Breivik hat Gunaratnam einen langen Brief geschrieben, in dem er unter anderem um eine Begnadigung und bessere Haftbedingungen bat. Die 37-Jährige antwortete mit einem offenen Brief, in dem sie Breivik antwortete: »Ich bin besser als du, Anders. Ich bin eine bessere Norwegerin.«

Mein Kollege Dietmar Pieper hat Gunaratnam in Oslo getroffen. Sie erzählte ihm, dass der Umgang ihrer Landsleute mit dem Jahrestag des Attentats, dem 22. Juli, sie ärgere. Diese süßlichen Reaktionen in Social Media: »Ich brauche keine verdammten Herzchen in meiner Inbox auf Facebook. Ich brauche Leute, die etwas gegen Rassismus tun, gegen Hass.«

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