
Jahrhundert-Regen Bitte nicht noch einen »Fukushima-Moment«


Armin Laschet in Erftstadt
Foto: Sascha Schuermann / Getty ImagesZu den verlässlichen Reflexen in der politischen Öffentlichkeit gehört der Appell, Katastrophen »nicht zu instrumentalisieren« oder damit »keinen Wahlkampf« zu machen.
Das ist für mich so wohlfeil wie durchschaubar: Die Warnungen kommen in aller Regel von jenen, die sich vom jeweiligen Ereignis politisch unter Druck gesetzt sehen. Bei islamistischen Anschlägen ist das oft das Lager links der Mitte. Jetzt, nach der Hochwasser-Katastrophe, ist das Lager rechts der Mitte dran, das angeblich zu wenig für den Klimaschutz tut oder tun will.
Damit werden die betroffenen Parteien und Kandidaten leben müssen, allen voran Armin Laschet. »Wer die Hitze nicht verträgt, hat in der Küche nichts verloren«, sagte Wolfgang Schäuble jüngst, und das kann ja nicht für Annalena Baerbock allein gelten. Wenn diese Jahrhundert-Katastrophe keine Rolle im Bundestagswahlkampf spielen soll, dann können wir ihn an dieser Stelle auch gleich beenden.
Gewiss, es gehören so altmodische Eigenschaften wie Anstand und Pietät dazu, den angemessenen Ton zu treffen. Und wer ihn in einem emotional wie politisch aufgeladenen Moment, im Angesicht von Tod und Zerstörung, nicht richtig trifft – der sollte nicht nur der Küche fernbleiben, sondern auch dem Kanzleramt.
Das galt für die AfD, als sie die Todesopfer islamistischer Anschläge zu »Merkels Toten« erklären wollte. Das gilt für manche Grünen, die Klima- oder Hochwasseropfer zu Armin Laschets Toten machen möchten.
Die schreckliche Prüfung der Zehntausenden von Hochwasseropfern geht also einher mit der Prüfung der drei Kanzlerkandidaten und aller Parteien. Situative Trittsicherheit ist dabei das eine, woran sich Armin Laschet, die rheinische Frohnatur, gerade die Füße gebrochen hat. Schlimm genug, dieser Moment des Kontrollverlustes , peinlich unernst, wo jede Geste zählt. Trotzdem meine ich, dass ein strategisch kühler Kopf genauso wichtig sein wird in der nächsten Zeit. Vermutlich sogar wichtiger.
Gleich einer politischen Versuchung liegt es nämlich nahe, die Flut zum »Fukushima-Moment« der deutschen Klimapolitik machen zu wollen. Wohlgemerkt, auch diese politische Absicht hielte ich – in einem Bundestagswahlkampf – für an sich legitim.
Aber eben auch für dumm: nämlich für ähnlich undurchdacht, wie es der beschleunigte Ausstieg aus der Atomenergie nach dem japanischen Atomunfall 2011 war. Dass es auf einen solchen »Fukushima-Moment« hinauslaufen könnte, ist nicht von der Hand zu weisen. Mit großer Verve erklärt zum Beispiel Bernd Ulrich (»Zeit«) das Unglück zu einer »Nichtnaturkatastrophe«, was den Druck auf jene politischen Positionen maximieren soll, die wegen sozialer oder wirtschaftlicher Erwägungen den Klimaschutz eben nicht absolut setzen wollen.
Diesem Druck zu widerstehen, halte ich für richtig, wiewohl man das in geeignetere Worte kleiden müsste als Armin Laschet, der sagte: »Weil jetzt so ein Tag ist, ändert man nicht die Politik.« Kälter können Worte kaum klingen, wenn an »so einem Tag« weit mehr als hundert Menschen ihr Leben verloren.
Aber ist es darum automatisch auch in der Sache falsch? Natürlich hat eine Unwetterkatastrophe etwas mit der (menschengemachten) Erderwärmung zu tun, diesen Streit müssen wir wirklich nicht von vorn beginnen. Gleichwohl ist es wissenschaftlich und politisch zu diskutieren, wie direkt die kausale Verbindung etwa zum Datum des deutschen Kohleausstiegs oder dem Prozentsatz erneuerbarer Energien an der Stromversorgung ist. Auch nach einer Flut, deren epochale Wucht die Kompromisslosigkeit schlechthin darstellt, ist nicht alles falsch, was vorher ein demokratisch ausgehandelter Kompromiss war. Und schon gar nicht ist alles falsch, weil es »nur« ein Kompromiss war.
Was Armin Laschet und die CDU jetzt schulden, ist mithin nicht ein Anfall von Beschlusseritis in der Großen Koalition, also die Hingabe an einen zweiten »Fukushima-Moment«. Als 2011 das Kernkraftwerk in Japan explodierte, überschlug sich ausgerechnet die damalige Bundesregierung aus CDU/CSU und FDP: Mehr als ein halbes Dutzend deutsche Atomkraftwerke wurden von einem Tag auf den anderen abgeschaltet und gingen nie wieder ans Netz. Eine klima- und energiepolitische Grundsatzentscheidung fiel unter dem Druck eines einzelnen Ereignisses – und zwar, bevor es angemessen ausgelesen war. Das möge sich bitte nicht wiederholen.
Einfach weiter so im Wahlkampf geht indes auch nicht, daran sollten Armin Laschet und die CDU nicht einmal im Traum denken. Mehr denn je schulden sie nun zentrale Konkretisierungen ihrer Klimaschutzpläne, Schluss also mit der schläfrig machenden Verschleierung aller Veränderungen, welche ein Kanzler Laschet angehen würde.
Die Grünen hielten den Kopf hin für ihre 16-Cent-Spritpreiserhöhung, jetzt will man Laschets Preisschild sehen, auf den Cent genau. Man will wissen, ob er eine Mehrheit der Bürger von seinen Plänen überzeugen und zugleich dem politischen Druck einer Naturkatastrophe mit dem Augenmaß der Mitte standhalten kann.
Es braucht keine Glaskugel, um zu erkennen, wie der Wahlkampf sich nun doppelt schürzen wird. Der Klimaschutz entscheidet über Zukunfts-Kompetenz, die vierte Coronawelle über Gegenwarts-Kompetenz. Früher hieß es: Ob jemand Kanzler kann, zeigt sich immer erst, wenn er oder sie im Kanzleramt sitzt und das Regieren beginnt.
Dieses Mal wird es zumindest für Armin Laschet und Olaf Scholz heißen: Ob sie Kanzler können, zeigt sich bereits daran, ob sie auch schon in diesem Wahlkampf wie einer zu handeln verstehen.