“Beleidigungen und absurde Anschuldigungen”: Tim kämpft gegen Homöopathie-Fans bei den Grünen
Dieser Beitrag wurde am 15.11.2019 auf bento.de veröffentlicht.
"Fridays for Future" fordern: "Hört auf die Wissenschaft!" Und auch die Grünen verweisen beim Kampf gegen die Klimakrise auf die Erkenntnisse von Klimaforschern. (Grüne im Bundestag )
In anderen Bereichen tut sich die Partei hingegen schwer mit wissenschaftsbasierter Politik. Seit ihrer Gründung sprechen die Grünen auch Wählerinnen und Wähler an, die der evidenzbasierten Medizin skeptisch gegenüberstehen. Als der Bundestag über die Masern-Impfpflicht abstimmte, enthielten sich am Donnerstag fast alle Grünen-Abgeordneten (Bundestag ). Auch beim Thema Homöopathie ist die Partei gespalten.
Junge Parteimitglieder sind davon zunehmend genervt. So wie Tim Demisch. Der 19-Jährige hatte deshalb für den Parteitag am Wochenende einen Antrag gestellt, der sich gegen Homöopathie als Kassenleistung ausspricht. Mehr als 250 Unterstützerinnen und Unterstützer kamen zusammen – so viele wie für keinen anderen Antrag in der Parteigeschichte.
Aber es gab auch Gegenwind. Die Parteispitze wollte einen Streit unbedingt vermeiden. Über den Antrag wird nun doch nicht abgestimmt – stattdessen soll eine Fachkommission bis Ende 2020 einen Kompromiss erarbeiten (taz ). Die Delegierten müssen diesem Vorschlag auf dem Parteitag aber noch zustimmen.
Ein Dämpfer für die jungen Homöopathie-Kritiker? Wir haben mit Tim Demisch über seinen Antrag und die Esoteriker bei den Grünen gesprochen.
bento: Die Grünen in Bayern haben gemeinsam mit CSU und Freien Wählern für eine Studie gestimmt, die untersuchen soll, ob Homöopathie den Einsatz von Antibiotika teilweise ersetzen kann. Was sagst du zu solchen Vorschlägen?
Tim Demisch: Ich schäme mich und finde das schade. Manche Grüne versuchen, sich herauszureden und sagen, dass in dem Beschluss des bayrischen Landtags noch andere wichtige Dinge standen. Ich verstehe das. Trotzdem ist es fatal, wenn wir so tun, als sei die Homöopathie eine Wissenschaft.
bento: Warum ist dir die Globuli-Frage so wichtig? Tatsächlich geht es ja um verhältnismäßig wenig Geld. Die Techniker Krankenkasse sagt, dass der Anteil von Homöopathie an ihren Gesamtausgaben im Promillebereich liege.
Tim: Mir und den Unterstützerinnen und Unterstützern des Antrags geht es nicht um Geld, sondern ums große Ganze: Darum, dass wir unsere Gesundheitspolitik nach der Wissenschaft ausrichten. Uns stört es, dass es noch Positionen und auch Personen in der Partei gibt, die unwissenschaftlich argumentieren oder die Wissenschaft komplett ignorieren. Wir sollten in allen Politikfeldern eine Wissenschaftspartei werden.
bento: Hat dich der Erfolg deines Antrags überrascht?
Tim: Das ist ein Konfliktthema in der Partei. Es war also zu erwarten, dass der Antrag Beachtung findet. Aber dass er so hohe Wellen schlägt, hätten wir nicht gedacht.
bento: Es gab ja auch viele negative Reaktionen, das Thema spaltet die Partei.
Tim: Ja. Ich wurde mit Beleidigungen und absurden Anschuldigungen übergehäuft. Das scheint im politischen Rahmen leider üblich zu sein. Mir wurden beispielsweise Machenschaften mit der Pharmaindustrie vorgeworfen. Es gab aber auch viel sachliche Kritik.
bento: Vor allem junge Grüne treiben das Thema voran. Warum?
Tim: Ich sehe bei jungen Menschen ein stärkeres Bekenntnis zur Wissenschaftlichkeit. Auch "Fridays for Future" steht ja unter dem Leitspruch "Unite behind the Science". Dinge wie die sogenannte Alternativmedizin spielen für sie kaum eine Rolle. Ich würde aber nicht sagen, dass das vom Alter abhängt, sondern auch vom persönlichen Umfeld.
bento: Glauben denn überhaupt so viele Grüne an Homöopathie – oder gibt es einfach die Angst, dass sonst potenzielle Wählerinnen und Wähler abgeschreckt werden?
Tim: Ich glaube, die Personen, die gegen unseren Antrag sind, befürworten die Homöopathie. Aber es gibt auch Leute, die der Meinung sind, dass man mit dem Thema anders umgehen sollte oder es auf anderem Wege klären könnte als mit unserem Antrag.
bento: Der Bundesvorstand hat das Thema jetzt vertagt. Wie siehst du die Chancen, dass dein Antrag die Haltung deiner Partei ändert?
Tim: Ich bin relativ optimistisch, würde mich aber nicht darauf ausruhen. In der Fachkommission haben wir den Vorteil: Die Wissenschaft steht hinter uns. Wenn bekannte Medizinerinnen und Mediziner unsere Position teilen, dann können wir in diesem Gremium dafür sorgen, dass die Grünen künftig eine kritischere Haltung zur Homöopathie einnehmen.
bento: Du sagst, die Wissenschaft stehe hinter euch. Dann sollte die Fachkommission sich in jedem Fall gegen Homöopathie entscheiden. Was lässt dich noch zweifeln?
Tim: Der Kompromiss, auf dessen Grundlage die Fachkommission eingerichtet wird, ist inhaltlich relativ neutral formuliert. Es wird keine Richtung vorgegeben. Das heißt, dass wir in der Fachkommission nur erfolgreich sein werden, wenn wir uns auch richtig ins Zeug legen, gute Argumente liefern und damit andere überzeugen.
bento: Wen in der Partei hast du schon umgestimmt?
Tim: Viele fühlten sich durch unseren Antrag und die damit verbundene Parteiarbeit ermutigt, neu über das Thema Homöopathie und allgemein über Wissenschaftlichkeit in der Politik nachzudenken. Da haben unsere Aktionen schon einiges bewegt.