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Notizen aus der U-Haft: Erich Honecker packt aus

Foto: Anonymous/ ASSOCIATED PRESS

Honeckers Gefängnistagebuch Scherben einer Biografie

Fünfeinhalb Monate saß Erich Honecker Anfang der Neunziger in U-Haft - "Letzte Aufzeichnungen - Für Margot" heißt das nun erschienene Gefängnistagebuch. Es gibt Einblick in die düstersten Momente eines Gestürzten, der Zwiesprache mit seiner Frau für eine Abrechnung mit der Welt nutzt.

Berlin - Der Eintrag des Tagebuchs vom 7. Januar 1993 klingt, als habe er aufgegeben:

"In dieser Nacht habe ich wieder von Dir, liebe Margot, und von Deinem Nest geträumt. Mein Gott, dass das alles so kam. Es ist kaum zu glauben, wie die Menschen manipuliert werden können. Dieser Hexenprozess, diese Sippenhaft…"

Erich Honecker ist 80 Jahre alt, seit mehr als fünf Monaten sitzt er nun schon in Untersuchungshaft im Gefängnis Berlin-Moabit, seine Lage ist verzweifelt: Ihm drohen weitere Prozesse, am Ende vielleicht eine Haftstrafe, dazu kommt die Krebserkrankung. Und seine Frau Margot und der Rest der Familie sind weit weg in Chile.

Tiefer wird der letzte starke Mann der DDR nicht mehr sinken können.

Doch dann, wenige Tage später, die Überraschung: Die Haftbefehle gegen den ehemaligen Staatsratsvorsitzenden und SED-Generalsekretär - unter anderem wegen Totschlags aufgrund seiner Verantwortung für den Schießbefehl an der innerdeutschen Grenze - werden am 13. Januar aufgehoben. Um 20.25 Uhr sitzt Erich Honecker in der Lufthansa-Maschine, die ihn von Berlin-Tegel nach Frankfurt am Main bringt, von dort fliegt er weiter nach Santiago de Chile.

Einige Stunden später ist Honecker mit seiner Frau Margot im Exil vereint. Anderthalb Jahre später, am 29. Mai 1994, stirbt er dort.

"Letzte Aufzeichnungen - Für Margot" ist Erich Honeckers Tagebuch aus der Berliner Untersuchungshaft betitelt, das in diesen Tagen im Verlag edition ost erscheint. Die edition ost hat schon etliche Bücher ehemaliger DDR-Größen veröffentlicht - und Verlagschef Frank Schumann ist ein Freund der Familie Honecker. Er nahm bei einem Besuch Ende 2011 persönlich die Aufzeichnungen von Erich Honeckers Witwe in Santiago de Chile entgegen. 400 handgeschriebene Seiten, in einem grünen Hefter. Margot Honecker - mehr als ein Vierteljahrhundert DDR-Volksbildungsministerin - ließ es sich nicht nehmen, noch ein Vorwort für die Buchversion zu verfassen.

Alte Männer vor dem Scherbenhaufen ihrer Biografie

Herausgekommen ist damit eine Art doppelte Rechtfertigung für das gescheiterte DDR-Experiment. Einmal Erich Honeckers Aufzeichnungen, die Einblicke in die Gedankenwelt eines verbitterten Ideologen ermöglichen. Das erinnert mitunter frappierend an die Figur des Großvaters in Eugen Ruges großartigem DDR-/Wende-Roman "In Zeiten des abnehmenden Lichts" - eine Art Realsatire: alte Männer vor dem Scherbenhaufen ihrer Biografie, deren Bockigkeit nur noch von ihrer Ignoranz übertroffen wird. Und dann Margot Honeckers Vorwort, die aus Chile gegen den Kapitalismus feuert.

"Lange habe ich gezögert, diese letzten Aufzeichnungen Erich Honeckers aus der Hand zu geben", schreibt seine Witwe. "Sie sind stellenweise wie in einem vertrauten Gespräch mit mir und der Familie geschrieben. Ich meinte, dass man Privates, etwas, das auch Empfindungen offenbart, besser im privaten Raum belassen sollte." Aber nun geht es, wie so oft im Kampf der Ideologen, um die größere Sache. Margot Honeckers Rechtfertigung für ihren Sinneswandel: "So könnten die Aufzeichnungen hilfreich sein in der politischen Auseinandersetzung mit der Geschichte, indem sie einige Wahrheiten ins Licht rücken inmitten der Lügen, Fälschungen und Verleumdungen, die nun schon seit über zwei Jahrzehnten verbreitet werden."

Margot Honecker klingt da beinahe so fatalistisch wie ihr Mann in seinen düstersten Momenten. "Und alles deutet darauf hin, dass auch weiterhin Heerscharen aufgeboten werden, geschichtliche Wahrheiten unter den Teppich zu kehren, den Sozialismus zu diskreditieren, Kommunismus und Kommunisten zu verteufeln", schreibt sie.

In dem Tagebuch erfährt man einige skurrile Anekdoten, wie den gescheiterten Kontaktaufnahme-Versuch mit dem anderen großen DDR-Erich: Der langjährige Stasi-Chef Erich Mielke - Anfang der neunziger Jahre ebenfalls in Moabiter U-Haft - will offenbar nichts mehr mit seinem ehemaligen Chef zu tun haben, als ihn Honecker auf dem Gefängnishof entdeckt und ihn anspricht. Honeckers ungläubiger Eintrag vom 31. Juli 1992:

"…Keine Reaktion. Ich nochmals: 'Erich!' Diesmal mit 'Rotfront', dass es über den ganzen Hof schallte. Wieder nichts. Keine Kopfbewegung, kein suchender Blick. Offensichtlich wollte er nicht reagieren. Ich kann und will nicht glauben, dass er so fertig ist…"

Prozess- und Krankheitsberichte

Aber vor allem berichtet Honecker von dem Prozess, der ihn quält, und der Krebs-Erkrankung, die ihn plagt. Manche Einträge enthalten nicht viel mehr als Honeckers seitenlange Einlassungen vor Gericht. Oder es klingt wie am 9. August:

"Heute ist wieder ein heißer Tag. Bin in der Nacht um drei Uhr aufgewacht. Hatte ein krampfhaftes und starkes Ziehen am Herzen oder in der Herzgegend. Schlief auch nicht mehr ein. War schweißgebadet… Nach dem Frühstück habe ich die fast 800 Seiten der Anklageschrift durchgearbeitet…"

Zwischendurch ergeht sich Honecker in länglichen historischen Schilderungen. Und immer wieder geht es gegen Michail Gorbatschow, den letzten Generalsekretär der KPdSU. Am 11. August schreibt Honecker:

"Im Radio melden sie, dass Gorbatschow nach Berlin kommt, um Ehrenbürger der Stadt zu werden. Welch doppelbödige Moral ist hier am Werke? Der ehemalige Generalsekretär der Kommunistischen Partei der Sowjetunion wird von denselben Leuten ans Herz gedrückt, die einen anderen Generalsekretär einsperren… Gorbatschow hat offenbar nicht bemerkt, wie er zum Schuft wurde."

Honecker fühlt sich von allen verlassen und von jedem missverstanden. Manchmal ist er so frustriert, dass er wochenlang nicht mehr schreibt. Nur seine Frau Margot und die Familie halten aus seiner Sicht noch zu ihm. Dabei soll die Ehe der Honeckers zu DDR-Zeiten zerrüttet gewesen und nur aus Gründen der Partei- und Staatsräson aufrechterhalten worden sein, wie der SPIEGEL Anfang Januar unter Bezug auf BND-Erkenntnisse berichtete. Aus der U-Haft allerdings spricht Honecker seine Frau beinahe zärtlich als "Meine Kleine" an verteidigt sie vehement gegen Anfeindungen und Nachstellungen durch den Westen. Und immer wieder erwähnt Honecker seine Enkel. "Grüß mir Robi und meine kleine Vivi", notiert er am 4. November.

Am Ende wird Erich Honecker auch sie wiedersehen dürfen.

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