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Seehofer im Innenausschuss zur Bamf-Affäre Der Gegenangriff

Er musste sich im Innenausschuss wegen des Bamf-Skandals verteidigen - und drehte die Sache einfach 'rum: Innenminister Seehofer will so brutal aufklären, dass der Weg frei wird für seinen Flüchtlings-Masterplan.

Es ist kurz nach drei an diesem Dienstagnachmittag, als der Bundesinnenminister den Blick durch Raum 2300 im Paul-Löbe-Haus schweifen lässt. Gerade hat Horst Seehofer mit dem Rücken zur Fensterfront Platz genommen, um den Abgeordneten des Innenausschusses Rede und Antwort zu stehen. Dies könnten die wichtigsten Stunden seiner bisherigen Amtszeit werden. Der CSU-Chef schaut sich ganz genau um.

Rechts von ihm sitzt sein Parlamentarischer Staatssekretär Stephan Mayer, einen Platz daneben Jutta Cordt, die Chefin des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (Bamf). Um ihre Behörde und den Skandal in der Bremer Außenstelle geht es eigentlich an diesem Tag - aber politisch längst um die Frage, welche Verantwortung der für das Bamf zuständige Minister dabei trägt.

Wer wie mancher Beobachter davon ausgeht, dass Cordt vor dem Rausschmiss steht und der Innenminister längst von ihr abgerückt ist, für den wirkt Seehofers Parteifreund Mayer wie eine Art Puffer zwischen dem CSU-Vorsitzenden und der Bamf-Chefin. Dabei hat Mayer in der ganzen Sache selbst keine überzeugende Rolle gespielt, vor allem weil er ihm vorliegende Informationen über die Missstände in Bremen nicht unmittelbar an Seehofer weitergab, weshalb dieser erst zweieinhalb Wochen später davon erfuhr.

Aber Cordt ist austauschbar und Mayer politisch zu klein: Seehofer steht längst im Zentrum des Skandals - ob man ihm nun konkret etwas vorwerfen kann oder nicht.

30 Minuten trägt er zunächst vor. Ein souveräner Auftritt, berichten Teilnehmer, offenbar hat sich der Innenminister gut vorbereitet. Vor allem aber scheint Seehofer gewillt zu sein, maximale Distanz zwischen sich und die Vorgänge im Bamf zu bringen. Der CSU-Chef ist durchaus der Meinung, dass man im Innenministerium zu wenig auf die Probleme in der nachgeordneten Behörde geschaut habe, so teilt er es den Ausschussmitgliedern in der Sitzung mit - aber eben vor Mitte März, als Seehofer noch nicht Minister war.

Nach der fünfeinhalbstündigen Sitzung wird er vor den Kameras und Mikrofonen von einem "handfesten, schlimmen Skandal" reden. Er verspreche der Bevölkerung, sagt Seehofer, "dass die Bundesregierung alles tun wird, um aufzuklären und die notwendigen Konsequenzen zu ziehen." Der Innenminister entschuldigt sich sogar "namens der Bundesregierung" bei den Bürgern.

Im Video: "Auch Straftäter wurden durchgewinkt"

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Aber für Seehofer geht es längst nicht mehr nur um Bremen, wo in der dortigen Bamf-Außenstelle offenbar über mehrere Jahre massiver Missbrauch in Asylverfahren stattgefunden hat. Der Fall ist besonders gravierend, steht aber aus seiner Sicht für ein grundsätzliches Defizit. "Ich schaue nicht nur auf Bremen - ich will alles reformieren", sagt der CSU-Politiker während der Sitzung, so berichten es Teilnehmer.

Von wegen geschwächt: Seehofer will die ganze leidige Sache jetzt zu seinen Gunsten drehen.

Sein belächelter Masterplan zur Migration, mit den Ankerzentren als Kernelement, für die er bislang außer aus Sachsen und Bayern nur Absagen der Bundesländer kassiert hat - aus dem Bamf-Versagen und den Defiziten in seinem Haus leitet Seehofer die Notwendigkeit für seine Pläne ab. Weil aus seiner Sicht wirklich einiges neu geregelt werden muss.

Seehofers Doppel-Strategie lautet deshalb: Aufklären und Aufbrechen. Falls man sich am Ende auf einen Parlamentarischen Untersuchungsausschuss einigt, der die ganze Misere noch mal so richtig beleuchtet - umso besser. Dann wird sein Argument, bestehende Strukturen zu verändern, nur noch schlagender, glaubt Seehofer.

Nach der Sitzung sagt er: "Ich bin mit der Situation trotz des dahinterliegenden Skandals zufrieden." Ein klein wenig verräterisch, dieser Satz.

Ob die weitere Aufklärung am Ende den Rausschmiss von Bamf-Chefin Cordt erfordert, vielleicht auch weiterer hochrangiger Mitarbeiter in seinem Ministerium: Hauptsache, er steht als derjenige da, der endlich durchgreift. Ob das seinen Vorgänger Thomas de Maizière von der CDU als das Gegenteil erscheinen lässt, dürfte Seehofer dabei ziemlich gleich sein. Und ob ein Untersuchungsausschuss am Ende dazu führt, dass die komplette Flüchtlingspolitik der vergangenen Jahre hinterfragt wird, der Seehofer immer sehr kritisch gegenüberstand? Darauf legt es der CSU-Chef sicher nicht an - aber er hätte auch kein Problem damit.

Wobei von einem U-Ausschuss an diesem Abend außer bei AfD und FDP, die ein solches Gremium schon zuvor forderten, keine Rede mehr ist. Zunächst wird es eine weitere Sondersitzung des Innenausschusses geben, was die restlichen Fraktionen ausdrücklich begrüßen. Und ganz im Sinne Seehofers sollen dann sein Minister-Vorgänger de Maizière sowie die früheren Bamf-Chefs Frank-Jürgen Weise und Manfred Schmidt eingeladen werden. Möglicherweise geht an Wirtschaftsminister Peter Altmaier, der als früherer Kanzleramtschef auch Flüchtlingskoordinator der Bundesregierung war, ebenfalls eine Einladung.

Je mehr Fehlersuche aus der Zeit vor seinem Start als Innenminister, umso besser für Seehofer.

Wobei die Grünen bereits Zweifel anmelden, ob "sein Stunt aufgehen wird", wie es Fraktionsvize Konstantin von Notz nach der Sitzung ausdrückt. Seehofer habe schon vor seiner Innenminister-Zeit als CSU-Chef jede Entscheidung der damaligen Großen Koalition mitgetragen. Aber das hört der Innenminister nicht mehr, der sich mit seinem Tross bereits verabschiedet hat.

Er wirkte sehr zufrieden.

Zusammengefasst: Wie belastend wird der Skandal um die Bremer Bamf-Außenstelle für Horst Seehofer? Der Bundesinnenminister stand am Dienstag vor dem Innenausschuss Rede und Antwort. Er will offenbar aus der Affäre um Missbrauch bei Asylverfahren Kapital schlagen - und sie als Argument nutzen, um sein Vorhaben von sogenannten Ankerzentren für Migranten durchzusetzen.

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