Kritik an Seehofer "Der Bundesinnenminister vergibt damit eine wichtige Chance"

Die Antidiskriminierungsstelle des Bundes kritisiert Innenminister Seehofer, weil er eine Studie über rassistisch motivierte Kontrollen der Polizei abgesagt hat. Die Begründung des Ministeriums sei "wenig stichhaltig".
Horst Seehofer nimmt die Polizei gegen Rassismusvorwürfe in Schutz

Horst Seehofer nimmt die Polizei gegen Rassismusvorwürfe in Schutz

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OMER MESSINGER/EPA-EFE/Shutterstock

Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) schlägt nach der Absage einer Studie über Racial Profiling durch die Polizei Kritik entgegen. Die Antidiskriminierungsstelle des Bundes reagierte mit Unverständnis auf die Entscheidung Seehofers. "Der Bundesinnenminister vergibt damit eine wichtige Chance, entsprechende Fälle in der Polizei auszuwerten und Grundlagenforschung zu betreiben", sagte der kommissarische Leiter der Antidiskriminierungsstelle des Bundes, Bernhard Franke.

Von Racial Profiling spricht man, wenn Menschen wegen ihrer Hautfarbe, Haarfarbe oder anderer äußerer Merkmale, aber ohne konkreten Anlass kontrolliert werden. Das Innenministerium hatte die bereits angekündigte Studie am Wochenende mit der Begründung wieder abgesagt, Seehofer sehe "keinen Bedarf" für eine solche Untersuchung.

Es gebe bereits Beschwerdestellen bei der Polizei, "Einzelfälle von Diskriminierung" würden "schonungslos aufgeklärt und zeitnah sanktioniert". Zudem verbiete sich Racial Profiling ohnehin in der polizeilichen Praxis. "Weder die Polizeigesetze des Bundes noch die einschlägigen Vorschriften und Erlasse erlauben eine solche Ungleichbehandlung von Personen."

Behördenleiter Franke widersprach diesem Argument: "Die Behauptung, es gibt die Praxis praktisch nicht und sie müsse deshalb auch nicht weiter erforscht werden, ist wenig stichhaltig - auch weil es in Deutschland keine flächendeckenden Beschwerdestrukturen wie unabhängige Polizeibeauftragte gibt."

Franke kündigte die Unterstützung der Antidiskriminierungsstelle bei der Vorbereitung einer solchen Studie an. Voraussetzung sei "die Bereitstellung entsprechender finanzieller Mittel durch die Bundesregierung und ein vollumfänglicher Zugang zur Polizei in Bund und Ländern", sagte er. Zugleich kündigte Franke Gespräche mit den zuständigen Ministerien an. Auch Justizministerin Christine Lambrecht (SPD) hatte betont, es wäre "wichtig, dass wir diese Studie durchführen könnten".

Innenministerium verteidigt sich: "Ein Schritt nach dem anderen"

Das Bundesinnenministerium verteidigte die Entscheidung am Montag gegen die Kritik. Es seien zur Bekämpfung von Rechtsextremismus und Rassismus eine Reihe anderer Maßnahmen geplant, deren Ergebnisse zunächst abgewartet werden sollten, sagte Ministeriumssprecher Steve Alter. So solle etwa zunächst das Bundesamt für Verfassungsschutz ein Lagebild erstellen.

Es solle "ein Schritt nach dem anderen" gemacht werden, sagte Alter. Er verwies darauf, dass Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) mit seinen Länderkollegen im vergangenen Jahr ein umfangreiches Maßnahmenpaket zur Bekämpfung von Rechtsextremismus geschnürt habe. Dazu gehöre eine personelle Stärkung beim Verfassungsschutz. Dieser solle nicht nur bei der Polizei, sondern im öffentlichen Dienst allgemein schauen, ob rassistische und rechtsextreme Tendenzen erkennbar sind. Diese Prüfung müsse zunächst umgesetzt werden, "bevor neue Maßnahmen implementiert werden".

Die Studie war von der Europäischen Kommission gegen Rassismus und Intoleranz (ECRI) empfohlen worden und sollte zur Debatte über Rassismus und Polizeigewalt beitragen, die seit dem gewaltsamen Tod des US-Amerikaners George Floyd in zahlreichen Ländern geführt wird.

mes/AFP
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