Einsatz von Trojanern Verfassungsschutz soll Chatnachrichten überwachen können

Bundesamt für Verfassungsschutz in Köln: "Zeitgemäße digitale Aufklärungsbefugnisse"
Foto: Oliver Berg/ DPADer Verfassungsschutz soll künftig verschlüsselte Chatnachrichten von Extremisten und potenziellen Terroristen mitlesen können. So steht es in einem überarbeiteten Entwurf von Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) für ein neues Verfassungsschutzgesetz. Der Entwurf liegt dem SPIEGEL vor.
Laut dem Papier soll das Bundesamt für Verfassungsschutz bei "besonders schweren Bedrohungen" die Möglichkeit der sogenannten "Quellen-TKÜ" bekommen. Dadurch könnte der Inlandsnachrichtendienst heimlich einen Trojaner auf das Handy von Verdächtigen spielen, um so die Kommunikation über Messenger wie WhatsApp oder Telegram überwachen zu können - direkt an der Quelle, bevor die Nachrichten verschlüsselt werden.
Außerdem würde der Verfassungsschutz auch die Befugnis für die sogenannte Online-Durchsuchung bekommen. Dann könnte der Dienst künftig per Trojaner auf Handys, Tablets oder Computer zugreifen und die Daten auf den Geräten durchsuchen. Überwachungstrojaner darf bisher nur die Polizei einsetzen.
Als Begründung werden in dem Entwurf "die aktuellen Herausforderungen" im Bereich des "internationalen Terrorismus und des Rechtsterrorismus" angeführt. Um diese Gefahren abzuwehren, bräuchten die Geheimdienste "zeitgemäße digitale Aufklärungsbefugnisse".
Gesetz lag ein Jahr auf Eis
Seehofers Ministerium hatte schon im Frühjahr 2019 einen ersten Gesetzentwurf vorgelegt, in dem diese und weitere Befugnisse für den Verfassungsschutz gefordert wurden. Die damalige Bundesjustizministerin Katarina Barley (SPD) hatte das Paket rundum abgelehnt, knapp ein Jahr lag es auf Eis. Nach dem rechtsextremistisch motivierten Mord am CDU-Politiker Walter Lübcke und dem Anschlag auf die Synagoge in Halle hat die SPD ihre Haltung jedoch geändert.
"Es ist wichtig, dass die Überwachungsmöglichkeiten unserer Sicherheitsbehörden den technischen Entwicklungen angepasst werden" sagte die innenpolitische Sprecherin der SPD-Bundestagsfraktion, Ute Vogt, dem SPIEGEL. "Kein Verbrecher telefoniert heute noch über das Festnetz." Es gehe dabei "nicht um eine massenhafte Überwachung, sondern darum, dass die Verfassungsschutzämter in einigen wenigen Fällen mehr machen können, als nur Telefonleitungen abzuhören".
Auch Bundesjustizministerin Christine Lambrecht (SPD) ist kompromissbereit. Voraussetzung für die Sozialdemokraten wäre aber, dass die parlamentarische Kontrolle der Geheimdienste ausgeweitet wird - so steht es auch im Koalitionsvertrag.
Um der SPD entgegenzukommen, schlägt Seehofer in seinem Gesetzentwurf vor, dass das Bundestagsgremium, das Überwachungsmaßnahmen des Verfassungsschutzes prüft, aufgestockt wird.
Vor allem aber hat der Innenminister einen umstrittenen Punkt aus dem ersten Entwurf in der überarbeiteten Version gestrichen: Er wollte dem Verfassungsschutz ursprünglich erlauben, auch radikalisierte Kinder und Jugendliche unter 14 Jahren ins Visier nehmen zu können - was die SPD als "völlig indiskutabel" bezeichnet hatte.
Als eindringliches Beispiel diente der Union der Fall eines Zwölfjährigen, der 2016 beinahe einen Nagelbombenanschlag auf einen Weihnachtsmarkt in Ludwigshafen verübt hatte.
Unionsfraktionsvize Thorsten Frei will daher die Pläne auch nicht aufgeben. "Für eine Altersgrenze von 14 Jahren sehe ich weder Sinn noch Notwendigkeit", sagte der CDU-Politiker dem SPIEGEL. Der neue Entwurf sei "sehr abgespeckt", so Frei. "Offensichtlich sind kritische Punkte aus dem Entwurf genommen worden, um schneller durchs Kabinett zu kommen."