Seehofer vs. Merkel Der Riss

Die Migrationsfrage als "Mutter aller politischen Probleme" im Land: CSU-Chef Seehofer belebt nach Chemnitz den Streit mit der CDU-Vorsitzenden Merkel neu. Der Graben verläuft längst durch die ganze Union.
Merkel, Seehofer (Archivfoto aus dem August)

Merkel, Seehofer (Archivfoto aus dem August)

Foto: CLEMENS BILAN/EPA-EFE/REX/Shutterstock

Auf dem Papier ist alles gut: Ab Donnerstagnachmittag treffen sich die Spitzen der Unionsbundestagsfraktion, um den Fahrplan der kommenden Monate zu besprechen, zur Vorstandsklausur hat man neben bekannten Wissenschaftlern mit Japans Außenminister Taro Kono einen politischen Star zu Gast.

Aber in Wahrheit ist nichts gut. Nicht in der Fraktion von CDU und CSU, nicht innerhalb der christdemokratischen Partei, nicht innerhalb der Christsozialen, nicht zwischen den beiden Unionspartnern.

Seit Mittwochabend ist der Riss wieder sichtbar, der sich durch die Union zieht. Und dagegen helfen auch nicht die besänftigenden Sätze führender Fraktionsvertreter zum Auftakt der Klausur.

Horst Seehofer ist es, der mit einem mehrfachen Aufschlag binnen weniger Stunden dafür gesorgt hat, dass der Streit über die Flüchtlingspolitik wieder die Union erfasst. Seehofer ist nicht nur Vorsitzender der CSU, sondern auch Bundesinnenminister, weshalb seine Worte bei diesem Thema von besonderer Relevanz sind.

Zunächst zeigt Seehofer bei der CSU-Landesgruppen-Klausur im brandenburgischen Neuhardenberg in einem öffentlichen Statement Verständnis für die Demonstrationen in Chemnitz. Bei den Protesten nach dem gewaltsamen Tod eines Deutschen, der mutmaßlich von Flüchtlingen erstochen wurde, waren dem Anschein nach normale Bürger gemeinsam mit gewalttätigen Neonazis marschiert, es kam teilweise zu Jagdszenen auf ausländisch aussehende Menschen. An einer weiteren Demonstration beteiligten sich auch führende Vertreter von AfD und Pegida. Seehofer stellt allerdings auch klar: Ein "Aufruf zur Gewalt, oder eine Hetze, oder gar die Ausübung von Gewalt", das gehe gar nicht.

Intern geht Seehofer Teilnehmern zufolge in Neuhardenberg weiter. Die Empörung der Demonstranten sei nachvollziehbar - das mache sie aber noch lange nicht zu Nazis, sagt er demnach. Außerdem solle man sich nichts vormachen: Das Thema Migration sei nun mal "die Mutter aller Probleme", ähnlich äußert sich Landesgruppenchef Alexander Dobrindt. CSU-Chef Seehofer verwendet dieses dramatische Bild auch in einem Interview mit der "Rheinischen Post",  das am Donnerstag veröffentlicht wird - zu den Demonstrationen in Chemnitz sagt er da: "Ich wäre, wenn ich nicht Minister wäre, als Staatsbürger auch auf die Straße gegangen."

Die Reaktionen von SPD-, Grünen- und Linke-Politikern auf diese Sätze des Innenministers sind heftig, die der AfD zustimmend - aber erwartungsgemäß widerspricht auch Kanzlerin und CDU-Chefin Angela Merkel. "Ich sag das anders", sagt sie im RTL-Sommerinterview. "Ich sage, die Migrationsfrage stellt uns vor Herausforderungen. Und dabei gibt es auch Probleme." Es gebe aber, betont Merkel, auch Erfolge.

Es geht nicht mehr nur um Merkel vs. Seehofer

Dabei ist es längst nicht mehr nur eine Auseinandersetzung zwischen dem CSU-Chef und der CDU-Vorsitzenden und ihren jeweiligen Parteien. Der Bundesinnenminister und die Kanzlerin sind nur die Köpfe des jeweiligen Lagers. Der Riss verläuft zwischen denen in CSU und CDU, die wie Seehofer die deutsche Flüchtlingspolitik der vergangenen Jahre für falsch halten, und jenen in beiden Parteien, die Merkels Linie unterstützen.

Ein Streit, der nicht geklärt, sondern notdürftig zugekleistert ist, kann jederzeit neu entflammen. Deshalb war nach dem gerade so vermiedenen Unionsbruch im Frühsommer klar, dass die Auseinandersetzung über den richtigen Kurs in der Flüchtlingspolitik irgendwann wieder hochkochen würde. Nur dass es jetzt schon passiert, damit hatte kaum einer gerechnet.

Zwei für die Union wichtige Landtagswahlen stehen an, am 14. Oktober in Bayern, zwei Wochen später in Hessen. Streit hat den Unionsparteien bei ihren Wählern noch nie geholfen, das zeigten nach dem Beinahe-Bruch auch die sinkenden Umfragewerte für CDU und CSU.

Aber Seehofer ist das inzwischen offenbar gleich - ebenso wenig scheint ihn zu kümmern, dass er mit seinen Äußerungen auch den mühsam vollzogenen Kursschwenk des bayerischen Ministerpräsidenten und CSU-Spitzenkandidaten Markus Söder konterkariert: Söder, zeitweise der aggressivste CSU-Rhetoriker in der Flüchtlingspolitik, redet wegen der sinkenden Umfragewerte seiner Partei seit Wochen eher leise über das Thema.

Beide glauben, dass sie recht haben

Sein Parteichef ist überzeugt davon, dass er in der Flüchtlingsdebatte recht hat - und nicht das Merkel-Lager. "Wenn wir die Regelung gehabt hätten, für die ich im Frühsommer scharf kritisiert wurde, wäre der tatverdächtige Iraker nicht ins Land gekommen", sagte er der "Rheinischen Post" über einen der beiden mutmaßlichen Messerstecher in Chemnitz. Dieser hatte 2016 schon in Bulgarien einen Asylantrag gestellt. CDU-Chefin Merkel dagegen verteidigt im Grundsatz weiter ihre Position. So war es im Frühsommer gewesen - so ist es jetzt.

In der CSU-Landesgruppe dürfte es einige geben, die Seehofers jüngste Äußerungen nicht gefallen haben, gleichsam dürfte es unter den CDU-Bundestagsabgeordneten einige Sympathie dafür geben - nicht nur bei den Fraktionsmitgliedern aus Sachsen.

Wie hältst du es mit Merkels Flüchtlingspolitik? An dieser Frage scheidet sich die Union. Die Kanzlerin hat es im Frühsommer mit einem großen Kraftakt noch mal geschafft, per Kompromiss die Sache zu übertünchen.

Aber schon die aktuelle Debatte über eine mögliche Kampfkandidatur von Fraktionsvize Ralph Brinkhaus gegen Merkels Vertrauten und Amtsinhaber Volker Kauder um den Vorsitz zeigt, wie volatil die Dinge sind - auch wenn diese Frage mit der Migrationsdebatte erst mal nichts zu tun hat.

Irgendwann müssen CDU und CSU die Sache klären, möglicherweise erst in der Nach-Merkel-Ära. Bis dahin könnte es noch sehr ungemütlich werden.

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