Seehofer vs. Merkel Zurückweisung

Soll Deutschland Asylbewerber an der Grenze zurückweisen? Innenminister Seehofer pocht darauf, Kanzlerin Merkel hält dagegen. Plötzlich ist der Flüchtlingsstreit zwischen CSU und CDU wieder da - in verschärfter Form.
Horst Seehofer, Angela Merkel (Archiv)

Horst Seehofer, Angela Merkel (Archiv)

Foto: Markus Schreiber/ AP

Nach so einem Wochenende denkt man sich wahrscheinlich auch als Bundeskanzlerin, dass es nicht mehr schlimmer kommen kann. Doch, kann es. Zurück vom G7-Gipfel aus Kanada, bei dem der Konflikt mit US-Präsident Donald Trump eskaliert ist, steckt Angela Merkel plötzlich wieder in einem innenpolitischen Konflikt, der längst überwunden schien.

Nicht mit der AfD, daran hat sie sich gewöhnt. Auch nicht mit dem schwindsüchtigen Koalitionspartner SPD, den muss sie ertragen. Nein, die CDU-Chefin sieht sich wieder der CSU gegenüber, der Schwesterpartei aus Bayern.

Und wieder geht es um das Thema Flüchtlinge, wie schon in den zwei Jahren nach dem Spätsommer 2015, in denen die Unionsparteien erbittert um den richtigen Kurs in der Asylpolitik stritten. Nur gibt es diesmal einen großen Unterschied: Damals kämpfte CSU-Chef Horst Seehofer als bayerischer Ministerpräsident mit Merkel. München vs. Berlin. Diesmal keilt der Parteivorsitzende und Innenminister Seehofer als Mitglied der Bundesregierung gegen die Kanzlerin.

Es geht nicht mehr nur um die Frage des Verhältnisses zwischen CDU und CSU. Es geht, drei Monate erst sind seit der Regierungsbildung vergangen, um die Zukunft dieser Koalition. Mancher Sozialdemokrat steht derweil am Rande und fragt sich überrascht, ob das gemeinsame Bündnis noch viel früher in die Binsen geht als vermutet - und zwar nicht wegen der SPD.

Als am Montagnachmittag die "Bild" auf ihrer Website meldet, dass Innenminister Seehofer die für den kommenden Tag geplante Präsentation seines sogenannten Masterplans Migration abgesagt hat, weiß zunächst nicht mal die eigene Pressestelle Bescheid. Alle sind überrumpelt. Später wird auch der für Dienstagabend angesetzte Hintergrundtermin Seehofers mit Journalisten abgesagt.

Monatelang hat der Innenminister an seinem großen Aufschlag gewerkelt, mit dem Masterplan wollte er die deutsche Flüchtlings- und Asylpolitik neu ordnen. Und jetzt das. Noch am Vorabend erweckte Kanzlerin Merkel in der ARD bei "Anne Will" den Eindruck, sie sei in guten Gesprächen mit Seehofer.

Einer von 63 Punkten ist strittig

63 Einzelpunkte soll der Masterplan enthalten, den Kern wird die Einrichtung sogenannter Ankerzentren bilden, in denen Flüchtlinge den kompletten Asylprozess durchlaufen sollen. In 62 Punkten gibt es Seehofer zufolge, das jedenfalls berichtete er seinen Bundestagsabgeordneten am Montagabend in der CSU-Landesgruppe, Konsens mit Merkel.

Aber in einem Punkt eben nicht.

Seehofer will, dass künftig Asylbewerber an der deutschen Grenze zurückgewiesen werden, die zuvor in einem anderen EU-Staat registriert wurden. Aus Sicht der CSU entspricht das geltendem europäischen Recht. Merkel sieht das anders. Zudem ist ihre Sorge, dass damit die Flüchtlingspolitik im Rest Europas über den Haufen geworfen wird, auch die praktische Umsetzung stellt sie infrage.

Im Kern allerdings geht es um Symbolik: Die CSU will Härte zeigen - vor allem mit Blick auf die bayerische Landtagswahl, bei der sie im Herbst ihre absolute Mehrheit zu verteidigen versucht. Sie hat die AfD als ihren Hauptgegner im Freistaat ausgemacht, dem sie so wenig Raum wie möglich lassen will. Seehofer will als Innenminister zeigen, dass seine Partei nicht nur markige Sprüche macht, sondern auch entsprechend handelt. Zudem wird er in einer Art Überbietungswettbewerb mächtig angeschoben von Landesgruppenchef Alexander Dobrindt und Ministerpräsident Markus Söder.

Für Merkel geht es um ebenso viel Symbolik. Selbst auf dem Höhepunkt der Flüchtlingskrise verhinderte sie im letzten Moment, dass die Grenze dichtgemacht wurde - die Zurückweisung eines Teils der Asylbewerber knapp drei Jahre danach käme einer späten Kapitulation gleich. Außerdem setzt die CDU-Chefin auf eine europäische Lösung.

Einigung schwer vorstellbar

Nach der Rückkehr aus Kanada hat die Kanzlerin Seehofer ihre Position offenbar unmissverständlich klargemacht. Weil auch der Innenminister auf seiner Forderung beharrte, liegt der Masterplan zunächst auf Eis. Wie eine Einigung aussehen könnte, ist schwer vorstellbar.

In der CSU-Landesgruppe, die am Montagabend gut drei Stunden tagte, erhielt Seehofer Teilnehmern zufolge breite Rückendeckung. Knapp 20 Abgeordnete meldeten sich lobend zu Wort, hieß es. "Merkel hat wohl den Schuss nicht gehört", soll eine mehrfach verwendete Formulierung gewesen sein. Und der Parteichef kündigte an, hart zu bleiben. Er sei nicht bereit, "einen halben Plan mit faulen Kompromissen zu veröffentlichen", sagte Seehofer Teilnehmern zufolge.

Später erklärte er öffentlich: "Ich habe eine Verantwortung für dieses Land, nämlich dass wir steuern und ordnen. Und ich kann das nicht auf den Sankt-Nimmerleins-Tag verschieben."

Merkel wiederum argumentierte im CDU-Bundesvorstand am Montagvormittag dem Vernehmen nach strikt gegen nationale Lösungen in der Asylpolitik. Diese Position bekräftigte Generalsekretärin Annegret Kramp-Karrenbauer bei der anschließenden Pressekonferenz.

Am Dienstag könnten Merkel und Seehofer noch mal miteinander sprechen, ist zu hören. Aber worüber eigentlich? Die Argumente sind ausgetauscht. Theoretisch könnte die Kanzlerin von ihrer Richtlinienkompetenz Gebrauch machen, falls Seehofer weiter stur bleibt - und ihn entlassen. Aber dann wären wohl gleichsam die Koalition wie die Union von CDU und CSU am Ende.

Und dann gibt es ja auch noch die Fraktionssitzung der Unionsabgeordneten am Dienstagnachmittag. Aus der CSU ist zu hören, dass sich am Montagnachmittag im Fraktionsvorstand selbst Parteifreunde Merkels auf die Seite Seehofers geschlagen hätten. Mancher von ihnen habe für die Sitzung aller Abgeordneten am folgenden Tag eine offene Abstimmung über die Sache gefordert. Das würde bedeuten, dass es längst nicht mehr um einen Streit zwischen den beiden Parteien geht.

Wie gesagt, es geht immer noch schlimmer.

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