Hypo-Real-Estate-Ausschuss Regierung gab HRE ungeprüft Milliardenhilfe
Berlin - Es sind dramatische Stunden an diesem September-Wochenende im Jahr 2008: Das Ende der Hypo Real Estate (HRE) droht, eilig wird eine Rettungsaktion organisiert. Experten der Bundesbank und der Europäischen Zentralbank, die staatliche Finanzaufsicht BaFin, das Finanzministerium, das Kanzleramt sowie weitere Aufsichts- und Koordinationsstellen sind an der Aktion in Frankfurt am Main und in Berlin beteiligt. Es wird hin und her telefoniert, denn es geht um Stunden. Bis um zwei Uhr am Montagmorgen des 29. September muss eine Regelung für die HRE gefunden sein - zu diesem Zeitpunkt öffnet die Tokioter Börse.

HRE-Logo: Keine eigene Werthaltigkeitsprüfung durch den Bund
Foto: APDie Notoperation gelingt, der Patient überlebt. Am Ende steht das bis dahin größte Rettungspaket in der Geschichte der Bundesrepublik. Bundesfinanzminister Peer Steinbrück (SPD) stimmt zu und genehmigt eine erste Tranche. Die HRE erhält 35 Milliarden Euro an Bürgschaften, den größten Teil davon trägt der Bund.
Es sind Stunden, die bislang noch wenig ausgeleuchtet sind. Was geschah an jenem Wochenende vom 26. bis 29. September hinter den Kulissen, als die Finanzkrise den Finanzplatz Deutschland mit voller Wucht erreichte? Wie verhielten sich die staatlichen Behörden?
Bund verzichtete auf eigene Prüfung
Erste Einblicke bekamen jetzt die Abgeordneten des HRE-Untersuchungsausschusses in der vertraulichen Sitzung, die von Donnerstag bis Freitagmorgen dauerte - und sie erlebten eine Überraschung. Eine Bewertung auf Werthaltigkeit - auch als "Due Diligence" bekannt - durch die BaFin oder das Bundesfinanzministerium fand nicht statt. Das erklärte die Leiterin Bankenaufsicht der BaFin, Sabine Lautenschläger-Peiter, vor dem Gremium.
Seitens der öffentlichen Hand seien "keine eigenen Due-Diligence-Prüfungen über Unternehmen des Konzerns Hypo Real Estate Holding AG durchgeführt, beauftragt oder erwogen" worden, heißt es in einem Papier, das SPIEGEL ONLINE vorliegt. Derartige Prüfungen auf die Werthaltigkeit seien "ausschließlich durch privatwirtschaftliche Verhandlungspartner nach dem 15. September veranlasst" worden, lautet die Aussage der Zeugin. Lautenschläger-Peiter hatte an der damaligen Rettungsrunde in Frankfurt teilgenommen.
Der 15. September gilt als Wendepunkt der Finanzkrise - an jenem Tag war die US-Bank Lehman Brothers in die Insolvenz geraten und hatte die komplette globale Bankenbranche in eine tiefe Krise gestürzt - unter anderem auch die HRE, die in Folge ebenfalls an den Rand der Pleite geriet.
Am jenem Wochenende vom 26. bis 29. September 2008, als die HRE gerettet wurde, waren nach Angaben der BaFin-Zeugin Lautenschläger-Peiter mehrere Prüfungsteams der Privatwirschaft vor Ort in Frankfurt am Main. Die öffentliche Hand habe "die Ergebnisse dieser Experten übernommen", heißt es weiter in den vertraulichen Unterlagen.
"Das weiß jeder Schulbub"
Parteienvertreter reagierten irritiert auf diese Aussagen. Der Grünen-Obmann Gerhard Schick erklärte gegenüber SPIEGEL ONLINE über die Rettungsnacht vom September 2008: "Ich erwarte vom Staat, dass er eine genaue Prüfung unternimmt, bevor er sich finanziell engagiert - genauso wie es jeder private Investor tut." Man dürfe sich nicht blind auf die Zahlen der Verhandlungsgegner verlassen, dass wisse doch "jeder Schulbub".
Auch der Obmann der CDU/CSU-Fraktion, Leo Dautzenberg, zeigte sich über die Aussagen überrascht. Er sei "sehr verwundert", dass die öffentliche Hand keine eigene Werthaltigkeitsprüfung bei der HRE vorgenommen habe, so der CDU-Politiker zu SPIEGEL ONLINE. Auch zeigte er sich erstaunt darüber, dass die Bundesregierung während der Krisensitzung in Frankfurt am Main keinen rechtlichen Beistand hatte. Als einziger Vertreter des Bundesfinanzministeriums hatte dort Staatssekretär Jörg Asmussen (SPD) teilgenommen.
Lage bei der HRE-Tochter Depfa war kritisch
Der HRE-Untersuchungsausschuss, der auf Antrag der Opposition im April eingesetzt wurde, hatte in seiner jüngsten Sitzung am Freitagmorgen um kurz nach vier Uhr morgens die Befragung von sechs Zeugen beendet - nach über 18 Stunden. Im Mittelpunkt der Befragung im HRE-Ausschuss stand die Lage der irischen Depfa, die erst im Oktober 2007 von der HRE für rund fünf Milliarden Euro erworben worden war.
Die Tochter in Dublin war im Frühjahr 2008 durch die Bundesbank überprüft worden. Dabei wurde das Risikomanagement unter die Lupe genommen. Wie zuletzt auch von Zeugen der Bundesbank wurde der Beinahe-Zusammenbruch der HRE-Bank und ihrer irischen Tochter mit der Pleite der US-Bank Lehman Brothers begründet. Es habe keinen Banker, keinen Politiker und keinen Wissenschaftler gegeben, der sich ein solches Ereignis vorstellen konnte, so BaFin-Mitarbeiter Stefan Schrader im Ausschuss.
Im Frühjahr 2008 wurden im Auftrag der BaFin durch die Bundesbank auch drei deutsche Einheiten der HRE geprüft. Ein Zwischenbericht ging auch BaFin-Präsident Jochen Sanio, der ihn mit persönlichen Randnotizen versah. Der Abschlussbericht zur HRE wurde im Juni 2008 vorgelegt, in dem eine Reihe von Verstößen aufgelistet werden.
Wegen der Lage bei der HRE und ihrer Tochter in Dublin hatte die BaFin ab Februar wöchentliche und ab März tägliche Berichte über die Liquidität von der Bank verlangt. Bis zum Lehman-Zusammenbruch Mitte September habe sich die irische Depfa in einem Maße refinanzieren können, "dass keine Zahlungsunfähigkeit drohte", so Bafin-Zeuge Schrader.
Bereits zum Jahreswechsel 2007/2008 habe es "zunehmend latente Risiken" bei der Refinanzierung der irischen Depfa gegeben, so Schrader, was schließlich zum Einsatz der Bundesbank-Prüfer führte. Bis zum 15. September vergangenen Jahres habe die BaFin die Situation als "beherrschbar" angesehen. Bis zu diesem Zeitpunkt habe der tägliche kurzfristige Refinanzierungsbedarf im Durchschnitt bei vier Milliarden Euro gelegen, so Schrader. Über Monate sei es gelungen, "problemlos kurzfristige Liquidität zu besorgen". Nach dem 15. September sei dies nicht mehr der Fall gewesen.