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Identitäre Bewegung in Halle Die rechten Nachbarn

Lange agierte die Identitäre Bewegung nur im Internet. Nun wollen die rechtsextremen Aktivisten in Halle ein Zentrum aufbauen. Die Anwohner protestieren, sie fürchten Gewaltausbrüche. Ein Besuch.

Das, was da nur wenige Meter vor ihrer Tür passiert, ist für die rechtsextreme Identitäre Bewegung eine Provokation: Ein Sprecher des Bündnisses "Halle gegen Rechts" beantwortet Fragen von Journalisten. Die Szene wird aus dem vierstöckigen Gebäude in der Adam-Kuckhoff-Straße in Halle genau beobachtet, junge Männer schießen aus den Fenstern heraus Fotos mit dem Handy. Dann hält es Mario Müller, den Kopf der Gruppe, nicht mehr im Haus.

Eigentlich wollte Müller keine Interviews geben. Die Medienberichte der vergangenen Wochen haben ihm nicht gepasst. Nun gibt der studierte Politologe geschliffene Antworten. Er spielt seine Rolle.

Die neuen Rechten sind keine Glatzköpfe in Springerstiefeln, die dumpfe Parolen grölen, sie wollen sich als hippe Patrioten präsentieren. Es fallen Worte wie "Volk" und "Nation". Doch auch dieses Gespräch verläuft nicht nach Müllers Geschmack. Bei Fragen über vorbestrafte Neonazis innerhalb der Gruppe reagiert er genervt: "Ihre Fragen langweilen mich."

Seit Monaten ist das rechte Hausprojekt in Halle das Gesprächsthema im Viertel. Im Juni wurde bekannt, dass Mitglieder von "Kontrakultur Halle" dort eingezogen sind - sie gilt als eine der aktivsten Gruppen der Identitären. Sie wollen in dem Gebäude ein strategisches Zentrum aufbauen - das erste überhaupt, bisher organisierte sich die Bewegung vor allem im virtuellen Raum. Rechtsextremismus-Experten sehen es als wichtigstes Vorhaben im deutschsprachigen Raum.

Die Menschen vor Ort wollen sich damit nicht abfinden, wehren sich mit Bürgerinitiativen und Demonstrationen. Immer wieder kam es zu auch gewaltsamen Protesten. Jüngst erreichten die Auseinandersetzungen eine neue Eskalationsstufe.

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Rechtes Hausprojekt in Halle: Zwischen Protest und Gewalt

Foto: imago/ Steffen Schellhorn

Mitte November: Am Haus der Rechtsextremen bepöbeln sich rechte Aktivisten und Gegner des Zentrums. Es fliegen Flaschen. Plötzlich stürmen zwei Mitglieder der Identitären aus dem Haus. Sie tragen Helme und Schilde der Volkspolizei, attackieren zwei Personen mit Pfefferspray. Um sich gegen die Angreifer aus dem Haus zu verteidigen, zücken die beiden Personen ihre Pistolen: Es sind Zivilbeamte.

Was wäre geschehen, wenn es keine Polizisten gewesen wären? Im Viertel geht die Angst um. Was viele ohnehin vermuteten, hat sich bewahrheitet: Die Gruppierung ist gewaltbereit.

Mario Müller

Mario Müller

Foto: SPIEGEL ONLINE

Mario Müller sieht das natürlich anders. Der selbst wegen Gewalttaten vorbestrafte Ex-Neonazi stellt sich und seine Mitstreiter nur allzu gerne als Opfer dar: Die Angriffe gingen von links aus. Er weist auf die Fassade des Hauses, die mit Resten von Farbbeutelattacken und Graffitis übersät ist. Seit einiger Zeit sind zwei Kameras an dem Haus angebracht, die Bewegungen vor der Tür aufzeichnen.

Das Vorgehen gegen die zwei Personen habe dem eigenen Schutz gedient, sagt Mario Müller. "Dafür sind dann auch martialische Schutzmaßnahmen notwendig." Weitere Details zum Angriff der Identitären nennt Mario Müller wegen des laufenden Ermittlungsverfahren nicht.

Vom Netz auf die Straße

Vor fünf Jahren trat die Identitäre Bewegung erstmals in Deutschland in Erscheinung. Das Netz ist ihre Plattform. Dort inszeniert sie sich als junge nationale Bewegung - eine Mischung aus Burschenschaftler und Hipster.

Als Erkennungszeichen verwendet sie den griechischen Buchstaben Lambda. Das soll den Bezug zu den Lakedaimoniern, also den Spartanern herstellen - die Aktivisten sehen sich als elitäre Verteidiger gegen eine vermeintliche feindliche Übernahme. Was für die Griechen die Perser waren, heißt für die Identitären heute: Europäer gegen Flüchtlinge.

Ihr Vorgehen erinnert an die die Guerilla-Taktik von linken Bündnissen und Nichtregierungsorganisationen. Sie haben deren Instrumente gekapert: An prominenten Plätzen auftauchen, ein Banner hissen - und das Ganze in sozialen Netzwerken als großen Erfolg verkaufen:

  • Im August 2016 kletterten mehrere rechte Aktivisten auf das Brandenburger Tor.
  • Im Mai 2017 versuchten mehrere Identitäre in das Bundesjustizministerium zu gelangen.
  • Zuletzt sorgten die Aktivisten für Schlagzeilen, als sie mit einem gecharterten Schiff im Mittelmeer Menschen von der Flucht nach Europa abhalten wollten - mit an Bord: Mario Müller.

Medial, darin stimmen Beobachter überein, sind die Rechtsextremen professionell unterwegs. Ihre Zielgruppe: junge Menschen. Das Zentrum in Halle liegt nur wenige Meter von der Uni entfernt.

Distanzierung von Rechtsextremen als Taktik

Im Stile der Bewegung tritt auch der 1988 geborene Müller auf. Die Kleidung stylisch, Schnurrbart, Tattoos. Seine rechte Karriere begann er einst im Umfeld militanter Neonazis. Rechtsextrem? "Wir sind engagierte Patrioten, die etwas bewegen wollen", sagt Müller.

Die Distanzierung von der rechten Szene sei Taktik, sagte der Magdeburger Rechtsextremismus-Experte David Begrich dem Deutschlandfunk . Die Gruppe sei eine alte Bewegung unter neuem Logo. Ihr Ziel: den Austausch der eigenen Bevölkerung durch Einwanderer zu verhindern. Oder wie es Valentin Hacken, Sprecher vom Bündnis "Halle gegen Rechts", sagt: "Das heißt nichts anderes als: Ausländer raus."

Valentin Hacken

Valentin Hacken

Foto: SPIEGEL ONLINE

Seit diesem Jahr beobachtet auch der Verfassungsschutz die Gruppe. Der Dienst geht von bis zu 300 Mitgliedern in ganz Deutschland aus. In Halle lässt sich die Zahl nicht genau beziffern, Szenebeobachter sprechen von etwa 20 Personen  .

Wie es im Haus aussieht? Niemand weiß es genau, wer nicht dazugehört, dem verwehren die Identitären den Zutritt. Mario Müller und etwa ein Dutzend Gesinnungsgenossen wohnen dort, zudem wollen die Aktivisten unter anderem politische Veranstaltungen organisieren - kürzlich gab es einen Workshop, bei der auch an einer App gearbeitet wurde, mit der man "Gleichgesinnte" in seiner Umgebung finden soll, sagt Mario Müller.

Auf den Klingelschildern findet sich auch der Name des AfD-Landtagsabgeordneten Hans-Thomas Tillschneider. Die AfD-Spitze hat eine gemeinsame Sache mit den Identitären im Juni 2016 eigentlich ausgeschlossen. Tillschneider stört das offenbar nicht: Er hat im Haus ein Büro angemietet - aber nicht von "Kontrakultur", sondern von der Gruppe "Ein Prozent". Und das verstoße gegen keinen Beschluss, schreibt der Politiker auf seiner Facebook-Seite. Hinter "Ein Prozent" steckt aber derselbe Personenkreis der Neuen Rechten.

Anwohner wehren sich

Die Verbindungen zur AfD sind aber offenbar noch weitreichender: Laut einem Medienbericht  war ein hessischer AfD-Politiker als Bevollmächtigter an dem Hauskauf beteiligt. Der hat dies inzwischen bestätigt . Erworben wurde das Haus offiziell durch den Gründer der Titurel-Stiftung.

Die Stiftung gilt als Förderinstrument des sogenannten Instituts für Staatspolitik in Schnellroda, ansässig auf einem ehemaligen Rittergut. Dort lebt der Publizist Götz Kubitschek mit seiner Familie. Das Institut gilt als die wichtigste Denkfabrik der Neuen Rechten. Der Verleger will selbst Büroräume für den Verlag und sein rechtes Programm in dem Haus mieten, wie er in einem Blogeintrag erklärte.

Bei Bewohnern des Viertels sind die neuen Nachbarn nicht gern gesehen: Sie haben sich zu einer Anwohnerinitiative zusammengeschlossen und einen Brief an die Identitären veröffentlicht. Mehr als 120 Menschen haben unterschrieben. Darin machen sie deutlich: "Wir wollen ausdrücklich keine Nachbarschaft mit Ihnen ."

"Man darf nicht vergessen, dass etliche Mitglieder wegen Gewaltdelikten einschlägig vorbestraft sind", sagt ein Anwohner, der anonym bleiben möchte. Belegen lässt sich die Aussage nicht für jeden einzelnen Aktivisten. Doch das Gefühl der Bedrohung bleibt.

Angela Bartz zeigt bewusst ihr Gesicht, sie will ein Zeichen setzen. "Wir wollen das Miteinander pflegen, egal, wie alt jemand ist, oder wo er herkommt - das spielt doch heute eh keine Rolle mehr."

Angela Bartz, Anwohnerinitiative

Angela Bartz, Anwohnerinitiative

Foto: SPIEGEL ONLINE

Bisher, sagt Valentin Hacken vom Bündnis "Halle gegen Rechts", hätten die Identitären mit ihren Aktionen, etwa einem Infostand auf dem Campus, keinen Erfolg gehabt. Im Internet würde das allerdings ganz anders dargestellt. "Halle gegen Rechts" will deshalb aufklären, wer sich hinter der Bewegung verbirgt, dass sie ihr Personal vor allem aus Neonazi-Kreisen rekrutiert.

Der jüngste Gewaltausbruch hat Hacken überrascht. "Das ist ein massiver Angriff, das haben wir in der Form noch nicht erlebt." Er ist besorgt: "Die Identitäre Gruppe ist klein, aber durchaus gefährlich."

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