Debatte über »Migrantenquote« in Berlin Im Dienst der ganzen Gesellschaft

Polizeistudierende mit Migrationshintergrund in der Hochschule der Polizei in Rheinland-Pfalz
Foto: Harald Tittel / dpaFranziska Giffey hat sich als Bundesministerin dafür starkgemacht, dass wir eine Frauenquote in Vorständen haben. Per Gesetz, weil sich freiwillig nichts tue und klare Vorgaben nötig seien. Sie hatte Erfolg, die Frauenquote ist beschlossen . Giffey nannte das 2020 einen »historischen Durchbruch«. Deshalb ist es merkwürdig, dass sie vor ein paar Tagen bei der Jahrestagung des dbb Beamtenbunds erklärte, eine verbindliche Quote für Menschen aus Einwandererfamilien sei falsch .
Giffey ist seit Kurzem auch Vorsitzende der Berliner SPD. In der Hauptstadt wird gerade diskutiert, ob es eine Quote für Menschen mit Migrationsgeschichte im öffentlichen Dienst geben soll. Integrationssenatorin Elke Breitenbach (Linke) hat einen entsprechenden Gesetzesentwurf vorgelegt. Darin schlägt sie de facto eine 35-Prozent-Quote für Menschen mit Migrationshintergrund vor. Auch das ist historisch. Im Jahr 2021 wird zum ersten Mal in Deutschland politisch über eine solche Quote diskutiert, weil ein juristisch geprüfter Gesetzentwurf vorliegt. Der Vorstoß ist umstritten, genauso wie der von Giffey vergangenes Jahr. Nun stellt sich dem Vorhaben aber ausgerechnet jene Sozialdemokratin entgegen, die noch vor ein paar Monaten eine Quote für Frauen in Spitzenpositionen durchgeboxt hat.
Ähnlich unsolidarisch zeigt sich leider auch die Integrationsbeauftragte der Bundesregierung, Annette Widmann-Mauz (CDU). Sie spricht sich ebenfalls gegen eine Teilhabequote aus.
Als Chefin der Frauen-Union kämpft Widmann-Mauz allerdings seit Jahren für eine Quote in ihrer eigenen Partei. Die CDU müsse sich »verbindliche Etappen« setzen, es sei »nicht akzeptabel«, dass nur 20 Prozent Frauen für die Union in Parlamenten säßen. Repräsentationsmängel müssten ausgeglichen werden. Notfalls mit Quoten . Das stimmt. Konsequent weitergedacht, braucht es dann aber auch eine entsprechende Regelung für Menschen aus Einwandererfamilien.
Als Integrationsbeauftragte hat Widmann-Mauz schließlich selbst vor Kurzem eine Studie vorgestellt, wonach Menschen aus Einwandererfamilien im öffentlichen Dienst nach wie vor unterrepräsentiert sind . Lediglich zwölf Prozent der Mitarbeiter:innen in der Bundesverwaltung haben einen Migrationshintergrund (zum Vergleich: in der Gesamtgesellschaft sind es 26 Prozent). Es gibt auch weiterhin Amtsstuben, die komplett weiß sind.
Die Argumente von Giffey und Widmann-Mauz gegen eine Quote für Eingewanderte und ihre Nachkommen sind interessanterweise die gleichen, die oft gegen ihre Frauenquote genannt werden:
Viele Menschen würden sich fragen, ob Eignung, Leistung und Befähigung noch eine Rolle spielen. Die Antwort ist einfach: ja. Laut Berliner Gesetzentwurf darf die Quote nur bei gleicher Qualifikation angewendet werden. Außerdem haben wir bereits bundesweit eine Frauenquote im öffentlichen Dienst und eine Quotenpflicht für Menschen mit Behinderung , und beides hat das Qualifikationsprinzip auch nicht gekippt. Außerdem gibt es jede Menge (über-)qualifizierte Menschen aus Einwandererfamilien.
Eine Quote sei die allerletzte Möglichkeit, auch bei Frauen habe man zunächst mit Förderprogrammen und Frauenbeauftragten gearbeitet. Stimmt. Nur hat das eben nicht gereicht. Frauen sind trotzdem oft unterrepräsentiert. Deshalb sind Giffey und Widmann-Mauz ja nun Frauenquotenbefürworterinnen. Warum sollen die Instrumente, die bei Frauen schon nicht effektiv waren, ausgerechnet bei Menschen mit Migrationsgeschichte besser wirken?
Für wen würde die neue »Migrantenquote« gelten?
Eine zentrale Frage, die sich tatsächlich stellt: Auf welcher Grundlage würde entschieden, für wen die antirassistische Quote gilt? Weil entsprechende Daten fehlen, wissen wir nicht, wie viele Menschen in Berlin oder Deutschland von strukturellen Ausschlüssen und Rassismus betroffen sind. Aber wir wissen, dass ein Teil von ihnen gar keinen Migrationshintergrund hat, nach wie vor aber Diskriminierung erlebt. Auch wenn die Kategorie »Migrationshintergrund« also nicht ideal ist, ist sie gesetzlich abgesichert . Es wäre daher hilfreich, wenn es zumindest schon mal eine Quote für Menschen »mit Migrationshintergrund« gibt – solange klargestellt wird, dass sie für Menschen gilt, die von Rassismus betroffen sind.
In Berlin leben 3,6 Millionen Menschen. Davon haben 1,2 Millionen einen sogenannten Migrationshintergrund – also jede:r Dritte. Bei Kindern und Jugendlichen sind es schon fast 50 Prozent. Um sicherzustellen, dass sie in allen Bereichen teilhaben können, hat Berlin 2010 ein »Partizipations- und Integrationsgesetz« (PartIntG) verabschiedet. Berlin kam damit als erstes Bundesland einer Forderung nach, die Migrant:innenorganisationen und postmigrantische Initiativen seit vielen Jahren stellen.
2018 wurde das Gesetz evaluiert, und es hat sich gezeigt: Die Idee ist gut, wirkt aber eher symbolisch, weil »adäquate Umsetzungsinstrumente« fehlen . Die Regelungen im Gesetz reichen nicht aus. Nichtweiße Menschen sind bis heute in vielen Bereichen des öffentlichen Dienstes deutlich unterrepräsentiert. Auch eine Studie von Citizens For Europe von 2018 ergab, dass nur drei Prozent der Befragten in den Führungsetagen der Berliner Verwaltung People of Color oder Schwarze Menschen sind. Mit anderen Worten: fast alle Chef:innen in Berliner Behörden sind weiß.
Deswegen ist es Zeit für den nächsten Schritt. Eine Expertise der Antidiskriminierungsstelle des Bundes hat bereits 2012 die Vorbildrolle des öffentlichen Dienstes betont und klargestellt: Der Staat kann »klare Signale setzen, indem er eine Quotenregelung bei der Besetzung der Stellen einführt«. Solange die gleiche Eignung, Leistung und Befähigung vorausgesetzt wird, ist das rechtlich machbar, das zeigt auch ein aktuelles Gutachten aus Berlin . Zu einem ähnlichen Schluss kommen außerdem die Bundesverfassungsrichterin Susanne Baer und die Juristin Nora Markard in einem Fachkommentar zum Grundgesetz: Um bestehende Nachteile auszugleichen, ist die Förderung rassistisch diskriminierter Menschen nach Artikel 3 des Grundgesetzes möglich.
Die Berliner SPD-Chefin selbst hat in einem Interview anschaulich erklärt, warum dieser Ausgleich für Frauen notwendig ist: »Der eine Thomas fördert den anderen Thomas, der eine Michael den anderen Michael. Da gibt es Kontakte, Beziehungen und Sympathien in festgefügten Netzwerken von Männern. Es entsteht ein Kreislauf, in den Frauen nicht eindringen können.« Ähnlich gilt es für nichtweiße Menschen. Es entsteht ein Kreislauf, in den People of Color und Schwarze Menschen nicht eindringen können. Um ihn zu durchbrechen, braucht es eine mutige, visionäre Politik. Wie bei der Frauenquote.
Bei der Bundestagswahl 2021 sollten alle Menschen, denen das wichtig ist, genau hinschauen, welche Partei sich für die rechtliche Gleichstellung rassistisch diskriminierter Menschen ausspricht. Wer schreibt ein Partizipationsgesetz mit Quoten und Empowerment für People of Color und Schwarze Menschen in sein Parteiprogramm? Und wer wird sich in den Koalitionsverhandlungen im Zweifel dafür einsetzen?