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Alexander Neubacher

Rechte und linke Impfgegner Eine Überdosis German Angst

Alexander Neubacher
Eine Kolumne von Alexander Neubacher
Die Impfskepsis vieler Deutscher ist Ausdruck einer wachsenden Öko-Esoterik, Naturverklärung und Technikfeindlichkeit.
aus DER SPIEGEL 52/2020
Schild bei »Querdenker«-Kundgebung in Berlin, 28. November 2020

Schild bei »Querdenker«-Kundgebung in Berlin, 28. November 2020

Foto: Christoph Soeder / dpa

Werden Sie sich impfen lassen? Diese Frage spaltet Deutschland. Eine Hälfte antwortet mit »Ja, sofort«, andere wollen lieber warten, einige sagen Nein, so lautet in etwa das Ergebnis der Demoskopen. Selbst bei den Pflegekräften ist jede zweite skeptisch.

Einerseits freue ich mich darüber. Der Corona-Impfstoff ist erst mal knapp, und ich gehöre keiner Risikogruppe an. In der Warteschlange stehe ich weit hinten. Umso schöner, wenn vor mir jemand ausschert. Wer nicht will, der hat schon. Je mehr Impfgegner, desto früher bin ich dran: So denkt der Egoist in mir. Andererseits würde es bei einer Impfquote von nur 50 Prozent nicht klappen, die Seuche schnell einzudämmen und den Ausnahmezustand zu beenden. Ich hätte aber gern mein altes Leben zurück.

Wie kommt es, dass so viele Menschen mehr Angst vor einem kleinen Piks haben als vor einer Pandemie, die weltweit bereits 1,7 Millionen Menschen das Leben gekostet hat und gerade den Freistaat Sachsen in eine Art Notstandsgebiet verwandelt? Es liegt an einer Überdosis German Angst. In einem Land, in dem die Hysterie angesichts amerikanischer Chlorhühnchen Zehntausende auf die Straße trieb, kann man nicht auf rationalen Umgang mit Risiken vertrauen.

Nun ist nicht jeder ein Spinner, der beim neuen Corona-Impfstoff an Nebenwirkungen denkt und lieber anderen den Vortritt lässt. Der Weg zum Querdenker mit Aluhut ist aber nicht weit, wie sich Mittwoch im Bundestag zeigte. Der AfD-Politiker Uwe Witt fabulierte über »genmanipulierte« Impfstoffe, sein Fraktionskollege Steffen Kotré fantasierte von einem »Verfahren, das in die Gene eingreift«. Nichts davon stimmt. Ist es von Politikern zu viel verlangt, in ein Biologiebuch zu schauen, bevor man Reden schwingt?

Wer jahrelang Panik vor »Gen-Food« schürt, darf sich nicht wundern, wenn Teile der Wählerschaft freidrehen.

Von gewisser Tragik war der Auftritt des Grünenpolitikers Janosch Dahmen. Er warf der AfD Panikmache vor; die »Halbwahrheiten und Schreckensgeschichten« machten ihn »fassungslos«. Man wollte ihm schon Danke sagen. Leider sind es die Grünen, die nahezu wortgleich dieselben Halbwahrheiten und Schreckensgeschichten verbreiten, wenn es um Gentechnik bei Lebensmitteln oder in der Pflanzenforschung geht. Wer jahrelang Panik vor »Gen-Food« schürt, darf sich nicht wundern, wenn Teile der Wählerschaft freidrehen.

Ich glaube, die Impfskepsis vieler Deutscher ist Ausdruck einer wachsenden Öko-Esoterik, Naturverklärung und Technikfeindlichkeit in Gesundheitsfragen. Fast 50.000 Heilpraktiker sind in Deutschland tätig, genaue Daten fehlen, doch ihre Zahl dürfte sich in den vergangenen 20 Jahren etwa verdoppelt haben. Es gibt Professoren an Universitäten, die sich allen Ernstes mit dem Homöopathie-Hokuspokus beschäftigen, als Wahlpflichtfach für die Studenten. Und die gesetzlichen Krankenkassen verpulvern Millionen für sogenannte Alternativmedizin, deren Nutzen in keiner wissenschaftlichen Studie je bewiesen werden konnte. Auch gegen Corona sind Globuli machtlos.

Ein Zentrum der Homöopathie ist übrigens Sachsen.

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