Fotostrecke

Statistisches Bundesamt: Zahlen über Deutschland

Foto: Oliver Berg/ picture alliance / dpa

Zensus 2011 Die Nation schrumpft

Deutschland hat 1,5 Millionen Einwohner weniger als bisher gedacht. Die größte Abweichung gibt es bei den Ausländern: Laut der jüngsten Volkszählung sind es 6,2 statt 7,3 Millionen. Das hat selbst die Statistiker überrascht.

Hamburg - In Deutschland leben genau 80.219.695 Menschen - das sind 1,5 Millionen weniger als gedacht. "Wir hatten schon vorab den Verdacht, dass es eine Abweichung gibt", sagte Roderich Egeler, Präsident des Statistischen Bundesamts, bei der Vorstellung der jüngsten Volkszählung in Berlin, "aber die Größenordnung hat uns schon überrascht". Die Statistiker legten am Freitag in Berlin die Auswertung der Daten vor, die 2011 eingesammelt worden waren. Das Bemerkenswerteste dabei laut Egeler: In Deutschland leben vor allem viel weniger Ausländer als erwartet: 6,2 Millionen statt 7,3.

Die größten negativen Abweichungen in der Bevölkerungszahl stellten sich dabei in Berlin und Hamburg heraus. In der Hauptstadt fehlen 180.000 Einwohner, an der Elbe 82.000. Die geringste Fehlerquote gab es in Rheinland-Pfalz: Hier gab es lediglich eine Differenz von 9000 Bürgern - 0,2 Prozent. Einige Gewinner gab es auch. Bielefeld und Bergisch Gladbach belegen mit jeweils mehr als 3000 zusätzlichen Bürgern Platz eins und zwei.

Den Unterschied zwischen den bisher angenommenen Zahlen und den tatsächlichen erklären die Statistiker damit, dass es so lange keine Volkszählung gegeben hat. Zu den letzten Zahlen aus den achtziger Jahren wurde einfach immer alles dazugerechnet oder abgezogen: Geburten, Todesfälle, Umzüge, Heirat und so weiter. Da gehe auch schon mal etwas unter, sagt Behördenchef Egeler. "Ein Zensus ist wie eine Inventur: Nach 20 Jahren muss man auch mal aufräumen."

Schon bei der letzten Volkszählung in Westdeutschland gab es bei der Gruppe der Ausländer die größten Abweichungen zwischen Soll und Ist-Zustand. Ursachenforschung habe man nicht betrieben, erläuterte Daten-Expertin Sabine Bechtold. Das sei nicht der Job von Statistikern. Sie wagt lediglich eine Mutmaßung: "Womöglich melden sich Ausländer seltener ab."

Gretchen-Frage weitgehend ungeklärt

Wenig erfolgreich waren die bereits im Vorfeld umstrittenen Bemühungen der Statistiker, die Gretchen-Frage zu klären: Die Zensus-Ergebnisse zu den religiösen Präferenzen der Einwohner in Deutschland fielen mager aus. 17,4 Prozent der Befragten verweigerten entsprechend verwertbare Antworten. Vom Rest gaben 10,5 Prozent an, keine Religion, Glaubensrichtung oder Weltanschauung zu haben, während sich 66,8 Prozent zum Christentum bekannten.

In der Zensus-Datenbank werden 24,7 Millionen Katholiken (darunter 1,5 Millionen Ausländer) und 24,3 Millionen Protestanten gezählt.  Die Zahl der Personen, die sich sonstigen oder gar keinen Religionen zugehörig fühlen beziehungsweise keine Angaben zu religiösen Fragen machten, betrug 31,1 Millionen. Darunter waren 4,3 Millionen in Deutschland lebende Ausländer - also mehr als zwei Drittel dieser Gruppe.

So bleiben die tatsächlichen Anhängerzahlen anderer Religionen, Glaubensrichtungen und Weltanschauungen (5,3 Prozent der Befragten) weitgehend im Dunkeln: Die erhobenen Werte reichen von 0,1 Prozent (Hinduismus) bis 1,9 Prozent Islam. Allerdings, so Roderich Egeler, sei "davon auszugehen", dass die Anhänger der Weltreligionen Judentum, Islam, Buddhismus und Hinduismus "überproportional häufig von der Möglichkeit Gebrauch gemacht haben, auf die Beantwortung der Frage zur Religionszugehörigkeit zu verzichten". Zu diesen Religionen könne der Zensus 2011 bedauerlicherweise "keine verlässlichen Ergebnisse" bereitstellen.

Nach den neuesten Zahlen stammt mittlerweile fast jeder Fünfte in Deutschland aus einer Zuwandererfamilie: 15 Millionen Einwohner des Landes haben einen sogenannten Migrationshintergrund. Dabei berücksichtigen die Statistiker jeden, der nach 1955 nach Deutschland eingewandert ist oder der mindestens einen zugewanderten Elternteil hat. Der weitaus größte Teil dieser Gruppe - rund neun Millionen - besitzt die deutsche Staatsbürgerschaft. Die Stadt mit dem größten Anteil an Migranten in diesem Sinne ist in Deutschland Offenbach mit 49 Prozent.

Begonnen hatte die Datenerhebung  vor ziemlich genau zwei Jahren Anfang Mai 2011. Anders als in den achtziger Jahren gab es dieses Mal keine großen Proteste der Bürger - auch wenn der Datenschutzbeauftragte Peter Schaar durchaus vor Gefahren warnte. Er kritisierte etwa, dass in Kliniken, Gefängnissen und Altersheimen personenbezogene Daten erhoben worden seien. Aber Dank Facebook, Twitter und Co. sind die Deutschen inzwischen offenbar einen sehr viel lockereren Umgang mit ihren Daten gewohnt als früher. "Die Bevölkerung hat ein großes Vertrauen in die Statistik", stellte denn auch Daten-Expertin Bechtold fest.

Dennoch brauchte das Statistische Bundesamt länger als erwartet für die Auswertung der Datenflut. Das liege, so Leiter Egeler am Freitag, am neuen Verfahren. Im Unterschied zu einer klassischen Volkszählung wurde nur ein Drittel der Bevölkerung befragt - persönlich oder schriftlich. Die übrigen Daten stammen aus den Melderegistern der Kommunen, der Arbeitsagentur und anderen Quellen. "Wir hatten das etwas unterschätzt", räumte der Vizechef des Statistischen Bundesamts, Dieter Sarreither, ein. Das Verfahren sei wissenschaftlich begleitet worden und zeitraubend sei auch die Bereinigung von Implausibilitäten gewesen.

Für die Statistiker bergen die Zahlen auch in Zukunft noch viel Arbeit. Diverse Angaben über Deutschland müssen neu berechnet werden - so etwa alle Pro-Kopf-Angaben wie zum Beispiel die Geburtenrate. Bis Ende 2014 soll die neue Bevölkerungsvorausberechnung stehen, die Prognose für den demografischen Wandel.

Und dann können bald schon die Vorbereitungen für die nächste Volkszählung beginnen: Sie ist auf 2021 terminiert.

Mitarbeit: Sven Röbel
Die Wiedergabe wurde unterbrochen.
Merkliste
Speichern Sie Ihre Lieblingsartikel in der persönlichen Merkliste, um sie später zu lesen und einfach wiederzufinden.
Jetzt anmelden
Sie haben noch kein SPIEGEL-Konto? Jetzt registrieren
Mehrfachnutzung erkannt
Bitte beachten Sie: Die zeitgleiche Nutzung von SPIEGEL+-Inhalten ist auf ein Gerät beschränkt. Wir behalten uns vor, die Mehrfachnutzung zukünftig technisch zu unterbinden.
Sie möchten SPIEGEL+ auf mehreren Geräten zeitgleich nutzen? Zu unseren Angeboten