Asylbewerber in Schwäbisch Gmünd Kofferschleppen für 1,05 Euro die Stunde

Der Bahnhof in Schwäbisch Gmünd wird umgebaut. Um den Reisenden das Treppensteigen zu erleichtern, hat sich die Stadt eine ungewöhnliche Lösung einfallen lassen. Asylbewerber tragen die Koffer der Bahngäste - für 1,05 Euro die Stunde.

Schwäbisch Gmünd - Große Ereignisse werfen in Schwäbisch Gmünd ihre Schatten voraus: Im kommenden Jahr findet in der Stadt am Rande der Schwäbischen Alb Baden-Württembergs Landesgartenschau statt. Doch bis es soweit ist, müssen in der Stadt umfangreiche Bauarbeiten durchgeführt werden.

Auch der Bahnhof von Schwäbisch Gmünd wird bis Anfang 2014 für sieben Millionen Euro modernisiert. Die Arbeiten bringen für die Reisenden allerhand Beschwernisse mit sich: Die Unterführung, in der die Bahn-Passagiere ihr Gepäck auf einem Förderband abstellen können, ist gesperrt. Aufzüge gibt es nicht. Als Provisorium hat die Bahn eine Stahlbrücke errichtet, die über die Gleise führt. Doch die Treppen sind steil, gerade für ältere Fahrgäste mit viel Gepäck und Mütter mit Kinderwagen ist der Weg sehr beschwerlich geworden. Einige Fahrgäste haben sich bei der Bahn deswegen beklagt.

Bahn, Stadt und Landkreis haben nun auf ungewöhnliche Art Abhilfe geschaffen: Seit Montag helfen Asylbewerber den Reisenden beim Koffertragen. Zehn Flüchtlinge aus afrikanischen Ländern, Afghanistan und Pakistan, die in einer Unterkunft in Schwäbisch Gmünd leben, haben sich freiwillig zum Dienst gemeldet. In Zweierteams tragen sie in zwei Schichten von 6.15 Uhr bis 18 Uhr das Gepäck der Bahnfahrer. Sie haben rote T-Shirts mit der Aufschrift "Service" bekommen, tragen Namensschilder und Strohhüte, die vor der heißen Sonne schützen sollen.

Schwaben zahlen angeblich gutes Trinkgeld

Der Lohn ist bescheiden: Sie verdienen gerade einmal 1,05 Euro die Stunde. Das ist der Maximallohn für Asylbewerber - mehr lässt das deutsche Asylbewerberleistungsgesetz nicht zu. "Das ist keine Summe, die als Anreiz dient", räumt auch Markus Herrmann, Sprecher der Stadt Schwäbisch Gmünd ein. Die Stadt, die sich die Kosten des ungewöhnlichen Projekts mit der Bahn teilt, würde den Flüchtlingen gerne mehr Lohn für die Arbeit zahlen, darf aber nicht. "Gebt den Kommunen die Freiheit, was zu tun", appelliert Hermann an die Bundesregierung. "Das würde den Alltag der Integration erleichtern."

Immerhin bekommen die Männer das Busticket zum Bahnhof bezahlt. Außerdem hat die Stadt auf dem Bahnsteig eine Hütte errichtet, in der sie im Schatten sitzen können, während sie auf Kunden warten. Im nahegelegenen Büro der Landesgartenschau können sie sich mit Getränken versorgen und auf die Toilette gehen.

250 Asylbewerber leben derzeit in einer Gemeinschaftsunterkunft in Schwäbisch Gmünd - Tendenz steigend. "Diese Menschen leben bei uns, und wir müssen uns um die Leute kümmern", sagt Oberbürgermeister Richard Arnold. Dafür geht die Stadt ungewöhnliche Wege: Beim 850-jährigen Jubiläum der Stauffer-Stadt 2012 halfen die Flüchtlinge bei Organisation und Bühnenbau und spielten beim Festumzug mit, der die Geschichte der Stauffer darstellte.

Mit diesen Aktionen will das Rathaus die Beziehungen zwischen Stadtbewohnern und Flüchtlingen vertiefen, sagt Stadtsprecher Hermann. Die Asylbewerber sollen nicht abgeschieden in ihrer Unterkunft leben, sondern Kontakte zu Einheimischen aufbauen. Auch das Kofferprojekt am Bahnhof soll dazu beitragen.

Die Stadt betont, dass das Ganze ein Experiment sei. Die Flüchtlinge arbeiten freiwillig. Wenn sich der Job am Bahnhof als zu hart erweist, können sie das Projekt jederzeit beenden. Zumindest die Fahrgäste sind sehr glücklich über das Angebot: "Die Kofferträger werden super angenommen", sagt Bahn-Sprecherin Luisa Gunga.

Die Stadt appelliert an die Bahnreisenden, den Flüchtlingen ein großzügiges Trinkgeld zu geben. Offenbar mit Erfolg. Sprecher Markus Hermann sagt: "Die sparsamen Schwaben lassen sich da nicht lumpen. Es bringt ja schließlich was."

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