Angst vor fanatisierten Einzeltätern Friedrich stoppt umstrittene Plakataktion

Umstrittene Plakat-Aktion "Vermisst": "Nicht nur unsensibel, sondern sogar gefährlich"
Foto: Bundesministerium des InnernBerlin - Das Bundesinnenministerium verschiebt auf Grund der angespannten Lage wegen des Mohammed-Films und der Karikaturen in "Charlie Hebdo" und "Titanic" eine umstrittene Plakataktion. Der für diesen Freitag geplante Beginn der Kampagne unter dem Motto "Vermisst" werde wegen einer aktuellen Gefährdungsbewertung des Bundeskriminalamtes (BKA) verschoben, teilte das Ministerium von Hans-Peter Friedrich (CSU) mit.
Ein Sprecher des Innenministeriums sagte nun, es gebe zwar keine Erkenntnisse über eine konkrete Gefährdung. Allerdings spiele der Kontext der Proteste gegen das islamfeindliche Schmähvideo und andere Unruhen in islamischen Ländern eine Rolle. Es sei nicht auszuschließen, dass dies bei fanatisierten Einzeltätern "einen Tatimpuls" auslösen könnte.
Friedrichs Plakataktion gegen die islamistische Radikalisierung Jugendlicher war seit Wochen umstritten. Vier muslimische Verbände hatten wegen der Kampagne die Zusammenarbeit mit dem Innenministerium in der sogenannten Sicherheitspartnerschaft aufgekündigt. Die Türkische Gemeinde in Deutschland sowie die türkische Regierung forderten einen Verzicht auf die Kampagne.
Sie warfen Friedrich vor, die Plakate stellten Muslime unter Generalverdacht und erzeugten eine gesellschaftliche Paranoia, die tiefes Misstrauen säe. Die Plakate ähneln Vermisstenanzeigen. Der Text lautet zum Beispiel: "Das ist unser Sohn. Wir vermissen ihn, denn wir erkennen ihn nicht wieder. Wir haben Angst, ihn ganz zu verlieren an religiöse Fanatiker und Terrorgruppen."
Roth will Plakate einstampfen lassen
Das Innenministerium betonte, die Öffentlichkeitskampagne werde ansonsten fortgesetzt. Die Kampagne wirbt für eine Beratungsstelle, wo Betroffene Rat suchen können, wenn sich jemand aus ihrem Umfeld radikalisiert. Die Grünen-Vorsitzende Claudia Roth forderte dennoch, die Kampagne komplett abzusagen. "Herr Friedrich gibt zu, dass seine Plakataktion nicht nur unsensibel, sondern sogar gefährlich ist", betonte sie. Deshalb müssten die Plakate eingestampft werden.
Auch die Türkisch-Islamische Union (Ditib) forderte das endgültige Aus der Kampagne. "Trotz der eingebrachten Einwände und Befürchtungen auf dieser Aktion zu bestehen, die nur geeignet ist, einen Keil in die Gesellschaft zu treiben, wäre unethisch", teilte die Ditib mit.
Der SPIEGEL hatte in dieser Woche bereits über ein vertrauliches Lagepapier berichtet, in dem das Bundeskriminalamt angesichts der aufgeheizten Stimmung unter radikalen Muslimen vor Gewalttaten auch in Deutschland warnte. In der dreiseitigen Analyse, die am Donnerstag vergangener Woche an die zuständigen Stellen in Berlin verschickt wurde, hieß es, dass sich Muslime in Deutschland aufgerufen fühlen könnten, Aktionen gegen US-amerikanische und jüdische Einrichtungen zu starten.
Als Auslöser hatten die Staatsschützer vom BKA dabei das islamfeindliche Video "Die Unschuld der Muslime" im Blick. Die Mohammed-Karikaturen im französischen Magazin "Charlie Hebdo" waren zu jener Zeit noch nicht veröffentlicht.