NRW-Innenminister zu Sicherheitsdebatte "Ich kann die Freiheit nicht schützen, wenn ich sie vorher abschaffe"

NRW-Innenminister Jäger (SPD): "Wir dürfen uns nicht einschüchtern lassen"
Foto: Federico Gambarini/ dpaNordrhein-Westfalens Innenminister Ralf Jäger (SPD) hat vor immer drastischeren Sicherheitsgesetzen gewarnt. "Manche Politiker neigen zu dem Reflex, auf eine Bedrohung könne man nur mit schärferen Gesetzen reagieren", sagte Jäger SPIEGEL ONLINE. "Ich kann die Freiheit aber nicht schützen, wenn ich sie vorher abschaffe", sagte er, "Es gibt keine hundertprozentige Sicherheit."
Jägers Aufruf zur Vorsicht kommt mitten in die Diskussion um schärfere Sicherheitsgesetze, die nach den Anschlägen von Paris entstanden ist. Jäger befürwortet zwar die umstrittene Vorratsdatenspeicherung. Nicht nur die Privatsphäre sei zu schützen, sondern auch das Leben und die Sicherheit der Menschen. "Alles speichern ist nicht richtig, nichts speichern auch nicht", sagt er. Dennoch sind seine Aussagen als unmissverständlicher Aufruf zur Vorsicht zu werten.
Seit den Anschlägen vom 11. September sei vielerorts überreagiert worden, sagte Jäger SPIEGEL ONLINE - ein Thema, dem der SPIEGEL die Titelgeschichte seiner aktuellen Ausgabe gewidmet hat. Seither seien auch nutzlose Placebos beschlossen worden. Als Beispiel nannte er die Regelung, dass man Terrorverdächtige abschieben könne, ohne sie vorher gehört zu haben. "Das kam nicht einmal zur Anwendung", sagte Jäger.
Die Befugnisse der Sicherheitsbehörden seien "abgesehen von der Vorratsdatenspeicherung vollkommen ausreichend". Der Nutzen immer weiterer Überwachungsbefugnisse sei angesichts der neuen Terrorbedrohung begrenzt. "Wenn sich Einzeltäter im Verborgenen über das Internet radikalisieren und nirgendwo damit prahlen, können die Sicherheitsbehörden sie nur schwer aufspüren", sagte er.
"Wir dürfen uns nicht einschüchtern lassen"
Nordrhein-Westfalen ist das Bundesland mit der größten Salafistenszene in Deutschland. Zur Bekämpfung des gewaltbereiten Islamismus seien verstärkte Präventionsmaßnahmen nötig, um das Abdriften junger Menschen in die Szene zu verhindern, sagte Jäger. Zum Kampf gegen Extremisten gehöre auch, jungen Menschen Perspektiven zu geben. "Das muss aus der Mitte der Gesellschaft kommen", forderte Jäger.
Zugleich warnte der NRW-Innenminister vor Hysterie bei Großveranstaltungen. "Wir dürfen uns nicht einschüchtern lassen." Wenn wir jetzt anfangen, wegen jedes kleinen Hinweises überzureagieren, dann passiert doch genau das, was die Extremisten wollen", sagte Jäger.
Entscheidungen,
- den Karneval in Braunschweig,
- das Radrennen um den Henninger Turm
- oder eine Pegida-Demonstration abzusagen,
wollte er damit aber nicht kritisieren. Absagen seien notwendig, "wenn sich aus der Drohung eine ganz konkrete Gefahr ableiten lässt." Angst vor Kritik dürften die Verantwortlichen dabei nicht haben. "Für mich zählt, dass niemand verletzt wird oder sogar sterben muss."
Jäger bestätigte in dem Gespräch auch, dass seine Joggingstrecke in der Vergangenheit von Personen aus dem gewaltbereiten Milieu ausgespäht wurde. Er wollte jedoch nicht präzisieren, aus welchem Umfeld dies erfolgte.
Allerdings jogge er seither morgens auf dem Weg zur Arbeit, wo er unter Personenschutz stehe. Beeinträchtigt fühle er sich dadurch nicht. "Das gehört zum Amt", sagte Jäger.