Innere Sicherheit Schäuble will Unschuldsvermutung im Anti-Terror-Kampf nicht gelten lassen

Wolfgang Schäuble begibt sich auf rechtlich heikles Terrain: Der Grundsatz der Unschuldsvermutung kann nach Ansicht des Innenministers im Kampf gegen terroristische Gefahren nicht gelten. Die FDP wirft dem Minister Polemik vor.

Hamburg - "Die Unschuldsvermutung heißt im Kern, dass wir lieber zehn Schuldige nicht bestrafen als einen Unschuldigen zu bestrafen. Der Grundsatz kann nicht für die Gefahrenabwehr gelten. Wäre es richtig zu sagen: Lieber lasse ich zehn Anschläge passieren, als dass ich jemanden, der vielleicht keinen Anschlag begehen will, daran zu hindern versuche? Nach meiner Auffassung wäre das falsch", sagte Wolfgang Schäuble (CDU) dem Magazin "Stern".

Der Innenminister schloss nicht aus, unter Folter gewonnene Informationen bei der Terrorabwehr zu verwenden. Zwar lehne er Folter strikt ab und nehme sie "auch nicht augenzwinkernd" hin, sagte Schäuble. Wenn Nachrichtendienste jedoch Informationen über einen sehr gefährlichen Anschlag erhielten, wäre es "absurd", die Informationen nicht zu nutzen, weil "nicht ganz so zuverlässig wie bei uns garantiert ist, dass sie rechtsstaatlich einwandfrei erlangt wurden". Mit einer anderen Haltung "würde ich meiner Verantwortung für die Sicherheit der Menschen nicht gerecht", fügte er hinzu.

Der innenpolitische Sprecher der FDP-Fraktion, Max Stadler, nannte Schäubles Äußerung zur Unschuldsvermutung "polemisch". "Schäuble verschweigt, dass auch bei der Gefahrenabwehr konkrete Verdachtsmomente nötig sind, um gegen jemanden zu ermitteln", sagte Stadler SPIEGEL ONLINE.

Der SPD-Innenexperte Dieter Wiefelspütz und der innenpolitische Sprecher der Unions-Fraktion, Wolfgang Bosbach, hingegen wiesen darauf hin, dass die Unschuldsvermutung grundsätzlich nur vor Gericht gelte, nicht aber bei der Gefahrenabwehr.

"Eine politische Maßnahme zur Gefahrenabwehr kann doch nicht erst dann erfolgen, wenn zuvor die Schuld des Verdächtigen zweifelsfrei nachgewiesen wurde", sagte Bosbach SPIEGEL ONLINE.

Wiefelspütz betonte allerdings, dass die Gefahrenabwehr jederzeit rechtsstaatlich erfolgen müsse. Auch Stadler gab zu bedenken, dass auch weiterhin konkrete Verdachtsmomente vorliegen müssen, "weil sonst die staatlichen Eingriffe in die Bürgerrechte schrankenlos wären".

Die Innnenpolitikerin Ulla Jepke von der Linksfraktion sagte zu SPIEGEL ONLINE: "Schäuble hat die Katze aus dem Sack gelassen." Es sei "unverfroren", wie der Innenminister die Unschuldsvermutung auszuhebeln versuche. "Schäuble strebt den totalen Sicherheitsstaat an", sagte Jelpke weiter.

Wolfgang Wieland, innenpolitischer Specher der Grünenfraktion, erklärte in einer Pressemitteilung: "Schäuble verliert endgültig seine politische Unschuld." Wenn der Minister seine Pläne durchsetze, werde "der Rechtsstaat auf dem Altar der Sicherheit geopfert."

Schäuble und Zypries im Clinch

In dem Interview verteidigte Schäuble entschieden seine Pläne zur weiteren Verschärfung der Sicherheitsgesetze. "Ich kann an all den Plänen nichts Schlimmes erkennen", sagte er. Der Rechtsstaat beschneide nicht die Freiheit, sondern er bemühe sich, sie zu schützen. "Die Gewährleistung von Sicherheit für Leib und Leben ist wesentlicher Teil der Aufgabe des Staates. Sie sichert uns eine Freiheit, die wir früher nicht hatten: weltweit zu reisen, zu kommunizieren, Geschäfte zu machen."

Scharf ging Schäuble mit Kritikern ins Gericht, die Pläne zu Grundgesetzänderungen als Anschlag auf die Verfassung bezeichneten. "Das ist eine unakzeptable Diffamierung", sagte Schäuble. Er achte die Verfassung. "Wer Gegenteiliges behauptet, betreibt ein infames Spiel mit mir."

Kritik übte der Minister an seiner Kollegin aus dem Justizressort, Brigitte Zypries (SPD). Diese hatte an manchen Plänen zur Verschärfung der Sicherheitsgesetze verfassungsrechtliche Bedenken geltend gemacht. Schäuble: "Ich wehre mich sehr dagegen, dass die Bundesjustizministerin jetzt öffentlich den Eindruck erweckt, als wäre unsere Zusammenarbeit nicht so konstruktiv, wie sie in Wahrheit ist."

Zypries reagierte am Morgen skeptisch auf Schäubles Pläne. "Ich kann mir nicht vorstellen, dass wir auf Vorrat quasi die Fingerabdrücke aller Menschen, die einen Pass beantragen müssen, weil sie reisen wollen, in Deutschland speichern", sagte die Justizministerin in der ARD. Die SPD-Politikerin bezog sich damit auf das Vorhaben Schäubles, die Fingerabdrücke bei den Passämtern zu speichern. Wie das Passgesetz aussehen solle, sei längst vereinbart und es befinde sich im parlamentarischen Verfahren. "Wenn jetzt gesagt wird, die Fingerabdrücke sollen doch noch mal woanders gespeichert werden, dann kann ich nur sagen, dafür gibt es im Moment gar keine rechtliche Grundlage", fügte Zypries hinzu.

Gegenwehr von Zypries und Heil

Bei der Einführung der biometrischen Fotos in deutschen Reisepässen im November 2005 hatte das Bundesinnenministerium zugesichert, die biometrischen Daten sollten nur zur Herstellung der Pässe genutzt und danach gelöscht werden. Eine Zentraldatei werde es nicht geben.

Auch SPD-Generalsekretär Hubertus Heil gab den Plänen des Ministers keine Chance. "Es muss klare Grenzen geben", sagte Heil. Es sei nicht hilfreich, "sehenden Auges Dinge vorzuschlagen, die mit großer Sicherheit vom Bundesverfassungsgericht kassiert werden", sagte er der "Passauer Neuen Presse". Online-Durchsuchungen ohne Wissen der Betroffenen seien ein unverhältnismäßiger Eingriff in die Grundrechte der Menschen. "Das wird auf keinen Fall so kommen, wie Herr Schäuble sich das wünscht." Dies gelte auch für den vom Minister erneut ins Gespräch gebrachten Einsatz der Bundeswehr im Innern.

Am Montag hatten sich die Koalitionsspitzen darauf verständigt, zu Schäubles umstrittenen Plänen zur Speicherung von Fingerabdrücken und Passfotos sowie zur Regelung von Online-Durchsuchungen ein informelles Gremium einzusetzen, um den Streit zu entschärfen.

Das Kabinett verabschiedete heute einen umstrittenen Gesetzentwurf von Zypries zur Telefonüberwachung. Telefon- und Internetanbieter sollen verpflichtet werden, die Daten aller Bürger auf Vorrat zu speichern. Zypries sagte, mit den Sicherheitsgesetzen Schäubles habe dies nichts zu tun. Mit ihrem Gesetz werde keine neue Ermittlungsmaßnahme eingeführt. Die Bürger erhielten dagegen mehr Rechtsschutz bei verdeckten Ermittlungen. Verfassungsschützer sehen das Vorhaben aber kritisch.

asc/cvo/job/yas/AFP/Reuters/dpa

Die Wiedergabe wurde unterbrochen.
Merkliste
Speichern Sie Ihre Lieblingsartikel in der persönlichen Merkliste, um sie später zu lesen und einfach wiederzufinden.
Jetzt anmelden
Sie haben noch kein SPIEGEL-Konto? Jetzt registrieren