Innere Sicherheit Union und SPD steuern auf Schily-Kurs
Berlin - Otto Schily ist bei den Verhandlungen des Koalitions-Arbeitskreises Innere Sicherheit nicht mit am Tisch. Trotzdem spukt der Geist des alten Innenministers noch immer im Raum herum, wenn dieser Tage über das Thema Innere Sicherheit zwischen den Koalitionären von der SPD und der Union verhandelt wird. Bei der SPD ist man heilfroh, den raubeinigen, launigen und vor allem meist beratungsresistenten Vollblutpolitiker nicht mehr dabei zu haben. Kurz vor Schluss hatte der die Zauderer aus allen Parteien in Sachen "Cicero"-Affäre noch als "Hanseln" abgekanzelt und so das letzte Mal den echten Schily gezeigt.
Bei der Union fragt man sich hingegen, wie man nach sieben Jahren Sicherheit à la Schily noch neue Maßnahmen realisieren kann. Im Wahlkampf stets ein bisschen mehr zu fordern, war einfach. Nun aber sind konkrete Vorschläge gefragt. Zwei Punkte hatten sich die Unions-Unterhändler noch auf ihre Listen gesetzt: Zum einen wollten sie den Einsatz der Bundeswehr im Inneren durchsetzen und auch versuchen, eine Art Sicherungshaft für gewaltbereite Islamisten und andere sogenannte "Gefährder" aus dem Umfeld von Terror-Sympathisanten einzuführen. Mit beiden Maßnahmen wollte man demonstrieren, dass sich durch die Union ein echter Sicherheitsgewinn über Schily hinaus machen lässt.
Ein Wohlfühlkompromiss für beide Seiten
Mittlerweile aber kristallisiert sich aus den Verhandlungen heraus, dass die Große Koalition bei der Sicherheit lediglich am von Schily eingeschlagenen Kurs feilen wird. Neue Gesetze sind kaum zu erwarten, lediglich die von Rot-Grün abgeschaffte Kronzeugenregelung wird nach bisherigem Stand in den kommenden Jahren wieder eingeführt. Tückischerweise aber wurde diese Maßnahme, die immer wieder von Terror-Ermittlern und Hardlinern aus der Union gefordert wurde, nicht in der Runde zur Innenpolitik beschlossen. Die Einigung wurde bei den Beratungen zur Justizpolitik erzielt, wo die designierte Ministerin Brigitte Zypries (SPD) nur wenig Widerstand zeigte.
Auch der Bundeswehreinsatz im Inneren wurde von den Koalitionären geschickt vertagt. Bevor die Innenpolitiker überhaupt über das Thema diskutieren konnten, fällte der Arbeitskreis Verteidigung bereits eine Entscheidung, die von beiden Seiten nun gern als "Wohlfühlkompromiss" bezeichnet wird. Vorerst nämlich wollen SPD und CDU das Bundesverfassungsgerichtsurteil zum Luftsicherheitsgesetz abwarten, das den Abschuss von entführten Flugzeugen regeln soll. Beide Seiten können so ihr Gesicht wagen - wenn auch mit reichlich Phantasie. Bei der SPD interpretiert man die Entscheidung mit dem Aus für den Inneneinsatz der Truppe. Bei der Union hingegen liegt das Thema nun quasi auf Halde für die Zeit nach dem Karlsruher Richterspruch.
Sicherungshaft gegen direkte Demokratie
Bei ihrem letzten Lieblingsprojekt, der höchst umstrittenen Sicherungshaft, wird die Union aller Voraussicht nach nicht punkten können. Vehement stellte sich die SPD bei den bisherigen Verhandlungsrunden gegen die Maßnahme. Nach SPD-Meinung würde dies weit übers Ziel hinausschießen, zumal bis heute kein Terrorist einen Anschlag in Deutschland ausführte. Als Ausgleich aber müssten die Strategen der SPD auf einige ihrer Ideen für mehr direkte Demokratie verzichten, heißt es aus den Verhandlungskreisen. Dazu sei man angesichts der Sicherungshaft bereit, die bei der SPD gern unter dem Thema "Sicherheitshysterie" verbucht wird und der Klientel der SPD nur schwer zu vermitteln wäre. Folglich liefen die Verhandlungen bisher ohne größere Auseinandersetzungen ab, was auch an dem anwesenden Innenminister in spe, Wolfgang Schäuble, liegt. Auf Seiten der SPD zeigen sich die Teilnehmer der Runden von dem erfahrenen Politiker und Ex-Innenminister zu Wende-Zeiten beeindruckt. Schäuble höre im Gegensatz zu Schily genau zu, versuche stets zu vermitteln und wirke auf beide Seiten beruhigend, lautet das Zwischenzeugnis für den designierten Nachfolger Schilys. Schäuble selbst meldet sich gelegentlich in Interviews zu Wort. Seine Maxime: Wir machen keinesfalls alles anders - nur an einigen Stellen ein bisschen mehr, wenn es denn nötig ist. Poltern wie Schily ("Wer den Tod liebt, kann ihn haben") liegt Schäuble fern.
Frohsinn ohne die Lieblingspartner
Der ungewöhnliche Frohsinn unter den schwarz-roten Sicherheitspolitikern ist auch dem Wahlergebnis geschuldet. SPD und Union sind sich in Sachen Innere Sicherheit sehr viel näher, als es beide Seiten mit ihrem gewünschten Koalitionspartner je waren. Die Grünen galten in der alten Koalition stets als Bremser und Nörgler, wenn es um die Sicherheit ging. Sie konnten zumindest verhindern, dass Schily mit jeder seiner Ideen einfach durchmarschierte. Die FDP profilierte sich im Wahlkampf ebenfalls als Wahrer der Bürgerrechte. Ohne die beiden allerdings gibt es nun bei Union und SPD wenig Konfliktpotential. "Wir sind uns bei den Themen einig, bei denen es schon vorher keinen Dissens gab", sagt der Unionspolitiker Wolfgang Bosbach.
Von einer womöglich schon am Freitag geschlossenen Koalitionsvereinbarung für die Innenpolitik ist bei dieser Ausgangslage zur Sicherheit nicht viel Spektakuläres zu erwarten. Vermutlich wird die Union darauf drängen, dass die Zusammenarbeit der Sicherheitsbehörden noch weiter verbessert wird. Gegen eine abstrakte Absichtserklärung zu diesem Thema in einer schriftlichen Vereinbarung wird sich die SPD nicht vehement wehren. Möglich wäre auch, dass der Bundessicherheitsrat, bisher hauptsächlich zuständig für Rüstungsexporte, eine neue Rolle als Kontroll- und Steuerungsgremium für die Terror-Abwehr bekommt. Ursprünglich schwebte der Union auch eine Art nationaler Sicherheitsberater nach US-Vorbild vor. Ob die SPD in dem Punkt mitzieht, ist ungewiss.
Sicherheit auch weiterhin nach dem "Otto-Katalog"
Den gerade offiziell aus dem Amt entlassenen Innenminister Schily dürften die Ergebnisse der Verhandlungen freuen. Er wird sie als Bestätigung für seine Politik der letzten sieben Jahre sehen. Die Innenpolitik der Bundesrepublik wird auch die kommenden vier Jahre immer wieder mit seinem Namen verbunden werden - schon wegen des geflügelten Begriffs "Otto-Katalog".