Integration Merkel will Geld für Problembezirke streichen

Experten loben es als vorbildhaft - doch die Bundesregierung will ein Förderprogramm für Problembezirke kürzen. Der Plan könnte die Integrationsbemühungen in sozialen Brennpunkten um Jahre zurückwerfen.
Kottbusser Tor in Berlin-Kreuzberg: Kopfschütteln über die Pläne der Regierung.

Kottbusser Tor in Berlin-Kreuzberg: Kopfschütteln über die Pläne der Regierung.

Foto: ddp

Kreuzberg

Berlin - Als die Kanzlerin im Rampenlicht den neuen Integrationsplan der Bundesregierung vorstellte, saß Laila Atrache-Younes im Schatten. Nur selten fällt Sonnenlicht in ihr kleines Büro im Erdgeschoss, von dem sie seit vier Jahren an der vordersten Front der Integration arbeitet: Atrache-Younes ist Quartiersmanagerin im Brennpunkt rund um das Kottbusser Tor in Berlin- , wo 40 Prozent der Jugendlichen die Schule ohne Abschluss verlassen, fast jeder Zweite Hartz IV bezieht und drei von vier Einwohnern Migranten sind.

Sie hat mühsame, aber viele kleine Erfolge gefeiert, sagt sie. Doch jetzt droht ein großer Rückschlag. "Wenn die Bundesregierung ihre Pläne wahr macht", so Atrache-Younes, "dann fällt hier alles zusammen."

schwarz-gelbe Koalition

Die will das Städtebauprogramm "Soziale Stadt" radikal kürzen. Bundesweit 570 Gebiete bekommen Gelder aus dem Fördertopf, mit denen ärmere Stadtteile lebenswerter werden sollen. Allein in Berlin werden 35 sogenannte Quartiere gefördert. Es werden nicht nur Schulen renoviert und Parks saniert, sondern die Quartiersmanager stärken auch das soziale Leben im Viertel, etwa mit Jugendprojekten und Sprachkursen.

Besonders für Brennpunkte wie die Gegend um das Kottbusser Tor gilt das Programm unter Experten als beispielhaft. "Mit diesen Maßnahmen vor Ort gelingt ein wesentlicher Teil der Integration", sagt Klaus Beckmann, Geschäftsführer des Deutschen Instituts für Urbanistik, der das Programm als Wissenschaftler begleitet. Er sieht die Verbindung von baulichen und sozialen Maßnahmen als Erfolgsrezept, das Deutschland vor "Verhältnissen wie in französischen Vorstädten bewahrt" habe.

Verkehrsminister Peter Ramsauer (CSU)

Doch mit dieser Verknüpfung soll nun Schluss sein. Ausgerechnet dieses Erfolgsprojekt unter den Integrationsprogrammen will die Bundesregierung abschaffen. will den Etat für Städtebauförderung von 610 Millionen Euro auf 305 Millionen Euro halbieren. Zwar wollen die Parlamentarier von Union und FDP weniger stark kürzen, doch auch sie wollen, dass im Rahmen der "Sozialen Stadt" keine sozialen Integrationsmaßnahmen mehr bezahlt werden. Es soll nur noch gebaut und renoviert werden.

Es wäre das Ende für kleine Projekte wie am Kottbusser Tor, wo Laila Atrache-Younes Hausaufgabenhilfe organisiert, kleine Einzelhändler im Viertel unterstützt oder Jugendliche mit Sportveranstaltungen am Abend von der Straße holen will.

Integration

"Wenn das so durchkäme, wäre das eine Katastrophe für die Integrationsprojekte", sagt Sören Bartol, der baupolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion. Auch Grünen-Faktionschefin Renate Künast kritisiert die Pläne. " bekommt man nicht kostenlos", sagt sie.

Protestbriefe aus der ganzen Republik

Nicht nur aus der Opposition kommt scharfe Kritik. Quartiersmanager aus der gesamten Republik beschweren sich bei Bundesminister Ramsauer. Hip-Hopper aus Berlin-Neukölln protestierten vor dessen Ministerium, der Bayerische Städtetag warnte vor "fatalem Kahlschlag". Der Tenor: Die Bundesregierung spare ein notwendiges und erfolgreiches Programm ohne Not kaputt.

Dabei gilt die "Soziale Stadt" selbst bei Union und FDP als erfolgreiches Projekt - nur scheint niemand mehr dafür zahlen zu wollen. "Den Erfolg der Maßnahmen stelle ich nicht in Frage", sagt Petra Müller, die stadtentwicklungspolitische Sprecherin der FDP-Bundestagsfraktion, "nur wollen wir die Projekte nicht aus dem Bauetat zahlen." Der Unionshaushaltspolitiker Bartholomäus Kalb (CSU) sagt: "Wenn die Mittel so knapp sind wie derzeit im Baubereich, dann sollte man sich auf die Kernaufgaben konzentrieren."

Doch wenn das Geld für die sozialen Projekte nicht mehr aus dem Stadtentwicklungsetat kommen soll, woher dann? Die Antwort darauf bleibt die Bundesregierung bislang schuldig.

Länder und Gemeinden werden kaum ihre Mittel aufstocken. Gerade die Städte mit vielen Problemgegenden wie Berlin oder Duisburg haben kein Geld übrig. Und die EU-Mittel, die in das Programm fließen, sind an die nationalen Gelder gekoppelt: Wenn Berlin kürzt, zahlt auch Brüssel weniger.

Auch wenn Union und FDP betonen, dass man "keineswegs das Programm plattmachen" wolle, wie es FDP-Politikerin Müller sagt - die schwarz-gelben Pläne könnten das Ende der "Sozialen Stadt", wie man sie kennt, bedeuten.

Zwar sollen die Stellen der Quartiersmanager erhalten bleiben. Doch die sollen sich, sagt der kommunalpolitische Sprecher der Union, Peter Götz, künftig selbst darum kümmern, woher die Mittel für Integrationsmaßnahmen im Viertel kommen. "Das ist natürlicher anstrengender für die Leute vor Ort, aber es gibt doch genug Stiftungen, die Gelder verteilen", sagt Götz.

In Berlin-Kreuzberg sorgen solche Ratschläge für Kopfschütteln. Laila Atrache-Younes sucht bereits seit einem Jahr nach einem Sponsor, der mit ein paar tausend Euro die Stadtteilzeitung finanziert. "Ich bekomme nur Absagen", sagt sie. In Problemvierteln ärmerer Städte stehen Geldgeber eben selten Schlange. "Wie soll das überhaupt funktionieren, wenn allein in Berlin nun 34 Quartiersmanager ständig nach Sponsoren suchen?", sagt sie.

Auch Stadtexperte Beckmann ist "skeptisch, dass die sozialen Projekte Ersatzgelder auftreiben können". Er befürchtet, dass vor Ort in den sozialen Brennpunkten "viel kaputt geht, was man über Jahre mühsam aufgebaut hat".

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