Integrationsdebatte "Multikulti ist eine erfolgreiche Realität"

Mehr als 4000 Beiträge in nur zwei Tagen: Die Absage von CSU-Chef Seehofer und Kanzlerin Merkel an das Multikulti-Konzept sorgt für hitzige Debatten in den SPIEGEL-ONLINE-Foren. Viele Nutzer teilen die Kritik - doch es gibt auch heftigen Widerspruch.

Hamburg - "Der Ansatz für Multikulti ist gescheitert, absolut gescheitert!" Mit dieser Meinung hat sich Kanzlerin Angela Merkel (CDU) am Samstag in der Integrationsdebatte hinter CSU-Chef Horst Seehofer gestellt. Der hatte zuvor das Multikulti-Konzept für tot erklärt. Der bayerische Politiker präsentierte einen "Sieben-Punkte-Plan" und hält an der Einschätzung fest, Deutschland sei "kein Zuwanderungsland". Gleichzeitig fordern viele Unternehmen, vor allem aus der Industrie, mehr Zuwanderung nach Deutschland - und Arbeitsministerin Ursula von der Leyen fordert, dass die Bundesrepublik "Weltoffenheit" ausstrahlen müsse, um attraktiv für ausländische Fachkräfte zu sein.

In den Foren zu den verschiedenen Artikeln auf SPIEGEL ONLINE wurden an diesem Wochenende mehr als 4000 Beiträge zum Thema verfasst - sie dokumentieren, wie kontrovers die Debatte geführt wird:

Etliche Nutzer unterstellen Merkel, gar nicht so sehr an der Sache interessiert zu sein - sondern nur auf Wählerstimmen abzuzielen. "Die Union hat erkannt, dass sie bei sämtlichen Themen derzeit schlecht aussieht. Was also macht man? Wie immer, man zieht die Ausländerkarte, lenkt von allen wirklich wichtigen Themen ab, holt sich die Herrschaft über die Stammtische zurück, baut Feindbilder mit Minderheiten auf und zettelt vor den Wahlen Schlammschlachten an", schreibt Calidris im Forum auf SPIEGEL ONLINE.

Foren-Nutzer Bayerr schreibt: "Frau Merkel hat offensichtlich die Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung zur Verbreitung von Fremdenfeindlichkeit in Deutschland genau gelesen. Und dann hat sie sich gedacht: 'Solch edlen Gefühlen muß man doch eine politische Heimat geben. Dann ist meine Union endlich wieder Volkspartei.' Zusammen mit den Äußerungen ihres Koalitionspartners Westerwelle, der Migranten nach ihrer Nützlichkeit bewertet, läßt das Schlimmes für die Zukunft ahnen."

Zustimmung und Lob für "Multikulti-Aus"

Für ihre Absagen an "Multikulti" bekommen CSU-Chef Horst Seehofer und Kanzlerin Merkel aber auch die Anerkennung vieler Foristen: "Multikulti ist eine Wahnvorstellung von realitätsfernen Leuten, grüner Schaumpolitik und roten Visionären", schreibt karin.nahm. Nutzer adolf66meier stimmt zu: "Multikulti ist schon lange gescheitert! Das liegt teilweise an den Ausländern selber, aber auch daran, dass die Deutschen einfach keine ständig größer werdende türkische Bevölkerung haben wollen."

Ob mit Fakten unterfüttert oder eher aus dem Bauch heraus argumentiert: Die Postings vieler Foristen zeigen, dass Kanzlerin Merkel offenbar einen Nerv getroffen hat. Nutzer andy69 schlägt deshalb eine Lösung vor: "Ein Miteinander funktioniert (...) nur über Regeln, und hier ist es an der Zeit, die Regeln dieser Gesellschaft endlich mal klar anzusprechen und nicht vor dem Hintergrund unserer Geschichte immer duckmäuserisch stillzuhalten."

Diskutant DasReptil argumentiert ähnlich : "Wir bestimmen die Spielregeln, wir entscheiden, welche Voraussetzungen für die Einwanderung nötig sind. Wer sich daran nicht hält, kann gehen oder kommt gar nicht erst rein."

Absage an eine "Leitkultur"

Doch neben Zustimmung für Merkel und Seehofer gibt es in den Foren auch viele Gegenreden. "Es gibt keine vorschreibbare 'Leitkultur', schreibt simha. Multikulti ist eine erfolgreiche Realität. Ich lebe sie, Millionen andere leben sie - erfolgreich. Eine präskriptive Kultur hingegen ist faschistoid."

Andere Nutzer nennen ganz konkrete Beispiele für ein friedliches Zusammenleben: "Seit elf Jahren arbeite ich in einem großen südwürttembergischen Krankenhaus als Krankenschwester in der Pflege", berichtet Nutzerin hdgdschaefer. "Morgens um 6.30 Uhr übergibt die türkische Nachtschwester (...) die Station an den Frühdienst. Ein Team aus qualifizierten (...) Multikulti-Profis übernimmt den Frühdienst bei schwerst kranken Menschen. Es mischt sich polnisch, portugiesisch, türkisch und russisch akzentuiertes Deutsch mit Schwäbisch. (...) Während ich mich auf meine Kolleginnen und Kollegen verlassen kann, schwafeln praxisferne PolitikerInnen über 'Ausländer'. Ich schäme mich als Deutsche für die Worte und das Misstrauen, das sie damit säen."

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Gegen das Misstrauen wendet sich auch dasbertel - schon aus einem ganz eigennützigen Grund: "Bis ins späte Mittelalter waren uns die Araber technologisch und wissenschaftlich weit überlegen. Das kann sich auch wieder drehen, und am Ende sind wir die integrationsunwilligen Drittweltlandabkömmlinge, welche versuchen, mühsam in den reichen arabischen postindustriellen Ländern Fuß zu fassen. Und dann könnte man uns (bzw. unseren Nachfahren) einmal vorhalten, 'ihr wolltet uns nicht, jetzt wollen wir euch nicht'."

Her mit den ausländischen Fachkräften - oder doch nicht?

Auch dass Industrieverbände und Minister den Zuzug von Fachkräften aus dem Ausland einfordern, wird kontrovers diskutiert. Viele Foristen erkennen den Bedarf der Industrie zwar an, bemängeln aber eine verfehlte Firmenpolitik: "Wenn Industrie- und Handelskammern und BDI darüber jammern, dass sie zu wenig Fachkräfte haben, sollten sie sich vielleicht mal fragen, ob sie vielleicht bei der Ausbildung kläglich versagt haben. Viel zu viele junge Leute werden heute in Berufen ausgebildet, in denen sie nur ausgebeutet werden und später nicht bleiben können", schreibt Nutzer Europa!

Nutzer obreot geht noch einen Schritt weiter - und stellt sich in der Zuzugsfrage auf die Seite von CSU-Chef Seehofer: "Deutsche Firmen wollen doch nur noch Fachkräfte, die aus dem Stand 100 Prozent bringen, die Hälfte kosten und den Mund halten. Sie scheinen nicht gewillt zu sein, Menschen, die nur zu 80 Prozent auf ein Stellenprofil passen, einzuarbeiten. Lieber schreit man nach ausländischen Fachkräften. Solange es in Deutschland immer noch Zehntausende qualifizierte und teils hochqualifizierte Arbeitslose gibt, die mit Hauptschülern um Billigjobs konkurrieren müssen, solange verbietet sich jeder Fachkräftezuzug."

Warum ausländische Fachkräfte derzeit nicht in Massen nach Deutschland kommen, versucht BartSimpson zu erklären: "Es ist nicht zu leugnen, dass vor allem auch das attraktive Sozialsystem in Deutschland verständlicherweise viel Zuwanderung in den ärmeren Schichten bedingt. Gut ausgebildete Ausländer haben hingegen wenig Bedarf an Sozialleistungen. Letztere würden nach Deutschland kommen, wenn es hier zum Beipsiel gute Karrieremöglichkeiten und natürlich gute Gehälter gäbe."

Und was denken Sie? Wie viel Zuwanderung braucht Deutschland und wie kann die Integration von Migranten verbessert werden? Diskutieren Sie mit

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