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Integrationsthesen Politik drängt Bundesbank zu Sarrazin-Entscheidung

Die Bundesregierung erhöht in der Causa Sarrazin den Druck: Angela Merkels Sprecher ermuntert die Bundesbank, die Entlassung ihres Vorstands zu beantragen, andere Politiker fordern offen seinen Rauswurf. Bei der Vorstellung seines Buches wehrte sich der frühere Berliner Senator gegen die Kritik.

Berlin - Der Andrang der Journalisten war groß, als Thilo Sarrazin sein umstrittenes Buch "Deutschland schafft sich ab" am Montag in Berlin vorstellte, doch ein Eklat blieb bei der Präsentation aus. Vielmehr nutzt der Bundesbanker die Gelegenheit noch einmal, seine umstrittenen Thesen über die Integrationsfähigkeit von Muslimen und Gene von Juden zu rechtfertigen.

Für einen Parteiaustritt gebe es keinen Grund, stellt er klar. Er werde in der "Volkspartei" SPD bleiben. Sarrazin empfahl allen Kritikern, zunächst einmal sein Buch zu lesen. "Es wird dort nichts zu finden sein, was einen Parteiausschluss rechtfertigt", sagte Sarrazin. Die SPD-Spitze plant ein Parteiausschlussverfahren gegen Sarrazin. Das Parteipräsidium wollte dem Vorstand am Montag einen entsprechenden Vorschlag machen.

Er sehe auch keinen Anlass, aus dem Vorstand der Bundesbank zurückzutreten. "Ich sehe mich durch die Meinungsfreiheit in Deutschland gedeckt", sagte Sarrazin. Als Mitglied des Bundesbank-Vorstands habe er keine dienstlichen Obliegenheiten verletzt. Bundesbank-Chef Axel Weber hat für den Nachmittag eine Stellungnahme zu Sarrazin angekündigt.

Doch der Druck auf den früheren Berliner Finanzsenator wird immer größer. Sarrazin habe mit seinen jüngsten Äußerungen das weltweit hohe Ansehen der Bundesbank beschädigt, bekräftigte Regierungssprecher Steffen Seibert die scharfe Kritik von Kanzlerin Angela Merkel an Sarrazin. Die Frage, ob dieser weiterhin dem Direktorium angehören kann, müsse die Bundesbank selbst beantworten, sagte der Regierungssprecher.

Das Ansehen komme nicht nur durch die fachlichen Äußerungen ihrer Spitzenmanager zustande. Auch fachfremde Äußerungen könnten das Ansehen beschädigen. "Die Bundesregierung sieht das nationale und internationale Ansehen der Bundesbank durchaus beeinträchtigt durch die Äußerungen von Herrn Sarrazin", sagte Seibert. "Die Bundesbank muss sich da Gedanken machen", erklärte der Regierungssprecher.

FDP fordert Konsequenzen der Bundesbank

Der Bundesbank-Präsident muss die Entlassung eines Direktoriumsmitglieds beim Bundespräsidenten beantragen, der sie dann ausspricht. "Andere Verfassungsorgane haben da gar keinen Einfluss", erklärte Seibert.

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Sarrazins Buchvorstellung: Großer Andrang in Berlin

Foto: DDP

Sarrazin hatte in den vergangenen Tagen mehrfach die Integrationsanstrengungen in Deutschland mit provozierenden Worten kritisiert und vor allem Muslimen mangelnden Integrationswillen vorgeworfen. Darüber hinaus hatte er die Ansicht vertreten: "Alle Juden teilen ein bestimmtes Gen." Dies bezeichnete Seibert als "abstrus". Auch wolle sich die Bundesregierung nicht der oft zu hörenden Auffassung anschließen, Sarrazin spreche ungeliebte Wahrheiten "endlich mal" aus. "Diese Rolle kommt Sarrazin nicht zu", sagte er. Seine Äußerungen seien geeignet, alles Positive, was in Sachen Integration erreicht worden ist, "auszublenden und komplett zu zerreden".

Sarrazin relativiert Äußerungen über Juden

Sarrazin relativierte inzwischen seine umstrittenen Äußerungen über Juden. "Als ich sagte, dass 'alle Juden ein bestimmtes Gen teilen', habe ich mich nicht hinreichend präzise ausgedrückt", schreibt Sarrazin in einer persönlichen Erklärung, die sein Verlag am Montag verbreitete. Er habe sich mit seiner Äußerung auf neuere Forschungen aus den USA bezogen, die nahelegten, "dass es in höherem Maße gemeinsame genetische Wurzeln heute lebender Juden gibt, als man bisher für möglich hielt".

Er stellte klar, dass damit kein Werteurteil verbunden gewesen sei. "Wenn neue genetische Forschungen zeigen, dass viele heutige Juden zahlreiche Gene von einer ursprünglichen jüdischen Bevölkerungsgruppe, die vor etwa 3000 Jahren im Nahen Osten lebte, gemeinsam haben, ist das zunächst einmal interessant." Politisch sei diese These hingegen neutral. Er stellte: "Um eine rassistische Äußerung handelt es sich nicht."

Auch die FDP kritisierte die Thesen Sarrazins. Es sei "skandalös", dass ganze Gruppen der Gesellschaft abgeschrieben würden, sagte Generalsekretär Christian Lindner am Montag nach einer Präsidiumssitzung seiner Partei. Ein Bundesbank-Vorstandsmitglied sei zur Mäßigung verpflichtet. Er erwarte, dass die Bundesbank "in eigener Verantwortung berät über Konsequenzen", sagte Lindner. "Das kann der Bundesbank-Vorstand so nicht tolerieren. Wir erwarten, dass von dort ein Signal kommt." Das Ziel angesichts von Migration und Alterung der deutschen Bevölkerung müsse sein, "eine neue deutsche Identität einer bunten Republik zu schaffen". Im Übrigen sei "bemerkenswert", dass Sarrazin so lange in der SPD Verantwortung habe tragen können, denn seine "Denkfiguren" müsse er schon lange vorher entwickelt haben.

Auch die Grünen fordern, dass Sarrazin umgehend von seinem Amt abberufen werde. Mit seinen Ansichten und Äußerungen schade "Sarrazin ganz erheblich dem Zusammenhalt der Gesellschaft und dem Ansehen der Bundesrepublik Deutschland im Ausland", sagte die Grünen-Parteivorsitzende Claudia Roth. Sie könne die Haltung des Bundesbank-Vorstands nicht verstehen, der die Äußerungen des ehemaligen Berliner Finanzsenators als privater Natur bewerte.

"Sarrazin bewegt sich nicht auf dem Boden des Grundgesetzes", betonte Roth. In diesem Zusammenhang regte sie an, die Benennung von Bundesbank-Vorständen künftig transparenter zu gestalten. Dazu sei eine Beteiligung des Bundestags ein geeignetes Mittel.

als/APN/dpa/AFP
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