Feministische Außenpolitik »Mit Frauen am Verhandlungstisch lassen sich Konflikte schneller lösen«

Belgiens Außenministerin Sophie Wilmès (l.) und ihre spanische Amtskollegin Arancha González im Gespräch mit dem EU-Außenbeauftragten Josep Borrell (im Februar 2021): »Eine der offensichtlichsten Diskriminierungen ist das Fehlen von Frauen in außenpolitischen Positionen«
Foto: Yves Herman / REUTERSDie deutsche Außenpolitik ist männlich: Nur 18 Prozent der deutschen Botschafter im Ausland sind Frauen, eine Außenministerin gab es in der Geschichte der Bundesrepublik bislang nicht. Im Militär sind gerade einmal zwölf Prozent des Personals weiblich.
In der Europäischen Union liegt Deutschland damit im Mittelfeld der Mitgliedstaaten. Hannah Neumann, Grünenabgeordnete im Europaparlament, will das ändern. Sie hat für die EU und die G20-Staaten Daten gesammelt: Ihr SHEcurity-Index macht deutlich, wie lange es noch bis zur Gleichberechtigung in der Außenpolitik dauert.

Hannah Neumann
Foto: Lennart KleinschmidtHannah Neumann, Jahrgang 1984, sitzt seit der Europawahl 2019 für die Grünen im Europäischen Parlament. Sie setzt sich mit Friedensprozessen in Krisenregionen auseinander und vertritt ihre Fraktion im Ausschuss für Auswärtige Angelegenheiten.
SPIEGEL: Vor gut 20 Jahren wurde die Uno-Resolution 1325 verabschiedet. Seitdem sollen Frauen stärker an Friedensprozessen und der Außenpolitik beteiligt werden. Wie macht sich die EU, wie macht sich Deutschland?
Neumann: Leider verfolgen die EU und auch Deutschland immer noch eine Politik, die weibliche Perspektiven nicht konsequent mitdenkt. Häufig heißt es: Lasst uns erst mal das Problem lösen, dann können wir uns um die Frauen kümmern. Dabei ist doch ein großer Teil des Problems, dass wir uns nicht um die Frauen kümmern, sie nicht von Anfang an mitreden. Mit Frauen am Verhandlungstisch lassen sich Konflikte nachweislich besser und schneller lösen.
SPIEGEL: Leicht gesagt. Können Sie ein Beispiel nennen?
Neumann: Mit einer feministischen Außenpolitik würde mehr Geld für Bildungseinrichtungen als für Waffen ausgegeben. Die guten Lösungen sind aber meist kleinteiliger: Unsere Handelsabkommen etwa tragen im afrikanischen Raum dazu bei, dass große Agrarkonzerne viel Geld verdienen. Dabei versuchen vor allem Frauen, über kleinbäuerliche Landwirtschaft Geld dazuzuverdienen. So zementieren wir alte Rollenbilder.
SPIEGEL: Deutschland wird von einer Frau regiert. Hat das Land den EU-Ratsvorsitz im zweiten Halbjahr 2020 nicht genutzt, um diese Dinge anzugehen?
Neumann: Deutschland hat sich nicht so stark für Frauen eingesetzt, wie ich es zum 20. Jahrestag der Uno-Resolution 1325 und den 25. Jahrestag der Pekinger Erklärung und Aktionsplattform erwartet hätte. Einige Richtlinien werden auch von der Bundesregierung immer wieder blockiert, auch gegenüber Polen und Ungarn ist Deutschland zurückhaltend.
SPIEGEL: Was meinen Sie damit?
Neumann: Die polnische und ungarische Regierung fahren eine koordinierte Strategie, um jegliche Erwähnung des Begriffs »Gender« aus der europäischen Politik zu tilgen. Dabei wird kein Bereich ausgespart: Lohnzahlungen, Digitalpolitik, biologische Vielfalt, Kultur oder Außenpolitik. In einer Ratssitzung mussten alle Staats- und Regierungschefs mehr als drei Stunden nur darüber diskutieren. Und am Ende wurde ein Kompromiss mit einem Verweis auf ein acht Jahre altes Dokument gefunden. Hier hätte ich mir von Deutschland, gerade in der Ratspräsidentschaft, mehr klare Kante gewünscht. Denn es geht Polen und Ungarn nie um die Sache, sondern nur darum, ihre nationalistische und misogyne Ideologie durchzusetzen. Spätestens die verschärften Abtreibungsgesetze Polens und die Ankündigung, sich aus der Istanbul-Konvention zurückzuziehen, hätte die Verantwortlichen in anderen Hauptstädten aufhorchen lassen müssen, dass wir hier wirklich einen heftigen Rollback erleben.
SPIEGEL: Sie haben über ein halbes Jahr Zahlen zur Repräsentation von Frauen in außenpolitischen Positionen gesammelt und damit den sogenannten #SHEcurity-Index ins Leben gerufen. Was ist das?
Neumann: Ich durfte für das Europäische Parlament einen Bericht über Gleichstellung in der Außen- und Sicherheitspolitik in der EU erstellen. Das Problem war, dass es dazu kaum Zahlen gab. Deshalb haben wir monatelang Botschaften und Außenministerien der EU und G20-Staaten angeschrieben, um herauszufinden, wie sich die Repräsentation von Frauen in der Sicherheits- und Außenpolitik seit der Verabschiedung von Uno-Resolution 1325 verändert hat.
SPIEGEL: Und was kam heraus?
Neumann: In einigen Bereichen, wie der Diplomatie, werden diese Zahlen meist gar nicht erhoben. In anderen mussten wir lange suchen.
SPIEGEL: Gab es dennoch Ergebnisse?
Neumann: Ungarn zum Beispiel hat mit knapp 20 Prozent den höchsten Anteil an Frauen im Militär. Das liegt wohl daran, dass es in vielen kommunistischen Ländern früher viel alltäglicher war, dass Frauen in allen Bereichen mitarbeiten. Allerdings bezieht sich diese Beobachtung nicht auf Führungspositionen: Es gibt nur einen geringen Anteil an Frauen im Parlament und unter den Botschaftsleitungen. Ungarn war übrigens nicht bereit, uns Zahlen zu liefern, weil sie angeblich keine Zahlen zur Repräsentation von Frauen sammeln. Die Zahlen haben wir dann anders recherchiert.
SPIEGEL: Sie fordern in Ihrem Bericht eine feministische Außenpolitik für die EU. Was soll das sein?
Neumann: Ziel feministischer Außenpolitik ist es, Diskriminierungsstrukturen zu erkennen, zu benennen und abzubauen. Eine der offensichtlichsten Diskriminierungen ist das Fehlen von Frauen in außenpolitischen Positionen, was dann auch Auswirkungen darauf hat, welche Entscheidungen getroffen werden und wohin Geld fließt. Eben häufig nicht dahin, wo es die Diskriminierung von Frauen und Minderheiten bekämpft.
SPIEGEL: Was halten denn Abgeordnete aus Mitgliedstaaten wie Ungarn von feministischer Außenpolitik?
Neumann: Auch in Ungarn gibt es progressive Abgeordnete. Ich war insgesamt überrascht, wie gut der Bericht angenommen wurde – und dass wir den Begriff »feministische Außenpolitik« überhaupt hineinschmuggeln konnten. Das war wirklich ein Erfolg. Immerhin blockieren Mitgliedstaaten wie Polen oder Ungarn bereits jeden Beschluss in der EU, wenn irgendwo das Wort Gender auftaucht.
SPIEGEL: Welche Mittel hat die EU denn, um Ihre Forderungen umzusetzen?
Neumann: Die Kommission hat nach meinem Bericht den dritten Gender-Aktionsplan (GAP3) beschlossen, also einen Plan, mit dem sich die Mitgliedstaaten gemeinsam bestimmte Ziele zur Förderung der Gleichberechtigung in der Außen- und Sicherheitspolitik setzen. 24 von 27 Ländern haben dem Plan zugestimmt. Natürlich muss auch überprüft werden, ob die Mitgliedsstaaten und die Kommission einhalten, was sie versprechen. Ich sehe das auch als meine Aufgabe. Die Zahlen des #SHEcurity-Index können ein Druckmittel sein: Jetzt müssen die Staaten einmal im Jahr Rechenschaft darüber ablegen, was sie erreicht haben.
SPIEGEL: Bislang scheinen die Sanktionsmöglichkeiten der EU aber gering zu sein. Hätte die EU stärker auf Polen einwirken sollen, als das Land sein Abtreibungsrecht verschärfte?
Neumann: Wir befinden uns ja gerade in einem Artikel-7-Verfahren mit Polen.
SPIEGEL: Das bedeutet, dass der Rat der Europäischen Union prüft, ob eine Verletzung der Rechtsstaatlichkeit durch Polen besteht. Aber es ist wenig aussichtsreich.
Neumann: Trotzdem ist es wichtig, gezielt Vertragsverletzungsverfahren gegen Polen oder Ungarn wegen Frauenthemen durchzusetzen. Egal mit welchem Ausgang. Allein, damit die Menschen im Land, die gegen das Abtreibungsverbot auf die Straße gehen, wissen, dass sie Unterstützung und Rückhalt von der EU haben.