Interne Anweisungen Polizei rüstet sich für den Terror-Ernstfall

Die deutschen Sicherheitskräfte halten Anschläge hierzulande für jederzeit möglich und wappnen sich nun für einen Großangriff von Islamisten. Laut internen Unterlagen, die SPIEGEL ONLINE vorliegen, mobilisiert die Polizei alle verfügbaren Kräfte - und lässt schusssichere Westen verstärken.
Interne Anweisungen: Polizei rüstet sich für den Terror-Ernstfall

Interne Anweisungen: Polizei rüstet sich für den Terror-Ernstfall

Foto: dapd

Hamburg - Ein Schriftstück mit dem Titel "Einsatzkonzeption Islamistische Gefährdungslage" verspricht im Allgemeinen keine besonders spannende Lektüre zu sein. Es ist nüchtern geschrieben, wimmelt von Fachbegriffen und schließt dann auch noch nach zwölf zähen Seiten mit dem unbefriedigenden Satz "Dieses Dokument wurde elektronisch erstellt und ist auch ohne Unterschrift gültig".

Und dennoch zeigt das am 17. November in Kraft gesetzte Papier der Bundespolizei ("VS - Nur für den Dienstgebrauch"), wie gewissenhaft sich die deutschen Behörden zurzeit für eventuell bevorstehende Anschläge rüsten. Terroristische Aktivitäten erschienen derzeit "ernsthaft nahe liegend", heißt es dort. Bevorzugte Angriffsobjekte seien "Örtlichkeiten mit hohem Symbolwert", aber auch Plätze, "die mit 'typischen westlichen Lebensgewohnheiten' in Verbindung gebracht werden".

Dabei hatte der Vorsitzende der Innenministerkonferenz, der Hamburger Senator Heino Vahldieck, noch am Freitagmittag auf einer Pressekonferenz gescherzt, natürlich werde er den Weihnachtsmarkt vor dem Rathaus besuchen. So wie die anderen Minister an ihren jeweiligen Dienstorten doch wohl auch. Man will Normalität leben, selbst in Zeiten der Gefahr. Motto: Wir lassen uns nicht einschüchtern.

Warnung vor "fanatisierten Einzelkämpfern"

In einem anderen Polizeibefehl heißt es jedoch, Anschläge seien nun "jederzeit" möglich, in unterschiedlicher Dimension und Intensität. Als besonders gefährlich gelten den Behörden Extremisten, die sich im afghanisch-pakistanischen Grenzgebiet paramilitärisch haben ausbilden lassen. Aber auch "emotionalisierte und fanatisierte Einzeltäter" seien nicht zu unterschätzen.

Den Beamten wird daher befohlen, bei der Einreisekontrolle von Flügen aus dem Nahen Osten besonders aufmerksam zu sein und unter anderem nach gefälschten Pässen Ausschau zu halten.

Etwa 1140 Personen rechnen die Sicherheitsbehörden gegenwärtig der islamistisch-terroristischen Szene in Deutschland zu, etwa 220 von ihnen sollen eine Terrorausbildung erhalten haben. Der Präsident der Bundespolizei, Matthias Seeger, hatte am Morgen in einem Interview gesagt: "Auf einer Skala von 1 - keine Gefahr - bis 10 - akute Anschlagsgefahr - liegen wir im Moment bei 9." Man werde daher "auf den Bahnhöfen mit bis zu 2500 Bereitschaftspolizisten im Einsatz sein", so Seeger. Zudem habe man "Extra-Streifen in Zivil und Uniform in den Zügen vorgesehen".

Nachwuchskräfte aus der Polizeiakademie müssen auf Streife

Laut Einsatzbefehl wird daher sogar die Bundespolizeiakademie angewiesen, "im Bedarfsfall" möglichst viele Auszubildende und Studenten für einen etwaigen Großeinsatz abzustellen. Die Elitetruppe GSG 9 hat sich zudem "über den gesamten Einsatzzeitraum" für "Anforderungen" bereitzuhalten. Und Führungskräfte der Bundespolizei wurde aufgegeben, auch am Wochenende binnen einer Stunde im Dienst sein zu können.

Offenkundig sieht man außerdem die Beamten durchaus gefährdet. Wie aus internen Mails hervorgeht, werden die Polizisten angewiesen, ihre schusssicheren Westen mit "Einschubplatten" zu verstärken. So können sie auch Geschossen aus Sturmgewehren standhalten. Ein Oberkommissar sagte dazu: "Das habe ich in über zehn Dienstjahren noch nie erlebt. Eigentlich könnten wir so auch nach Afghanistan gehen."

Aus den Landespolizeibehörden ist ebenfalls zu vernehmen, dass dort die Vorbereitungen für den Ernstfall auf Hochtouren laufen. "Bei uns wird richtig gerödelt", sagte ein Kriminalbeamter aus Nordrhein-Westfalen. "Alles andere hat jetzt plötzlich Zeit." Durch Umschichtungen in den Dienstplänen versuche man derzeit, so viel Personal wie möglich "auf die Straße zu kriegen".

Mögliche Ziele: Frankreich, Großbritannien - und Deutschland

Bundesinnenminister Thomas de Mazière hatte am Mittwoch eindringlich wie noch nie vor drohenden Anschlägen islamistischer Terroristen in Deutschland gewarnt. Im ganzen Land habe er deswegen die Sicherheitskräfte angewiesen, die Kontrollen an Bahnhöfen, Flughäfen und anderen möglichen Anschlagszielen hochzufahren. De Maizière wollte jedoch keine Details zu Ermittlungen nennen. Mehrmals aber betonte er, es gebe konkrete Verfahren. Im Jargon der Behörden heißt dies, dass die Fahnder offenbar Belege gefunden haben, dass die Warnungen zutreffend sind.

Seit Monaten kursieren Hinweise, dass militante Dschihadisten Anschläge in verschiedenen Ländern Europas planen. Unter anderem hatten zwei inhaftierte deutsche Dschihadisten entsprechende Aussagen gemacht.

Im Juli war in Kabul der Hamburger Ahmad S. von US-Streitkräften festgenommen worden und hatte berichtet, ein Qaida-Mann namens Juni al-Mauretani habe ihm von Anschlagsplanungen in Europa erzählt. Rami M., ebenfalls aus Hamburg, hatte diese Aussage bestätigt. Er war in Pakistan verhaftet worden und ist mittlerweile nach Deutschland überstellt worden. Ahmad S. befindet sich weiterhin in US-Gewahrsam in Bagram in Afghanistan. Neben Frankreich und Großbritannien ist auch Deutschland ein mögliches Ziel der Extremisten.

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