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Völkerrechtler über Abschiebung eines Hutu-Funktionärs »Musoni erwartet eine Rachejustiz«

Straton Musoni war Vizechef einer ruandischen Rebellengruppe, er fürchtet in der Heimat um sein Leben. Warum hat ihn Deutschland trotzdem abgeschoben? Fragen an den Hamburger Völkerrechtler Gerd Hankel.
Ein Interview von Beate Lakotta
aus DER SPIEGEL 43/2022
Musoni als Angeklagter beim Prozess vor dem Oberlandesgericht Stuttgart in 2011

Musoni als Angeklagter beim Prozess vor dem Oberlandesgericht Stuttgart in 2011

Foto: Bernd Weißbrod / picture alliance / dpa

SPIEGEL: Herr Hankel, Straton Musoni war Vizepräsident einer ruandischen Rebellengruppe, der Hutu-Miliz FDLR. Ihr werden Verbrechen gegen die Menschlichkeit vorgeworfen. Im ersten Prozess nach dem deutschen Völkerstrafgesetzbuch wurde der in Nürtingen lebende Musoni 2015 als Rädelsführer einer terroristischen Vereinigung verurteilt. Nach SPIEGEL-Informationen hat ihn das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge am Freitag nach Ruanda abgeschoben.

Hankel: Das überrascht mich. Musoni wurde zu acht Jahren verurteilt und kam sofort nach dem Urteil frei, weil er fast sechs Jahre in Untersuchungshaft gesessen hatte. Er hat sich längst von der FDLR losgesagt und galt als perfekt integriert.

SPIEGEL: Sein Asylantrag wurde abgelehnt: Er sei in Ruanda weder verfolgt noch gefährdet.

Hankel: Wie man dazu kommen kann, ist mir schleierhaft. Sehr wahrscheinlich wird man ihn dort erneut anklagen.

Aus: DER SPIEGEL 43/2022

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SPIEGEL: Das wäre kein Grund für ein Bleiberecht in Deutschland: Das Auswärtige Amt beruft sich auf Ruanda als Rechtsstaat.

Hankel: Eine Fehleinschätzung. Ich war oft genug dort. Der Staat achtet keine Menschenrechte. Die Justiz arbeitet nach Wunsch des Präsidenten. Das müssten die deutschen Behörden wissen. Die FDLR gilt als Staatsfeind Nummer eins, auch wenn sie heute eigentlich keine Rolle mehr spielt. Musoni als ihr einstiger Repräsentant und ehemaliger Protagonist des Widerstands erwartet eine Rachejustiz.

SPIEGEL: Worauf stützen Sie das?

Hankel: Auf eigene Erfahrungen und auf Berichte von anerkannten NGOs. Danach rangiert Ruanda in Sachen Menschenrechte in einer Liga mit Iran, Saudi-Arabien oder Russland. Dahin würden wir jetzt auch nicht ausliefern. Und andere Ruander haben in Deutschland ja auch Asyl bekommen. Dass Musoni diesen Schutz nicht bekommt, ist unverständlich.

SPIEGEL: Musonis Verteidigung hat 2019 Beschwerde beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte eingelegt, der Prozess in Deutschland sei kein faires Verfahren gewesen. Die Entscheidung steht noch aus.

Hankel: Ich halte es für anrüchig, vollendete Tatsachen zu schaffen, ohne das Ergebnis abzuwarten. Er wird dort wohl den Rest seines Lebens im Gefängnis verbringen. Sollte der Beschwerde stattgegeben werden, wird man ihn nicht zurückholen können.

SPIEGEL: Musoni fürchtet, gefoltert oder getötet zu werden.

Hankel: Das ist nicht ausgeschlossen. Ich weiß von Gefangenen, die spurlos verschwunden sind. Aber es scheint eine Strömung im Auswärtigen Amt zu geben, die voller Vertrauen in die ruandische Justiz ist. Ich sehe da eine Parallele zum langjährigen Umgang mit Russland. Man sagt: Das Land hat eine extreme Gewaltgeschichte, aber wir geben ihm eine Chance. Aber man macht so nur die üblen Kräfte stark, wie wir heute wissen.

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