Interview mit CSU-Chef Stoiber "Was zum Töten animiert, gehört verboten"

Der bayerische Ministerpräsident Stoiber will Killerspiele am Computer verbieten lassen. Im Interview mit SPIEGEL ONLINE fordert der CSU-Chef eine neue Debatte darüber, mit welchen Werten Kinder aufwachsen sollen - er will die ganze Medienbranche in die Pflicht nehmen.

SPIEGEL ONLINE: Herr Ministerpräsident, nachdem ein junger Mann aus Emsdetten, offenbar angeregt durch Computerspiele, in seiner Schule mehrere Menschen verletzt und sich anschließend selbst umgebracht hat, ist die Debatte über sogenannte Killerspiele entbrannt. Sie fordern deren Verbot. Warum?

Edmund Stoiber: Natürlich lässt sich nicht jeder gleichermaßen von diesen Killerspielen beeinflussen und verwechselt Realität und Fiktion. Wir haben aber leider Wirkungen, die - wie es der Vorfall an der Schule in Emsdetten zeigt - zu furchtbaren Ergebnissen führen können. Es gibt viele junge Menschen, die sich in solche Spiele stundenlang vertiefen und in ihrer Einstellung zum Leben ganz entscheidend geprägt werden.

SPIEGEL ONLINE: Aber ist ein Verbot nicht ein zu weitreichender Eingriff?

Stoiber: Viele dieser Spiele vermitteln eine Gleichgültigkeit gegenüber dem Leben. Wenn solche Wirkungen feststellbar sind - und die Wissenschaft tut das - dann muss man darauf reagieren. Das Herstellen und das Verbreiten dieser Killerspiele muss ganz anders als bisher reglementiert werden.

SPIEGEL ONLINE: Es gibt viele Wissenschaftler, die bezweifeln einen direkten Zusammenhang zwischen Computerspielen und direkter Gewaltausübung.

Stoiber: Jene, die meinen, es handele sich um einen unzulässigen Eingriff in die Freiheit, sollen bitte schön einmal mit Pädagogen und Lehrern reden, die tagtäglich mit Kindern konfrontiert sind, die stundenlang mit solchen Spielen spielen. Ich höre oft bei Schulbesuchen: Selbst Kinder aus intakten Familien, die damit in Berührung kommen, sind die ganze Woche für den Unterricht nicht mehr zu gebrauchen. Die Lehrer haben eine ungeheure Mühe, diese Kinder wieder einigermaßen zu festigen und für den Unterricht zu gewinnen. Wir dürfen das Engagement unserer Eltern und der Erzieher nicht so erschweren, wenn Kinder unsere Zukunft sein sollen.

SPIEGEL ONLINE: Wie sollen Einschränkungen denn konkret aussehen?

Stoiber: Es müssen solche Spiele verboten werden, in denen Mord und Totschlag propagiert und dazu angeleitet wird. Schon die Hersteller müssen prüfen, ob sie nicht bei der Produktion solcher Spiele gegen bestimmte Grundsätze verstoßen.

SPIEGEL ONLINE: Wandern solche Hersteller dann nicht einfach ins Ausland ab?

Stoiber: Das ändert ja nichts daran, dass solche Spiele eine gemeinschaftsschädliche Wirkung haben. Wir in Deutschland müssen dann eben formulieren, dass wir so etwas nicht wollen. Und wir müssen dann auch alle Hebel in Bewegung setzen, um solche, im Ausland hergestellten Spiele hier zu verhindern. Der Kampf gegen Kinderpornografie hat gezeigt, dass bei einem Verbot auch die Verbreitung über das Internet zurückgedrängt werden kann.

SPIEGEL ONLINE: Bayern hat das Thema schon seit 1999 mit einer Bundesratsinitiative auf der Agenda. Sehen Sie unter den Bedingungen der Großen Koalition bessere Chancen, hier zu einem Durchbruch zu kommen?

Stoiber: Ja, weil wir in der Koalitionsvereinbarung eine Regelung getroffen haben, das anzugehen. Bayern wird dazu seine Bundesratsinitiative neuerlich in den Bundesrat einbringen. Killerspiele, die Jugendliche zum Töten von Menschen animieren, gehören in Deutschland verboten. Ein starker und verantwortungsbewusster Staat darf hier nicht einfach zuschauen und nichts tun.

SPIEGEL ONLINE: Heute besteht die Große Koalition ein Jahr. Gedrängt hat sie bei diesem Thema nun nicht gerade.

Stoiber: Leider bedarf es wohl eines solchen schlimmen Vorfalls wie in Emsdetten, um ins Gedächtnis zu rufen, welche Werte unsere Gesellschaft vermitteln will. Im Kern geht es auch darum: Wollen wir die schrankenlose Darstellung von Gewalt in den neuen Medien eindämmen? Es geht auch darum, ein gesellschaftliches Bewusstsein gegen solche Spiele zu schaffen. Das Verbot der Herstellung und Verbreitung von Killerspielen in Deutschland ist längst überfällig.

SPIEGEL ONLINE: Geht es Ihnen auch um eine gesellschaftliche Debatte?

Stoiber: Ja. Denn Verbote, Ahndungen oder Strafen im Strafgesetzbuch stellen nicht nur bestimmte Handlungen unter Strafe. Sie drücken auch eine gesellschaftliche Kennzeichnung aus, schaffen auch ein Werturteil. Mit dem Verbot von Produktion und der Verbreitung von Killerspielen wird auch ein erheblicher gesellschaftlicher Druck ausgeübt. Jeder weiß dann, dass er etwas gesellschaftsschädliches tut. Das kann, davon bin ich überzeugt, diese Spiele deutlich zurückdrängen.

SPIEGEL ONLINE: In Fernsehmusiksendern wie MTV werden seit Jahren Kampfspiele vorgestellt. Müssen nicht auch bestimmte Medien mit in den Diskurs einbezogen werden?

Stoiber: Zweifelsohne. Wenn wir eine große gesellschaftliche Diskussion zustande bringen über die Wirkung solcher Killerspiele, dann folgt darauf auch die Frage an die großen Medienanbieter: Was ist eurer Beitrag? Müsst ihr euch nicht bei bestimmten Spielen zurückhalten? Hat das Auswirkungen auf die Kinder? Was sagen Pädagogen dazu? Ich bin manchmal erschüttert, wie gleichgültig manche Medien auf die Wirkung ihrer Produkte reagieren. Wir brauchen eine neue Wertedebatte.

Das Interview führte Severin Weiland

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