Interview mit Erhard Eppler Erst linke Mehrheit, dann linke Regierung
SPIEGEL ONLINE: An diesem Wochenende findet sich alles, was in der SPD Rang und Namen hat, in Bad Boll zu einem großen Symposium aus Anlass Ihres 80. Geburtstags ein. Auf der Gästeliste stehen Kurt Beck, Hans-Jochen Vogel, Heidemarie Wieczorek-Zeul, die Laudatio hält Gerhard Schröder. Nur ein Name fehlt: Helmut Schmidt.
Erhard Eppler: Ich nehme nicht an, dass er eingeladen wurde.
SPIEGEL ONLINE: Sie waren in den siebziger und achtziger Jahren Schmidts Hauptgegenspieler, der lauteste Kanzlerkritiker.
Eppler: Es war vielleicht der wichtigste Konflikt meines Lebens. Ich bin an und für sich ein Mensch, der um Loyalität großen Organisationen, also auch seiner Partei gegenüber bemüht ist. Deshalb überlege ich mir auch oft, ob denn dieser Konflikt zu verhindern gewesen wäre. Aber ich komme zu keinem entlastenden Ergebnis.
SPIEGEL ONLINE: Sie waren seit 1968 Entwicklungshilfeminister unter den Kanzlern Kiesinger und Brandt. Nach nur sieben Wochen unter Schmidt sind Sie 1974 zurückgetreten - wegen politischer Gegensätze.
Eppler: Ich fürchte, der Konflikt wäre nur zu verhindern gewesen, wenn ich kapituliert hätte. Ich war aber der Überzeugung, ich stehe für Themen, die durchgestanden werden müssen. Zum Beispiel das Thema Ökologie, für das Schmidt gar kein Verständnis hatte. Er war der Meinung, das ist eine Mode gelangweilter Mittelständler, die rasch wieder vergeht. Ich sah es als Kernthema bis ins 21. Jahrhundert. Auch in Fragen der Dritten Welt, der Atomenergie oder der Pershing-Raketen habe ich damals nicht einen persönlichen Spleen verfolgt, sondern ausgedrückt, was etwa die Hälfte der Partei so empfand. Bei Abstimmungen war es meistens so, dass es 60 zu 40 für Schmidt ausging, aber nur, weil man gegenüber dem Kanzler eine besondere Loyalität verspürte.
SPIEGEL ONLINE: Unter Schmidt waren Sie als Kritiker vom linken Rand stigmatisiert. Heute stellt sich die Situation anders dar. Die Parteizeitung "Vorwärts" schrieb zu Ihrem 80. Geburtstag im Dezember: "Je älter er wird, desto mehr hört man ihm zu." Unter Gerhard Schröder avancierten Sie zur Integrationsfigur der Partei. Wie kam das?
Eppler: Ich habe gleich nach Schmidts Abwahl 1982 klar gemacht, dass mir gar nicht wohl ist in dieser Position des Gegenspielers. Ich wollte immer, dass die Partei wieder zusammenfindet. Das ist auch durch die Arbeit der Grundwertekommission, die ich zu leiten hatte, deutlich geworden. Und so bin ich dann jedenfalls innerhalb der Partei mehr in die Mitte gerückt.
SPIEGEL ONLINE: Vom Typ her sind Sie kein Zwischenrufer, sondern eher auf Harmonie bedacht?
Eppler: Es geht nicht so sehr um Harmonie. Ich hatte immer ein großes Bedürfnis nach Loyalität. Die Position, einem sozialdemokratischen Kanzler zu widersprechen, hat mir keinen Spaß gemacht. Ich habe von 1974 bis 1982 bei jeder kritischen Äußerung gegen Schmidt mir ganz genau überlegt: Kann die Union das missbrauchen? Und ich glaube, es gibt keine einzige, wo das möglich war.
SPIEGEL ONLINE: Ähnlich hellsichtig wie bei der Ökologie waren Sie in der Frage des Zusammenbruchs der DDR, als Sie am 17. Juni 1989 im Bundestag den baldigen Fall des Eisernen Vorhangs vorhersagten.
Eppler: Ich habe mir später überlegt, warum das so war. Und ich kam zu dem Ergebnis, dass ich der einzige westdeutsche Politiker war, der dreierlei Kontakte in die DDR hatte. Erstens zur SED, durch die Gespräche mit der Akademie für Gesellschaftswissenschaften, also zu den Herrschenden...
SPIEGEL ONLINE: ...woraus 1987 das Dialogpapier von SPD und SED entstand...
Eppler: ... zweitens zu den Kirchen, und drittens zu ausgesprochenen Oppositionsgruppen. Ich war auch einer der wenigen, die regelmäßig auf den Kirchentagen der DDR auftraten und dort im kleinen Kreis mit allen möglichen Leuten reden konnten. Ich spürte, wie die SED-Führung zunehmend unsicherer wurde, und hatte sie schon im Frühsommer 1988 abgeschrieben. Das Gefühl, dass der Zusammenbruch unmittelbar bevorsteht, hatte auch der damalige Kanzler Helmut Kohl im Juni 1989 noch nicht. Während meiner Rede im Bundestag saß er ganz mürrisch vor mir, nach zehn Minuten war er ziemlich aufmerksam, am Schluss hat er als Erster gratuliert. Ich glaube, das Gefühl, dass da bald was passieren wird, hat Kohl an diesem Tag bekommen.
SPIEGEL ONLINE: Sie wurden wegen des Dialogpapiers damals als zu DDR-staatsnah kritisiert. Ihre Rede im Bundestag wurde auch als Abkehr davon interpretiert. Sehen Sie das Papier heute als Fehler?
Eppler: Keineswegs. Es hat vielen in der DDR geholfen. Und die Tatsache, dass die SED-Führung es durchgehen ließ und dann sechs Wochen später die Notbremse ziehen musste, hat mir gezeigt, dass es mit ihr zu Ende geht. Meine Rede im Bundestag war eine Konsequenz davon.
Lesen Sie im zweiten Teil, was Erhard Eppler über den Rücktritt Edmund Stoibers, die SPD in den Ländern und den Entwurf des neuen Parteiprogramms denkt.
SPIEGEL ONLINE: Lassen Sie uns den Sprung in die Gegenwart machen. Hätten Sie gedacht, dass die bayerische SPD je in eine so gute Lage kommen würde?
Eppler: Wenn es denn eine ist. Ich bin da noch nicht so sicher. In der CSU hat es schon öfter geknirscht. Entscheidend ist, dass die CSU auch nach Stoiber personell einiges anzubieten hat.
SPIEGEL ONLINE: Im Gegensatz zur SPD...
Eppler: Das habe ich nicht gesagt. Aber wenn ich mir die möglichen Stoiber-Nachfolger so angucke, dann ist Seehofer eine höchst attraktive Wahl, und dieser Hermann ist in jedem Fall ein Mensch, der Leute anziehen kann. Beckstein ist ein etwas hölzerner Franke, er passt daher nicht ganz nach Bayern. Was die SPD angeht: Ich kenne das Problem aus meiner Zeit als Oppositionsführer in Baden-Württemberg. Leute, die etwas werden wollen, gehen zur erfolgreicheren Partei.
SPIEGEL ONLINE: Auch in ihren alten Stammländern scheint die SPD aber derzeit schlecht aufgestellt. Ist das ein Anlass zur Sorge?
Eppler: Das ist richtig, aber es ist auf der anderen Seite auch so, dass Opposition in den Bundesländern ein ganz undankbares Geschäft ist. Ich entsinne mich an Umfragen, als ich Anfang 1980 zum zweiten Mal gegen den Ministerpräsidenten Lothar Späth kandidiert habe. Finden Sie, dass der Ministerpräsident gute Arbeit macht? Große Mehrheit ja. Finden Sie, dass der Oppositionsführer gute Arbeit macht? Große Mehrheit ja.
SPIEGEL ONLINE: Und dann wurden Sie beide in ihren Ämtern bestätigt...
Eppler: Genau so war es. Ich will damit nur sagen, dass Machtwechsel in den Ländern meistens bundespolitische Gründe haben. Das war in Niedersachsen so, in NRW, in Hessen. Das lag nicht daran, dass der Oppositionsführer wesentlich besser angesehen war als der Ministerpräsident. Es ist ja erstaunlich, wie Leute, die man in der Opposition gar nicht so schrecklich ernst genommen hat, etwa Roland Koch oder Christian Wulff, wie die plötzlich Statur gewinnen, wenn sie Ministerpräsident werden. Wulff wirkte neben Schröder immer wie ein netter Bub, gut für die Opposition. Ich frage mich auch manchmal, was aus mir geworden wäre, wenn ich Ministerpräsident geworden wäre. Ich bin überzeugter Schwabe, ich hätte das sehr wohl auch spielen können. Aber das wurde nie abgerufen.
SPIEGEL ONLINE: Woher könnte der bundespolitische Rückenwind für die SPD denn kommen?
Eppler: Ich glaube, dass die weltweit tosende marktradikale Welle, die über alle Kontinente hinweg gegangen ist, sich gebrochen hat und sich im Lauf der nächsten Jahre verläuft. Das wird der Union mehr Sorgen bereiten als der SPD, weil die Infektion der Union durch diese Gedanken größer ist. Die SPD ist in der Lage, sich an dieses neue Klima besser anzupassen.
SPIEGEL ONLINE: Sie haben mal gesagt, die Linke sei angesichts der Globalisierung in die Defensive geraten. Gilt das noch?
Eppler: In dem Moment, wo die neoliberale Welle verebbt, fragen die Leute: Was ist die Alternative? Und da kommt es nun darauf an, ob die Sozialdemokraten etwas zu bieten haben. Wenn Sie was zu bieten haben, sehe ich da nicht schwarz.
SPIEGEL ONLINE: Nun dümpelt die SPD in Umfragen konstant bei 30 Prozent. Das liegt auch daran, dass in den achtziger Jahren zunächst durch die Gründung der Grünen ein Teil der Klientel weggebrochen ist, jetzt saugt die Linkspartei weitere Wähler ab. Kann man überhaupt noch von der linken Volkspartei sprechen?
Eppler: Sie ist noch eine Volkspartei, weil alle Schichten in ihr vertreten sind. Aber Sie haben Recht. Die SPD ist ganz schön in die Zange genommen von drei Seiten, Union, Grüne, Linkspartei. Was mit ihr passiert, hängt davon ab, ob sie Antworten findet auf das, was die Leute demnächst fragen werden. Die Grünen sind die einzige Partei, um deren Zukunft ich nicht besorgt bin, weil ihr Kernthema Ökologie ein beherrschendes Thema des 21. Jahrhunderts sein wird. Der Klimawandel ist ein Faktum. Über soziale Gerechtigkeit hingegen kann man immer streiten.
SPIEGEL ONLINE: Nach der Bundestagswahl war viel die Rede von einer strukturellen linken Mehrheit im Land. Wann kommt Rot-rot-grün?
Eppler: Irgendwann muss aus der strukturellen linken Mehrheit auch eine linke Regierung erwachsen. Die Differenzen zwischen SPD und Linkspartei sind nicht so tief wie früher die zwischen SPD und KPD. Leute wie Lothar Bisky und Gregor Gysi hätte man nach der Wende für die SPD gewinnen können, wenn man sich bemüht hätte. Das sozialliberale Modell, das gerade wieder durch die Medien geistert, sehe ich jedenfalls überhaupt nicht. Eine Koalition mit der FDP wäre schwieriger als mit der CDU.
SPIEGEL ONLINE: Die SPD ist gerade im Prozess der Selbstfindung. Sie hatten 1989 das letzte Parteiprogramm, das sogenannte Berliner Programm, geschrieben. Jetzt liegt der Entwurf des neuen Hamburger Programms vor. Wie finden Sie den?
Eppler: Ich hoffe, der Entwurf wird noch deutlich verändert. Es ist sehr viel Luft drin. Was da steht, kann man statt auf 67 Seiten auch auf 40 Seiten sagen. Die Sprache ist weithin noch nicht die eines Programms. Sie ist nicht präzise, es gibt viele Wiederholungen. Das hängt wohl damit zusammen, dass verschiedene Leute die einzelnen Teile formuliert haben.
SPIEGEL ONLINE: Und inhaltlich?
Eppler: Die Beschreibung der Wirklichkeit ist nicht hart genug, deshalb wird die Schwierigkeit der Aufgabe nicht deutlich. Die Welt von heute ist möglicherweise noch ein bisschen weniger schön als im Programm und die Aufgaben noch ein bisschen schwieriger. Es wird immer mal wieder das Wort Fortschritt erwähnt, ohne dass es definiert wird. Das konnte man vor hundert Jahren so machen. Wer heute mit dem Begriff operiert, muss sagen, was er meint. Und er muss deutlich machen, dass er nicht von selber kommt. Die Leute, die das Programm lesen, wenn es überhaupt welche lesen, sind ja nicht fortschrittsgläubig. Sie erwarten, dass es ihren Kindern schlechter gehen wird als ihnen. Das war vor 40 Jahren anders.
SPIEGEL ONLINE: Dem Berliner Programm wird nachgesagt, es sei zu pessimistisch. Nun kontern Sie, das neue Programm sei zu optimistisch?
Eppler: Es ist zu harmlos. Nehmen Sie das Versprechen, die soziale Marktwirtschaft zu erneuern. Klingt schön, nur muss klar sein: Das ist national gar nicht zu machen. Solange es den Wettbewerb nach unten gibt, etwa bei den Unternehmensteuern, wird der Nationalstaat erpressbar durch ein global agierendes Kapital. Da kann man nicht einfach sagen, wir renovieren jetzt mal die soziale Marktwirtschaft. Wir haben es in den sieben Schröder-Jahren nicht getan, weil wir es nicht konnten. Dazu gibt es natürlich auch im Entwurf schon Hinweise, dass das nur europäisch zu machen sei. Aber das Ganze ist noch nicht schlüssig und realistisch genug.
Es fehlt auch ein wirkliches Staatskapitel. Der vorsorgende Sozialstaat wäre für mich Teil eines solchen Kapitels. Ich finde zum Beispiel, dass die Verteidigung des staatlichen Gewaltmonopols heute eine Aufgabe der Linken ist. Das muss erkennbar sein in so einem Programm.
SPIEGEL ONLINE: Der Entwurf ist nicht besser als das Berliner Programm?
Eppler: Nein, kann er auch nicht sein, weil Politik noch schwieriger geworden ist. Auch sprachlich ist er noch weit entfernt.
SPIEGEL ONLINE: Haben Sie das den Autoren schon gesagt?
Eppler: Konnte ich nicht, die sind ja geheim. Aber ich werde Kurt Beck in Bad Boll treffen und ihm anbieten, das Programm zu straffen und an einigen Punkten zu verändern.
Das Gespräch führte Carsten Volkery