Interview mit Günther Beckstein "Otto Schily war ein guter Lehrling"
SPIEGEL ONLINE:
Seit zwei Tagen hat die Union eine Kanzlerkandidatin, die Umfragen für Ihre Partei sind glänzend. Wann ziehen Sie nach Berlin um?
Beckstein: Ich warne jeden in der Union davor, die Wahlen bereits als gewonnen anzusehen. Wahlen werden immer kurzfristiger entschieden. Wir sollten uns nun nicht mit Personalfragen verzetteln, auch wenn wir eine gute Ausgangssituation haben
SPIEGEL ONLINE: Von einem Tag auf den anderen ist Wahlkampf, Spekulationen über die zukünftigen Ministerposten machen allerorten die Runde. Sind Sie bereit für einen Job in einer unionsgeführten Regierung?
Beckstein: Edmund Stoiber hat klar gesagt, dass er seine Entscheidung erst nach der Wahl trifft. Ein Schattenkabinett etwa mit einem möglichen Innenminister Beckstein wird es deshalb nicht geben. Wichtig ist, dass die Union die Kompetenz bei der Inneren Sicherheit in den Wahlkampf einbringt. Dafür stehen sowohl die Namen Beckstein, Bosbach und andere.
SPIEGEL ONLINE: Ihre Diskretion in allen Ehren, doch Träume müssen Sie doch haben.
Beckstein: Die Bärenfelle werden nach der Wahl verteilt und die haben wir noch nicht gewonnen. Wir müssen jetzt alles tun, um die Wahl zu gewinnen. Danach werden die Personalentscheidungen getroffen.
SPIEGEL ONLINE: Sie haben in der Union doch eine ganze Reihe präsentabler Kandidaten für ein Schattenkabinett, etwa Ihren Ministerpräsidenten Edmund Stoiber. Wäre es nicht wichtig - vor allem für die Wähler in Bayern, die mehrheitlich wollen, dass Stoiber dort bleibt - wenigstens dessen Zukunftspläne zu kennen?
Beckstein: Die Bayern werden die Entscheidung von Edmund Stoiber akzeptieren - wie auch immer sie ausfällt. Sie vertrauen ihm als Person. Ob er nun in Berlin wichtige Dinge in der Merkel-Regierung lenkt oder weiter in Bayern und im Bundesrat - die Menschen hier werden für jede gut begründete Entscheidung Verständnis haben.
SPIEGEL ONLINE: Herr Stoiber hat lange gezögert, bis er sich hinter die Kanzlerkandidatin der Union gestellt hat. Warum?
Beckstein: Das ist eine oberflächliche Beobachtung. Ich weiß von Edmund Stoiber, dass die Entscheidung für Angela Merkel nicht erst am Wahlabend der NRW-Wahl getroffen wurde.
SPIEGEL ONLINE: Nun muss es ganz schnell gehen und die Union steht ohne Wahlprogramm da. Ein Nachteil gegenüber der SPD?
Beckstein: Nein. Kennen Sie das Programm der SPD? Die Frage ist doch, ob die SPD den Kurs fortsetzt, der zum Verlust von einer Wahl nach der anderen geführt hat. Wir hingegen werden in den Kernbereichen neue Ideen vorschlagen, die jetzt zwar etwas schneller ausgearbeitet werden müssen, aber im Kern unbestritten sind. Für meinen Bereich kann ich sagen, dass unser Sicherheitsprogramm für die ersten 100 Tage stehen wird.
SPIEGEL ONLINE: Dann legen Sie mal los.
Beckstein: Zu allererst brauchen wir eine umfassende Anti-Terror-Datei - und zwar weitgehend als Volltext-Datei. Daneben brauchen wir eine schnelle Verbesserung der Arbeit des Terror-Analysezentrums in Berlin, das wegen der Trennung von Polizei und Geheimdienst erhebliche Probleme aufweist. Drittens werden wir schnell ein Gesetz vorlegen, das die Möglichkeiten der DNA-Analyse erweitert, um diese zum Fingerabdruck des 21. Jahrhunderts zu machen. Hier hat Rot-Grün viele Ankündigungen gemacht, die vor allem wegen der Grünen nicht umgesetzt werden.
SPIEGEL ONLINE: Kippen Sie den teuren Umzug des Bundesnachrichtendienstes?
Beckstein: Unter dem finanziellen Druck, den wir haben, muss der Umzug gestoppt werden und das ist auch noch möglich. Wir werden das bei einem Regierungswechsel umgehend angehen. Die Umzugspläne behindern die Arbeit des BND schon jetzt enorm. Viele wollen nicht mitgehen, andere spekulieren auf dann freiwerdende Posten. Eine solche Lähmung in der jetzigen, hochsensiblen Phase des Kampfes gegen den internationalen islamistischen Terror kann nicht hingenommen werden. Ein Student im Examen würde ja auch nicht in der Zeit seiner wichtigsten Prüfung den Wohnort wechseln.
SPIEGEL ONLINE: Nach augenblicklicher Lage würde nach dem Herbst die FDP mit am Kabinettstisch sitzen. Die Liberalen entdecken sich gerade als Bürgerrechtspartei wieder. Wie passt das mit der Union zusammen, die in den letzten Jahren stets mehr Gesetze zur Terror-Abwehr gefordert hat als die jetzige Regierung?
Beckstein: Dass es hier Probleme geben wird, will ich gar nicht wegdiskutieren. Ich hoffe aber sehr, dass sich die vernünftigen Kräfte in der FDP durchsetzen, mit denen Kompromisslösungen umsetzbar sind. Ich setze zudem darauf, dass die CSU in Bayern wie bisher mehr Stimmen auf sich vereint als die FDP im gesamten Bundesgebiet. Dadurch würde das politische Gewicht innerhalb einer möglichen Koalition eindeutig geklärt.
SPIEGEL ONLINE: Es gibt sogar Spekulationen, dass der neue Innenminister Guido Westerwelle heißen könnte.
Beckstein: Ich will mich zu einzelnen Personen nicht äußern. Allerdings ist völlig klar: Der zukünftige Minister muss jemand sein, der die Innere Sicherheit verkörpert. Dieses wichtige Amt ist keine Position, auf die man einfach mal wegen machtstrategischer Winkelzüge oder weil sonst kein Posten in Frage kommt, gesetzt wird.
SPIEGEL ONLINE: Die FDP forderte auf ihrem letzten Parteitag eine Überprüfung der beiden Sicherheitspakete, die nach dem 11. September 2001 beschlossen wurden.
Beckstein: Wir haben die Sicherheitspakte bereits überprüft, sie haben sich bewährt und werden unter einer Unionsregierung auch weiterhin gelten. Ich plädiere gemeinsam mit den Innenministern sogar für eine Entfristung. In Sachen Kontoabfrage haben wir zudem immer noch eine unglaubliche Schieflage: Wohngeldstellen oder Bafög-Stellen dürfen ohne weiteres Konten einsehen, an die Verfassungsschutzämter oder die Polizei selbst bei Terror-Verdacht nur unter großen bürokratischen Anstrengungen herankommen. Hier müssen die Voraussetzungen für die Durchführung verbessert werden.
SPIEGEL ONLINE: Das würde den Liberalen nicht passen, die vor allem ihrer Klientel der Besserverdienenden einen besseren Schutz des Bankgeheimnisses versprechen.
Beckstein: Der FDP fehlt es weitgehend an Praktikern, welche die konkreten Gefahren kennen. Erst heute habe ich eine weitgehende Auskunftserlaubnis für einen islamistischen Top-Gefährder unterschrieben - ohne den geringsten Zweifel, dass dies richtig war. Der Mann ist gefährlich und wir müssen wissen, was er genau tut. Was wir jetzt brauchen, sind Nachbesserungen der bestehenden Gesetze aber keine Grundsatzdiskussionen. Der Entwurf für ein drittes Sicherheitspaket, den Otto Schily in den letzten Wochen erarbeiten ließ, zeigt da vom Grundsatz her in die richtige Richtung.
SPIEGEL ONLINE: Aus ihren Worten klingt - wie schon oft in der Vergangenheit - eine gewisse Hochachtung für ihren politischen Widersacher in Berlin. Sie verstehen sich so gut, dass man ihn sich auch als Innenminister unter einer unionsgeführten Regierung vorstellen könnte.
Beckstein: Ich habe mit Herrn Schily immer gut zusammen gearbeitet und das auch nie verschwiegen. Wir haben beide die Sicherheit der Bürger fest im Auge. Trotzdem verhehle ich nicht, dass beim Bundesinnenminister zunehmend ein gewisser Altersstarrsinn sichtbar wurde. Bei der letzten Innenministerkonferenz wurde dies deutlich, als Schily eine Umstrukturierung der Sicherheitsbehörden nach dem Vorbild des FBI durchboxen wollte. Am Ende musste ihn ein Kollege aus einem damals noch SPD-geführten Bundesland darauf hinweisen, dass er mit diesem Plan nicht durchkommt - das zeigt, wie weit er mittlerweile von den politischen Realitäten entfernt ist.
SPIEGEL ONLINE: Dennoch wird es für die Union schwierig, auf dem Gebiet Innere Sicherheit gegen Schily zu punkten.
Beckstein. Schily ist eines der ganz wenigen Schwergewichte von Rot-Grün. Unser Ziel ist es nicht, alle seine Maßnahmen in Frage zu stellen. Aber es gibt deutliche Defizite: Schilys Traum vom deutschen FBI darf keine Wirklichkeit werden. Wir werden Schilys Fehler und Versäumnisse ansprechen - beim Informationsaustausch, der Anti-Terror-Datei oder beim genetischen Fingerabdruck. Wir werden klar machen, dass die Ausländerpolitik bei Rot-Grün wesentlich schlechter aufgehoben ist als bei uns. Unter der Union wird hier wieder eine Politik des Augenmaßes Priorität haben, die Integration zur Pflicht macht. Wer dort nicht Integrationsbereitschaft zeigt, muss mit Sanktionen rechnen.
SPIEGEL ONLINE: Ein Beckstein ist der etwas bessere Schily?
Beckstein: Unsere Nachricht an den Wähler ist: Die Union hat die originale und richtige Sicherheitspolitik - Otto Schily war trotz des falschen Parteibuchs ein guter Lehrling in diesem Bereich.
Das Interview führten Dominik Baur, Matthias Gebauer und Mathias Müller von Blumencron