Interview mit Historiker Wehler "Mitleid mit Irving ist verfehlt"
SPIEGEL ONLINE:
Herr Professor Wehler, halten Sie das Urteil, dass der Historiker David Irving in Österreich für drei Jahre ins Gefängnis muss, für politisch richtig?
Wehler: Ob Irving nun in Österreich für drei oder für zehn Jahre ins Gefängnis muss, ist mir vollkommen egal. Ich halte jede Art von politischem oder emotionalem Mitleid mit diesem Mann für verfehlt. Ich glaube aber, dass das entscheidende Urteil bereits vor Jahren in London gefällt wurde, als Irving auch mit Hilfe der Historiker-Gutachten von einem englischen Gericht verurteilt wurde. Die Österreicher klappern das jetzt gewisserweise zweieinhalb Jahre später nach.
SPIEGEL ONLINE: Glauben Sie denn, dass es nötig ist, in einem Fall wie Irving den Rechtsstaat zu bemühen, oder sind wir nicht langsam bereit, uns mit Leuten wie Irving auf der rein argumentativen Ebene auseinander zu setzen?
Wehler: Ich bin der Meinung, dass Irving zu einem rechtsradikalen Schreibtischtäter geworden ist, und dass das Einzige, was wirklich hilft, die argumentative Auseinandersetzung ist. Man muss gegen ihn immer wieder mit großer Geduld die korrekten Gegenthesen vertreten. Es gibt allerdings eine dünne Grenze: Wenn man rechtsradikale Verbände vor Gericht zieht, dann lässt es sich schwer bestreiten, dass auch ein Schreibtischtäter wie Irving mit dem Hüter des Gesetzes in Berührung kommt. Im Prinzip bin ich aber der Meinung: Man muss Irving als einen Exoten rechtsaußen stehen lassen, und wenn sich die Gelegenheit bietet, gegen ihn argumentieren.
SPIEGEL ONLINE: Können Sie beschreiben, wie sich der Umgang mit Holocaustleugnern von der Nachkriegszeit bis heute entwickelt hat?
Wehler: Die Bundesrepublik der 50er Jahre war, nachdem die Alliierten völlig zu Recht ihre Prozesse in Nürnberg und anderswo durchgeführt haben, ein müder Staat, was die Verfolgung des Nationalsozialismus anging. Erst in den späten sechziger Jahren kam eine junge Generation von Anwälten und Richtern zu der Auffassung: "Wir müssen selber hart durchgreifen. Die Alliierten haben ihren Teil geleistet, jetzt müssen wir Westdeutschen da ran." Die Bundesrepublik hatte lange keine rechtlichen Mittel, um gegen die Auschwitzleugner vorzugehen. Diese juristische Präzisierung kam erst später.
SPIEGEL ONLINE: Warum war das nötig?
Wehler: Man kann natürlich immer sagen, dass der Streit mit Argumenten ausgefochten werden soll. Aber beim Holocaust geht es um einen industriellen Massenmord an sechs Millionen Menschen, und den schlechterdings zu leugnen, wie es derzeit Eigenart der iranischen Regierung ist, das ist zumindest für die politische Öffentlichkeit in Deutschland eine unerträgliche Situation. Und auch weil sich die Rechtsradikalen nach dem ersten NPD-Erfolg in den späten sechziger Jahren als Rächer hervorbrachten, gab es bald eine rechtliche Regelung dahingehend, dass es in Deutschland juristisch verfolgt werden kann, wenn jemand den Massenmord an den Juden im Zweiten Weltkrieg abstreitet. Das ist also ein allmählicher Entwicklungsprozess, der keineswegs sofort nach 1949 eingesetzt hat.
SPIEGEL ONLINE: Wie ist denn das Recht auf freie Meinungsäußerung mit der Strafverfolgung Irvings zu vereinbaren? Halten Sie das für problematisch?
Wehler: Die Leugnung eines so unvorstellbaren Mordes an Millionen - ein Drittel aller Ermordeten waren Kinder unter 14 Jahren - kann man nicht so einfach hinnehmen als etwas, was durch die freie Meinungsäußerung gedeckt ist. Es sollte schon eine Rechtszone geben, in der diese Lüge verfolgt wird. Bei einer Güterabwägung finde ich - so sehr ich für das Recht auf Meinungsfreiheit bin -, kann man die Leugnung des Holocausts nicht mit einem Übermaß an Generösität hinter freier Meinungsäußerung verstecken.
SPIEGEL ONLINE: Außerhalb Europas stößt diese Praxis manchmal auf Kritik. Warum?
Wehler: Unmittelbar ist sie nur für Europäer nachvollziehbar. Und auch für die an Europa grenzenden Länder wie die Ukraine oder Russland ist das einsehbar. Dass das Thema in Anatolien, Brasilien oder China so weit weg ist und deshalb nicht viele interessiert, kann kein Grund für uns sein, auf die Strafverfolgung zu verzichten. Die universelle Gültigkeit dieser Kritik und der Strafverfolgung kann nicht der Maßstab dafür sein, ob man sie unternimmt oder sein lässt.
SPIEGEL ONLINE: Wie schätzen Sie es ein, dass Irving mittlerweile meint, er habe seine Meinung über den Holocaust geändert, weil ihm in letzter Zeit Quellen untergekommen seien, die den Holocaust belegen?
Wehler: Ich weiß nicht, ob sein Anwalt ihm geraten hat, nun den geordneten Rückzug anzutreten. An und für sich ist Irving ein Gesinnungstäter über längere Zeit, und obwohl ich ihn persönlich nicht kenne, kann ich mir nicht vorstellen, dass ein Mann, der fraglos Quellenkenntnisse besitzt und sein Erwachsenenleben mit der deutschen Zeitgeschichte verbracht hat, erst jetzt feststellen will, dass es den Massenmord tatsächlich gegeben hat. Ich halte das für ein taktisches Manöver.
Das Interview führte Anna Reimann