Interview mit Ottmar Schreiner "Das ist wirklich Unfug"

Ottmar Schreiner, 58, ist einer der prominentesten und schärfsten Kritiker des derzeitigen Kurses der SPD-Bundesspitze. SPIEGEL ONLINE sprach mit dem saarländischen Bundestagsabgeordneten über Hartz IV, die Beweggründe der Regierung und seinen Freund Oskar Lafontaine.

SPIEGEL ONLINE:

Herr Schreiner, Sie wirken in Ihrem Kampf gegen die Arbeitsmarktreformen der Bundesregierung isoliert in ihrer Partei. Sind Sie frustriert?

Ottmar Schreiner: Überhaupt nicht. Ich bin Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft für Arbeitnehmer, bin Mitglied des Parteivorstandes und fühle mich in meiner politischen Position von großen Teilen der Bevölkerung unterstützt. Ich plädiere nach wie vor für eine Kursänderung. Andernfalls bleibt die SPD im Keller.

SPIEGEL ONLINE:Es heißt, die SPD-Spitze befürchte, Sie könnten zu Lafontaine überlaufen. Werden Sie eine neue Linkspartei zu unterstützen?

Schreiner: Überläufer bin ich nie in meinem Leben gewesen. Ich folge meinen politischen Überzeugungen. Zu Lafontaine überzulaufen geht schon deshalb nicht, weil ich bereits in den letzten Jahren eng mit ihm zusammengearbeitet habe. An einer Kursänderung der SPD werde ich auch im Herbst arbeiten. Schließlich ist das Gesetzgebungsverfahren durch die bekannten Veränderungen an Hartz IV neu eröffnet worden.

SPIEGEL ONLINE: SPD-Chef Franz Müntefering hat darauf hingewiesen, dass die Partei mehrmals über die Reformen abgestimmt hat. Fehlt es Ihnen an Demokratieverständnis?

Schreiner: Ich bin sicher, dass, wenn es eine Mitgliederbefragung geben würde, wir eine eigene Mehrheit hätten. Auf den Regionalkonferenzen und beim Sonderparteitag kamen die Mehrheiten nur wegen den Rücktrittsdrohungen des Kanzlers zustande.

SPIEGEL ONLINE: Ist die hauchdünne rot-grüne Mehrheit im Bundestag von drei Stimmen ein probates Druckmittel der Fraktionslinken, um ihre Forderungen durchzusetzen?

Schreiner: Es ist klar, dass die Parteiführung mit so einer Mehrheit sorgfältig umgehen muss.

SPIEGEL ONLINE: Was stört Sie an Hartz IV?

Schreiner: Ein besonders strittiger Punkt bei den Neuregelungen ist die Zumutbarkeit jeglicher Arbeit. Die Änderungen hatten wir schon durchgesetzt, aber die CDU hat das im Vermittlungsausschuss wieder rein geschrieben. Ich lehne das jedoch kategorisch ab, weil ich glaube, damit werden Armutslöhne möglich und es übt lediglich nach unten Druck auf das gesamte Tarifgefüge aus. Meine feste Überzeugung ist, dass die Löhne in Deutschland nicht zu hoch, sondern eher zu niedrig sind.

SPIEGEL ONLINE:Was sind weitere Kritikpunkte?

Schreiner: Der zweite Schwerpunkt ist die materielle Ausstattung des Arbeitslosengeldes II. Viele Arbeitslosenhilfeempfänger werden sich verschlechtern, und das auf einem bereits sehr niedrigem Niveau. Der dritte Punkt ist das fast völlige Fehlen einer beschäftigungs- und arbeitsmarktpolitischen Konzeption. Bislang hat die Bundesregierung nur eine arbeitsmarktpolitische Wüste hinterlassen. Im Ergebnis wird mehr Armut gefördert, als abgebaut. Ich bin gespannt auf den neuen Armutsbericht der Bundesregierung.

SPIEGEL ONLINE: Müntefering sagt aber, das wäre Propaganda. Der Großteil der Menschen werde nach den Reformen besser gestellt sein.

Schreiner: Das ist wirklich Unfug. Lediglich die erwerbsfähigen Sozialhilfeempfänger werden sich besser stellen. Nach meinen Zahlen sind das knapp eine Million Menschen, während sich aber die Situation für über zwei Millionen Arbeitslosenhilfeempfänger verschärfen wird. Mehr als 25 Prozent von ihnen werden dann überhaupt keine Leistungen mehr erhalten. Fast die Hälfte wird schlechter, teilweise deutlich schlechter gestellt. Und bei etwa neun Prozent ändert sich nichts.

SPIEGEL ONLINE: Die Rechnung Münteferings kommt auf ein ganz anderes Ergebnis.

Schreiner: Vielleicht gibt es da einen anderen Großrechner. Es kann auch gar nicht sein, dass mehr Leute besser gestellt werden. Wie sollte denn ansonsten das Einsparvolumen von etwa drei Milliarden Euro bei der Öffentlichen Hand zu erklären sein? Die Absenkung des Spitzensteuersatzes am 1. Januar kommenden Jahres führt hingegen zu Einnahmeverlusten in der gleichen Größenordnung.

SPIEGEL ONLINE: Sind die Montagsdemonstrationen in der politischen Auseinandersetzung sinnvoll?

Schreiner: Ich glaube, die Proteste sind nicht mehr durch die Änderung von Details zu stoppen. Vielmehr muss es zu wirklichen Veränderungen in zentralen Punkten bei Hartz IV kommen.

SPIEGEL ONLINE: Die Bundesregierung beharrt aber auf ihrem Kurs. Was steckt dahinter?

Schreiner: Es ist eine strategische Überlegung der Bundesregierung, dass durch die massive Verschärfung der Zumutbarkeitsregel ein neuer Niedriglohnsektor geöffnet wird. Dann ist es folgerichtig, die Menschen materiell so schlecht zu stellen, dass sie gezwungen sein werden, jede angebotene Arbeit anzunehmen - auch zu Armutslöhnen. Durch die Einführung von gesetzlichen Mindestlöhnen könnte ein neuer Niedriglohnsektor jedoch eingegrenzt werden.

SPIEGEL ONLINE: Werten Sie Oskar Lafontaines vehemente Kritik als parteischädigendes Verhalten?

Schreiner: In der Sache selbst auf eine Kurskorrektur der neoliberalen Politik der Bundesregierung zu drängen, mache ich doch selbst seit eineinhalb Jahren. Ich sehe nicht, inwieweit das parteischädigend sein soll. Eine deutliche Mehrheit in der Bevölkerung und auch in der SPD teilt doch die Positionen, die ich oder Lafontaine vertreten. Doch je höher die Hierarchien, umso schwächer wird die Unterstützung. Ich konzentriere mich auf die Chance, die Kursänderung doch noch hinzubekommen.

SPIEGEL ONLINE: Wollen Sie dafür als Sprecher auf Anti-Hartz-Demonstrationen auftreten?

Schreiner: Wenn ich aufgefordert werden würde: Sofort. Ich habe im April in Berlin vor 500.000 Demonstranten geredet und das war auch richtig.

SPIEGEL ONLINE: Ist der Name USPD eigentlich geschützt?

Schreiner: (lacht) Ich bin zwar Jurist, aber kein Parteienjurist. Außerdem ist mein Jurastudium verjährt - bei dieser Frage mache ich also Verjährung geltend.

Das Interview führte Lars Langenau

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