

Kommentar zur US-Außenpolitik Amerikas gefährliches Zaudern


US-Präsident Obama im Mai an der US-Militärakademie: Der Irak zwingt zum Handeln
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US-Präsident Obama im Mai an der US-Militärakademie: Der Irak zwingt zum Handeln
Foto: AP/dpaBerlin - Die Dschihadisten der Terrorgruppe Isis verbreiten ein Regime des Schreckens. Jetzt marschieren die Kämpfer des "Islamischen Staat im Irak und in Syrien" auf Bagdad zu - und auf der anderen Seite der Welt bewegt viele Amerikaner eine Frage: Müssen wir wieder dorthin zurück, vielleicht sogar mit Bodentruppen?
Barack Obama gibt auf diese Frage bislang nur halbherzige Antworten. Gerade mal 275 Soldaten werden entsandt, eine Spezialeinheit zum Schutz der US-Botschaft und amerikanischer Staatsbürger im Irak.
Der Präsident duckt sich weg. Wieder einmal. Er redet, handelt aber nicht. Den Einsatz von Bodentruppen hat er vorerst ausgeschlossen, will sich weitere militärische Optionen offenhalten. Luftangriffe und der Einsatz von Drohnen sind im Gespräch.
Aber klare Entscheidungen? Bislang Fehlanzeige.
Amerika vollzieht unter Obama einen historischen Kurswechsel in der Außenpolitik. Es will kein Weltpolizist mehr sein, legt sich Zurückhaltung auf. Das ist per se nicht schlecht. Man kann es gut verstehen, nach all den Toten im Irak. Doch es gibt ein Problem, das so einfach nicht von der Hand zu weisen ist: Nach den militärisch-politischen Auswüchsen der Bush-Administration droht Amerika jetzt in das andere Extrem zu fallen. Will Amerika künftig selbst da die Hilfe verweigern, wo sie geboten wäre? Klar ist: Die USA haben seit dem Irakkrieg eine besondere Verantwortung für das Land. Obama kann also nicht so tun, als gehe ihn das alles nichts an.
Obama hofft, dass ihm eine Entscheidung erspart bleibt. Er setzt offenbar auf den Faktor Zeit, auf den Erfolg der irakischen Regierungstruppen - und er will den irakisch-schiitischen Ministerpräsidenten Nuri al-Maliki zu einer Korrektur seiner Politik bewegen. Denn die grenzt seit Jahren die Sunniten massiv aus und hat so Isis indirekt Kämpfer zugetrieben.
Obamas Abwarten ist riskant: Schafft es die Isis-Miliz, das schiitische Kernland um Bagdad zu erobern, würde Obamas Truppenabzug im Nachhinein in einer totalen Niederlage enden. Isis versucht, einen radikal-islamischen Staat im Irak zu errichten, der als riesiges Ausbildungslager für internationale Terroristen fungieren könnte.
Und da will Amerika tatenlos zuschauen?
Obamas Politik der militärischen Zurückhaltung zwingt ihn nun womöglich sogar, den Kontakt mit Iran zu suchen. Die schiitische Führung in Teheran hat sich abseits der schleppenden Atomverhandlungen in Genf clever wieder ins internationale Spiel gebracht und Maliki Hilfe im Kampf gegen Isis angeboten. So könnte Iran doch noch eine ordnungspolitische Regionalmacht werden - mit ausdrücklicher Duldung Washingtons. Es wäre eine erstaunliche Wendung.
Im Irak zeigt sich Obamas Dilemma: Außenpolitisch handelt er oft nur mit dem Blick auf die US-Innenpolitik, wirkt dabei erschreckend passiv und unschlüssig. "Ihr habt den Job erledigt", sagte er vor fünf Jahren vor seinen Soldaten, als er den Abzug aus dem Irak ankündigte.
Von wegen. Erledigt ist dieser Job noch lange nicht.
Mit über 85 Prozent der Muslime weltweit bilden die Sunniten die größte Gruppe im Islam. Der Name der Glaubensrichtung leitet sich vom arabischen Wort "Sunna" ab, das im religiösen Zusammenhang die "Handlungsweisen des Propheten Mohammed" bedeutet. Zusätzlich zum Koran orientieren sich Sunniten anders als die Schiiten an der Sunna als einer zweiten Quelle des islamischen Rechts. Die Rebellen im Irak gehören der Glaubensrichtung der Sunniten an.
In den Augen der Schiiten haben nur Ali, der Vetter und Schwiegersohn des Propheten Mohammed, und dessen Nachkommen ein Anrecht auf die politische Führung aller Muslime. Zwar unterscheiden sich die Schiiten in der religiösen Praxis kaum von den Sunniten. Doch durch die historische Entwicklung beider Glaubensrichtungen trennen heute tiefe politische Gräben das sunnitische und das schiitische Lager. Im Irak sowie in Iran und dem Libanon stellen die Schiiten die größte Konfessionsgruppe. Auch der irakische Ministerpräsident Nuri al-Maliki ist Schiit.
Alawiten sehen ihre Glaubensgemeinschaft als Abspaltung des schiitischen Islam. Auch sie verehren Ali, den Vetter des Propheten, und seine Nachfolger. Im Unterschied zu den Schiiten hat Ali bei Alawiten aber sogar einen gottähnlichen Status. Anhänger der alawitischen Glaubensrichtung leben vor allem in Syrien. Der syrische Diktator Assad ist Alawit. Es gibt auch Alawiten im Südosten der Türkei und im Libanon.
Die Volksgruppe der Kurden stammt aus einem Siedlungsgebiet in Vorderasien, das sich auf die Gebiete der Türkei, des Irak, Irans und Syriens verteilt. Jahrhundertelang war die Region Teil des Osmanischen Reiches. Nicht alle Kurden gehören derselben Glaubensrichtung an. Viele sind Sunniten. Manche sind Aleviten, deren islamische Glaubensrichtung derjenigen der Alawiten ähnelt. Eine kurdische Einheitssprache gibt es nicht, dagegen viele unterschiedliche Dialekte. Im Nordirak hat sich seit dem letzten Golfkrieg ein Kurdenstaat gebildet, der seine Unabhängigkeit fordert.
Die Jesiden leben vor allem in der Gegend um die nordirakische Stadt Mossul. Schätzungsweise gibt es zwischen 300.000 und 1,2 Millionen Anhänger, von denen viele wegen Verfolgung und Diskriminierung ins Ausland geflohen sind. Ihre monotheistische Religion enthält Elemente des Christentums, des Islam und des Zoroastrismus. Neben Gott verehren sie sieben Engel. Der wichtigste heißt Malak Taus, der "Pfauenengel". Die Jesiden verneinen die Existenz des Teufels. Ihnen ist es verboten, außerhalb der Gemeinschaft zu heiraten oder einen anderen Glauben anzunehmen. Ihre wichtigste Pilgerstätte liegt in Lalisch, einem abgelegenen Tal im Norden des Irak. Dort befindet sich das Grab von Scheich Adi, der im 12. Jahrhundert starb und den die Jesiden als Heiligen verehren.
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Terroristen mit reichlich finanziellem Spielraum: Isis (Islamischer Staat im Irak und in Syrien) haben in den vergangenen Tagen nicht nur große Gebiete im Irak in ihre Gewalt gebracht - sondern auch erhebliche Geldsummen sowie Sachwerte erbeutet.
Allein in der vergangenen Woche sollen den Islamisten in Mossul und Umgebung Geld, Gold und andere Vermögenswerte in Höhe von einer Milliarde Euro in die Hände gefallen sein. Hier ein Bild von einem Propagandavideo der Dschihadisten vom 8. Juni.
Kämpfer von Isis im Nordirak: Im Durcheinander Syriens und des westlichen Irak hat es Isis geschafft, ein beeindruckendes Handelsimperium aufzubauen.
Propaganda-Foto aus dem Internet: Im Nordosten Syriens besitzt die Gruppe unter anderem Ölfelder und will nun offenbar auch Raffinerien im Irak unter ihre Kontrolle bringen. Die Radikalen verkaufen über Pipelines Erdgas und Erdöl an das syrische Regime.
Ebenfalls eine lukrative Einnahmequelle: Die Islamisten entführt am liebsten Entwicklungshelfer, Journalisten oder Geschäftsleute aus dem Westen - denn die bringen das meiste Geld. Nach monatelanger Geiselhaft kamen in diesem Jahr eine Gruppe Franzosen und eine aus Spaniern frei. Französischen und spanischen Medienberichten zufolge flossen jedes Mal mehrere Millionen Euro.
Fluchtwelle: Wer kann, verlässt die von Isis eroberten Gebiete. Zehntausende haben deshalb ihre Heimat verlassen.
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