
Iran, Israel und die Atombombe Grass hatte recht


Günter Grass
Foto: CHRISTIAN CHARISIUS/ REUTERSHätte man doch auf Günter Grass gehört. Sie erinnern sich - das war der deutsche Schriftsteller, der vor allem für zwei Texte berühmt ist: Der eine ist sehr lang und verhalf ihm am Ende zum Literaturnobelpreis, der Roman "Die Blechtrommel"; der andere ist sehr kurz, und weite Teile der deutschen Öffentlichkeit hätten dem alten Grass dafür seinen Preis am liebsten wieder abgenommen: "Was gesagt werden muss". Das Gedicht erschien am 4. April 2012 in drei europäischen Tageszeitungen. Grass hatte da ein paar ziemlich wirre Sachen geschrieben. Unter anderem diesen Satz, für den seine arme Seele nun einige Extrarunden im Höllenzirkel für Antisemitismus drehen muss: "Die Atommacht Israel gefährdet den ohnehin brüchigen Weltfrieden."
Weltfrieden? Welcher Weltfrieden?
Das war natürlich Unsinn. Es gab auch im Frühjahr 2012 keinen Weltfrieden, der hätte gefährdet werden können. Auf der Welt herrscht dauernd irgendwo Krieg. Und das bisschen Frieden wurde durch Israel auch nicht mehr gefährdet als durch, sagen wir, die USA, Russland, Iran, Saudi-Arabien oder andere Länder.
Der Anlass für das kurze Pamphlet war, dass der Premierminister Benjamin "Bibi" Netanyahu die Angst vor einer iranischen Atombombe schürte. Das gipfelte im September in Bibis Auftritt vor der Uno-Vollversammlung, wo er den verdutzten Delegierten ein Bomben-Poster unter die Nase rieb. Ein Chruschtschow-reifer Auftritt.
Aber Netanyahu hat sich mit seiner Sicht der Dinge durchgesetzt. Das ist übrigens der größte Erfolg, den ein Politiker haben kann: dass er die äußere Welt seiner inneren anpasst. Auf "welt.de" schrieb der Journalist Gil Yaron: "In einer Rede, die in vielen Passagen so klang, als habe man sie von Ansprachen israelischer Diplomaten abgeschrieben, kündigte Trump das Atomabkommen mit dem Iran auf."

Donald Trump
Foto: Carolyn Kaster/ dpaNiemand hat sich über Trumps Entscheidung mehr gefreut als alle Hardliner, wo immer sie sitzen. Ahmad Khatami zum Beispiel, der in Teheran die Freitagsgebete sprechen darf und der ein konservativer Eisenfresser aus dem Bilderbuch ist - wenn er nicht zufälligerweise Mullah wäre und auf der anderen Seite stünde, wären er und Trump und Netanyahu wahrscheinlich beste Freunde. Khatami hat gleich die Gelegenheit genutzt und seinen Fantasien von einer iranischen Bombardierung Tel Avivs und Haifas freien Lauf gelassen.
Aber es gibt auch im amerikanisch-israelischen Zusammenhang ein paar Leute, die sind nicht so ganz ohne. Der Spielcasino-Milliardär Sheldon Adelson zum Beispiel, der einst ein sehr guter Freund von Benjamin Netanyahu war und ein großer Unterstützer von Donald Trump, hat einmal in einer Diskussionsrunde gesagt, wie er sich die amerikanische Iran-Politik vorstellt: "Sie nehmen Ihr Handy und rufen irgendwo in Nebraska an und sagen: Ok, schick sie los. Und dann ist da diese Atomwaffe, diese Rakete, die irgendwo in der Mitte der Wüste hochgeht, da wird kein Mensch verletzt - und dann sagen Sie: Seht ihr, die nächste geht in die Mitte von Teheran. Wir meinen es ernst. Ihr wollt ausgelöscht werden? OK, macht weiter auf hart!"
Und Benjamin Netanyahu ist ohnehin der Meinung, man solle die Auseinandersetzung mit Iran "besser jetzt als später" suchen - aber das sagt er seit Jahren.
Solche Leute leben in der Logik des Konflikts. Da drüben steht der Feind, und der Feind muss vernichtet werden. Und zwar erstens, weil man sich verteidigen muss. Zweitens, weil man im Recht ist. Und drittens, weil es eben der Feind ist. Und wer das alles nicht versteht, der ist auch der Feind. Der Satz "Alle Menschen wollen Frieden" stimmt einfach nicht. Ziemlich viele Menschen können mit dem Frieden gar nicht viel anfangen.
Atombomben für alle
Nachdem Donald Trump das Iran-Abkommen gekündigt hat, könnten die Iraner am Ende ihre nuklearen Aktivitäten wieder ausbauen. Für diesen Fall haben die Saudis bereits angekündigt, dass sie auch Atomwaffen haben wollen.
Der Nahe Osten ist eine so wirre Region, dass es möglicherweise eine gute Idee ist, wenn sich alle Länder dort atomar bewaffnen. Das klingt absurd. Aber es gibt keinen absurden Gedanken, der nicht auch einen Funken Wahrheit birgt. Der berühmte amerikanische Politikwissenschaftler Kenneth Waltz beispielsweise hatte 2012 im Magazin "Foreign Affairs" einen Artikel veröffentlicht, der die Überschrift trug: "Why Iran should get the bomb." Waltz fand, die Iraner sollten ruhig ihre Bombe bauen, dadurch sei der Stabilität im Nahen Osten am besten gedient: "Macht will ausgeglichen werden. Überraschend ist nur, dass es im israelischen Fall so lange gedauert hat, bis ein potenzielles Gegengewicht aufgekommen ist."
Im Ost-West-Konflikt hat dieses System der wechselseitigen Abschreckung ganz gut funktioniert. Aber im Nahen Osten, heißt es, könne das nicht funktionieren, weil die Iraner total verrückt seien. Man könne mit ihnen nicht verhandeln. Gut, Barack Obama konnte es, und die Iraner haben sich sogar - jedenfalls sagt das die Atomenergiebehörde - an ihren Teil der Verabredung gehalten, während die Amerikaner jetzt ... Aber egal, sie sind jedenfalls total verrückt, die Iraner. Im Ernst, so geht die Logik im Nahen Osten.
Da wäre es doch besser gewesen, man hätte auf Grass gehört. Der hatte nämlich gefordert - das darf man als Großschriftsteller - "dass eine unbehinderte und permanente Kontrolle des israelischen atomaren Potentials und der iranischen Atomanlagen durch eine internationale Instanz von den Regierungen beider Länder zugelassen wird." Die Forderung war klug: internationale Kontrolle, an deren Ende eine Denuklearisierung der ganzen Region stehen könnte - das wäre für alle Menschen im Nahen Osten eine große Erleichterung, insbesondere für die Israelis.
Die Forderung war sogar so klug, dass sie sofort unterging und niemand sie ernsthaft diskutiert hat.