Absage an US-Mission "Sentinel" Das Ende der Transatlantiker

Kanzlerin Merkel, US-Präsident Trump (im Juni im englischen Portsmouth): Die Entfremdung schreitet voran
Foto: Shealah Craighead/ UPI Photo/ imago imagesKonfliktfrei ist es selten zugegangen in den vergangenen Jahren zwischen Berlin und Washington. Und zwar lange, bevor Donald Trump ins Weiße Haus einzog.
Zur Erinnerung: Die sogenannte NSA-Affäre, bei der massenweise deutsche Bürger und offenbar sogar das Handy von Kanzlerin Angela Merkel abgehört wurden, kam während der Amtszeit von Barack Obama ans Licht. Der damalige US-Präsident wollte auch das Handelsabkommen TTIP, die Bundesregierung am Ende nicht. Obamas harten Kurs gegenüber Russland lehnte Berlin ebenfalls ab.
Die deutschen Amerika-Freunde haben dann stets geächzt und gejammert - besonders laut, als Gerhard Schröder und seine rot-grüne Regierung Obamas Vorgänger George W. Bush 2003 die Unterstützung im Irakkrieg verweigerten. Angela Merkel, seinerzeit Oppositionsführerin, schrieb sogar einen Beitrag in der "Washington Post", in der die CDU-Politikerin Schröder und seinen deutschen Sonderweg kritisierte.
Für überzeugte Transatlantiker war klar: An der Seite des größten Verbündeten kann sich Deutschland Militäraktionen nicht verweigern.
Umso bemerkenswerter ist, was dieser Tage zu beobachten ist. Selbst die standhaftesten Anhänger der Achse Washington-Berlin bemühen in der Iran-Debatte das gegenteilige Argument: Weil Großbritannien sich wegen einer Militärmission zum Schutz der Seestraße von Hormus an die Trump-Regierung gewandt hat und nun eine US-geführte Operation namens "Sentinel" geplant ist, lehnen sie eine deutsche Beteiligung ab oder stehen ihr zumindest kritisch gegenüber.
"Die Ursache der US-Mission ist der Ausstieg Washingtons aus dem Vertrag mit Iran - alleine deshalb wäre es falsch, bei 'Sentinel' mitzumachen", sagte Roderich Kiesewetter, CDU-Obmann im Auswärtigen Ausschuss des Bundestags, Oberst a. D. und früher im Nato-Hauptquartier tätig, dem SPIEGEL.
Der führende CDU-Außenpolitiker Norbert Röttgen sagte im ZDF: "Zu kurz gedacht wäre es zu sagen, wir springen mal auf eine amerikanische Mission auf." Der CDU-Bundestagsabgeordnete Peter Beyer, offizieller Transatlantikkoordinator der Bundesregierung, warnte in der "Welt" mit Blick auf "Sentinel", es bestehe "auch ein sehr konkretes Risiko, sich in eine Eskalationsspirale an der Straße von Hormus in militärische Aktionen reinziehen zu lassen, und das ist nicht unser Interesse".
Und Ex-Außenminister Sigmar Gabriel stellte in der "Augsburger Allgemeinen" klar: "Würde sich Deutschland oder gar die EU an einer Militärmission unter Führung der USA entscheiden, würden wir die Politik der USA in der Region nachträglich unterstützen und rechtfertigen." Der SPD-Politiker ist qua Amt einer der obersten Transatlantiker der Republik: Er wurde erst kürzlich zum Vorsitzenden der Atlantik-Brücke gewählt.
Europäische Mission statt US-Führung
Die Bundesregierung verweigert die Beteiligung an der US-geführten Operation, zeigt sich aber offen für eine EU-Mission. Dafür werben auch Röttgen, Gabriel und Kiesewetter. "Die Beteiligung Deutschlands an einer europäischen Mission halte ich für richtig - da sollten weiterhin alle Möglichkeiten sondiert werden, und Deutschland sollte aktiv für eine europäische Beobachtermission im Golf zu See und in der Luft werben", sagt Kiesewetter.
Es zeigt sich, dass US-Präsident Trump die deutsche Außenpolitik stärker beeinflusst als jeder seiner Vorgänger. CDU-Mann Kiesewetter wirft Trump vor, "kein Interesse mehr an einer regelbasierten internationalen Ordnung" zu haben. Daraus folgt eine radikale Neuorientierung deutscher Außenpolitik, vergleichbar mit der Ostpolitik Willy Brandts oder der Entscheidung der damaligen rot-grünen Bundesregierung, im Kosovokrieg erstmals seit Ende des Zweiten Weltkriegs deutsche Soldaten zu einem Kampfeinsatz ins Ausland zu schicken.
Die Entfremdung zwischen Berlin und Washington hat nicht erst unter Trump eingesetzt. Der Emanzipationsprozess der deutschen Politik vom mächtigsten Partner begann mit der Weigerung Schröders, den Irakkrieg zu unterstützen. Doch damals lautete die Devise: Wir machen nicht mehr alles mit, was ihr verlangt. Heute heißt es: Wir machen nur mit, wenn ihr nicht dabei seid.
Schlecht gerüstet für den Schwenk
Das Problem: Die Bundesregierung ist für diesen fundamentalen Paradigmenwechsel schlecht gerüstet. Dass freie Handelswege zu den vitalen deutschen Interessen gehören, ist in Union und SPD unbestritten. Dass die Deutschen allein nicht die Macht und Stärke haben, diese auch durchzusetzen, ebenfalls.
Aber wenn die USA als Partner ausscheiden, mit wem soll es dann gehen?
Die Briten kommen derzeit nicht infrage, weil sie ihre Politik - erst recht unter dem neuen Premier Boris Johnson - auf Washington ausrichten. Die Franzosen wiederum trauen den Deutschen nicht den ausreichenden politischen Willen zu, gemeinsam für die europäischen Interessen einzutreten, notfalls auch militärisch.
Tatsächlich ist weder bei Union noch SPD derzeit klar, zu welchem Vorgehen sie bereit wären. Würde Berlin eine rein europäische Mission wirklich militärisch unterstützen? Kanzlerin Merkel schweigt. Außenminister Heiko Maas (SPD) hat bei einem Auftritt im Auswärtigen Ausschuss den Eindruck hinterlassen, er wisse es selbst nicht so genau. Die neue Verteidigungsministerin und CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer will immerhin nichts ausschließen.
Klar ist nur: Bei "Sentinel" ist Deutschland nicht dabei.