Terrormiliz Der Kaninchen-Killer vom "Islamischen Staat"

Nadim Balousch: Tötete in Videos Kaninchen mit Chemikalien
Foto: youtube.com/VexZeenIn seinem Buch "Die schwarze Macht" zeichnet SPIEGEL-Reporter Christoph Reuter den präzise geplanten Aufstieg der Dschihadisten nach und stößt zu den Wurzeln des Terrors vor - im zerfallenen Irak, im syrischen Bürgerkrieg, in den vielen Konflikten der Region, die die Strategen des Terrors geschickt für ihre Zwecke zu nutzen wissen.
Reuter ist es gelungen, Organigramme und Angriffspläne des IS aufzuspüren. Die Papiere erlauben einen ungekannten Einblick in die innerste Führung des "Islamischen Staates" (IS), verraten Details über den Aufbau und die Taktik der Terrororganisation.
- Mehr über den Inhalt der Geheimpapiere, Tarnung und Taktik des IS, lesen Sie hier
- Ein Porträt des IS-Strategen Haji Bakr, dem Autoren des Plans, finden Sie hier
- Wie DER SPIEGEL in den Besitz der brisanten Papiere geriet, schildert Autor Christoph Reuter in einem Recherchebericht
Lesen Sie hier einen Auszug aus dem Unterkapitel "Der Kaninchen-Killer":
Der Mann im sonnendurchglühten Innenhof seines vorläufigen Quartiers wollte eigentlich über etwas ganz anderes reden als über Nadim Balousch. Brigadegeneral Nabil Dandal, einst Chef der "politischen Sicherheit" im syrischen Lattakiya, hatte ein knappes Jahrzehnt zuvor den SPIEGEL-Rechercheur Abdulkader al-Dhoun als jungen Studenten wegen einiger Artikel über Korruption verhaftet. Nun fanden sie sich beide auf der Seite der Opposition wieder: Dandal war zu den Rebellen übergelaufen und in die Türkei gegangen, al-Dhoun ebenfalls dorthin geflohen. Und wir wollten wissen, was Dandal heute zu der damaligen Verhaftung al-Dhouns sagen würde.
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"Wir hatten Informationen über eine Terrorgruppe in Lattakiya, wollten die festsetzen. Aber kaum hatten wir die Ersten von denen verhaftet, wurden wir zurückgepfiffen: Die waren vom Militärgeheimdienst geschaffen worden. Mittelsmann war ein offiziell ausgeschiedener Oberst. Wir mussten alle laufen lassen, sie gingen dann in die Berge. Ihr Anführer war Nadim Balousch, der war noch sehr jung damals."
Unverhofft hatte Dandal das früheste Puzzlestück geliefert zur Biographie der schillerndsten Gestalt aus Syriens Radikalenszene, zum erfolgreichsten Agent provocateur des syrischen Militärgeheimdienstes, der sich innerhalb eines Jahrzehnts drei Mal als außerordentlich nützlich erwies: 2003, mit Anfang 20, sollte er eine Islamistenzelle aufbauen.
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Nach seiner Haft tauchte Balousch zunächst einmal ab und dann plötzlich wieder auf, in einer für den radikalsten Gotteskämpfer ungewöhnlichen Rolle: als Betreiber des Dessous-Geschäfts "Cremat" in Lattakiya, jener Hafenstadt im Norden, wo seine vermeintliche Dschihadistenkarriere Jahre zuvor ihren Anfang genommen hatte. Wobei er außer Unterwäsche in seinem Laden auch eingeschmuggeltes Sexspielzeug verkauft habe, behaupten Zeugen aus Lattakiya, die den Laden aber nie betreten haben wollen. Eine Weile blieb es still um Balousch. Doch dann wurde er im Frühsommer 2011 auf den ersten Demonstrationen gegen das Assad-Regime in Lattakiya gesehen. Auch wenn seine Doppelrolle im Gefängnis Saidnaya nicht verborgen geblieben war und sich rasch herumsprach, schien ihn das nicht zu stören. Manche sahen ihn auf Demonstrationen mit einer Pistole in der Hand, andere fanden Ende 2011 ein Bild von ihm auf Facebook, wie er auf einem Pick-up mit aufmontiertem Maschinengewehr posierte. Verhaftet wurde er nicht. Es war absurd, aber ging vorerst unter im allgemeinen Aufruhr.
Video: SPIEGEL-Reporter Reuter über seine Recherchen
Die dritte Verwandlung des Nadim Balousch begann. Ein Freund aus Jugendtagen, der mit ihm Ende der neunziger Jahre davon geschwärmt hatte, nach Afghanistan zu gehen "zu Osama Bin Laden", war Islamgelehrter geworden. "Scheich Chalid", wie er sich nannte, versuchte, in jenen Anfangsmonaten des syrischen Aufstands im Sommer 2011 zu vermitteln zwischen den friedlichen Demonstranten und dem Regime. Bei einem solchen Vermittlungstreffen in Lattakiya mit dem einflussreichen, Assad-treuen Geschäftsmann Ayman Jabr traf er Nadim Balousch wieder. "Er war einfach gekommen als einer der Wortführer der Demonstranten, obwohl ihn niemand geschickt hatte", erzählte im Sommer 2013. "Er klang rabiat, und Jabr war kurz davor, ihn verhaften zu lassen. Dann stand er auf und forderte Jabr auf, mit ihm ein paar Meter vom Tisch wegzugehen." Er telefonierte, Scheich Chalid verstand die Worte "Lass ihn! Er gehört zu uns", und Jabr erkannte die Stimme: Es war Asif Schaukat selbst, der Chef des Militärgeheimdienstes. "Wir verstanden nicht, welchen Sinn diese Aktion hatte", wunderte sich Scheich Chalid, "aber offenbar liebte Balousch solche Momente: mächtige Leute wie Jabr jählings zu überraschen, einzuschüchtern und erbleichen zu lassen."
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Balousch widmete sich, nach einigen Videos, die ihn an Straßensperren und im Feld zeigten, dem virtuellen Aufbau seiner "Chemischen Brigade kalter Wind". In den berühmt gewordenen Videos prangte dieser etwas abstruse Name der Organisation auf einem aufwändig gedruckten Farbposter. Auch der Vermummte mit Gasmaske, der in den Filmen zu sehen war, wiederholte ihn immer wieder. Zu dschihadistischen Gesängen und nervöser Kameraführung goss der Gasmasken-Mann eine Chemikalie in ein Terrarium mit zwei furchtsam dreinschauenden Kaninchen, die wenige Minuten später zuckend verendeten. "Alawiten, ihr Feinde Gottes! Das ist, was euch geschehen wird, so Gott will!", sagte der Sprecher. "Ihr Assad-Unterstützer, seht ihr? Das wird euch geschehen! Allahu akbar!"

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Es gab eine ganze Reihe solcher Kaninchenkiller-Videos von Balouschs "Chemischer Brigade kalter Wind", gedreht stets vor einer Batterie türkischer Chemikalien, bei denen es sich allerdings um so wenig dramatische Stoffe wie Kaliumpermanganat (Oxidationsmittel), Nagellackentferner, Natriumnitrit und Kaliumnitrat (beide vor allem eingesetzt als Konservierungsstoffe für Lebensmittel) handelte, die frei erhältlich sind. Es waren diese Videos, die rasch ihren Weg ins syrische, russische und iranische Fernsehen fanden und die Präsident Baschar al-Assad gern Besuchern und Delegationen zeigte als Beleg dafür, dass seine Regierung nicht etwa legitime Proteste niederschlug, sondern gegen Terroristen kämpfe. Jähe Popularität erlangten die Filme allerdings erst im August 2013.
Just nach der groß angelegten Giftgasattacke mit Sarin auf mehrere Vorstädte von Damaskus, tauchten die recycelten Videos mit Balousch abermals auf als vermeintlicher Beleg, dass die Rebellen selbst Chemiewaffen einsetzten. Nun allerdings wurden die Angriffe einer neuen Gruppe namens "Riyadh al-Abdeen" zugeschrieben. Balousch reicherte die Kaninchenszenen für diese Zwecke noch dramatisch an: "Wir werden tun, was unser Scheich Osama Bin Laden gesagt hat: Wir müssen die strafen, die uns strafen, wir müssen ihre Männer, Frauen und Kinder töten. Und ich wiederhole es nochmal, wir müssen ihre Frauen und Kinder töten - bis sie aufhören, unsere Frauen und Kinder zu töten. (…) Wir werden sie in ihren Häusern angreifen, ihren Tag zur Nacht und ihre Nacht zum Tag machen!" Schlagartig verbreiteten sich die Bilder und Zitate nun im Netz, avancierten zum "Beweis" für die Chemieangriffe der Rebellen - und lieferten ein Paradebeispiel für den Irrsinn der Netzwelt, in der Balouschs angeblicher Terrortruppe immer neue Details angedichtet wurden: Sie sei ein al-Qaida-Ableger, finanziert von der britischen Regierung, überdies unterstützt von "Obamas Weißem Haus" und sowieso irgendwie gesteuert vom "zionistischen Regime" in Jerusalem. Dass es sich bei Balousch um einen "zionistischen Agenten" handele, lasse sich schon daran erkennen, dass Bin Laden nie gesagt habe, man solle Frauen und Kinder umbringen. Dass Balousch selbst zum Zeitpunkt der Gas-Attacken im August 2013 schon längst nicht mehr in den Bergen oberhalb von Lattakiya war - örtliche Rebellen hatten ihn bereits im April des Jahres festgenommen -, störte dabei nicht.
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Balousch wurde an die örtliche Gruppe der Nusra-Front überstellt - und verschwand nach wenigen Tagen, entflohen, wie es hieß. In Wirklichkeit wurde er freigelassen von jenen in der Nusra-Front, die später bei ISIS wieder auftauchten: allen voran Abu Ayman al-Iraqi, dem ISIS-Spitzenkader, der damals für die Provinz Lattakiya und dort für die ersten Morde an anderen Rebellenkommandeuren verantwortlich war. Er war einer aus jener Vorhut, die schon 2012 aus dem Irak mit Abu Bakr al-Baghdadi und Haji Bakr gekommen war, um die Machtübernahme in Syrien strategisch vorzubereiten. Auch Nadim Balouschs verschlungene Wege führten ihn schließlich zum "Islamischen Staat": Seine letzten Lebenszeichen 2014 waren ein Treueschwur an Abu Bakr al-Baghdadi und einige Jubel-Tweets von seinem Twitter-Account. Hier hat er sich den nom de guerre "Abd al-Gharib", Diener des Fremden, zugelegt, eine beliebte Metapher aus frühislamischer Zeit, mit der man sich präsentiert als einer, der im Wissen um seinen göttlichen Auftrag gegen alle kämpfen und dabei allen fremd bleiben muss.

Christoph Reuter:
Die schwarze Macht
Der "Islamische Staat" und die Strategen des Terrors.
SPIEGEL-Buch; DVA; gebunden; 352 Seiten; 19,99 Euro.
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