Islam in Deutschland "Mädchen werden integrationsuntauglich gemacht"
SPIEGEL ONLINE: Herr Wallraff, Sie sitzen zusammen mit Ralph Giordano und der Vorsitzenden des Zentralrats der Ex-Muslime, Mina Ahadi, bei dem Auftakt zu einer "kritischen Islamkonferenz" auf einem Podium. Die zentrale Forderung: Das Kopftuchverbot an Schulen, auch für Schülerinnen. Ist das nicht ein unzulässiger Eingriff in die religiöse Freiheit?
Wallraff: Das Kopftuch hat mit religiöser Freiheit nichts zu tun. Ich habe großen Respekt vor den Ex-Muslimen, Menschen, die bedroht werden, in manchen islamischen Ländern sogar mit dem Tod, weil sie dem Islam abgeschworen haben.Muslime sind ja qua Geburt dazu verdammt, lebenslänglich dem Islam zwangsverpflichtet zu sein. Ich selbst bin allerdings nicht für ein generelles Verbot des Kopftuchs im Unterricht für Schülerinnen. Ich habe mit Eltern, Mädchen und Lehrern gesprochen. Das Thema Kopftuch ist zu vielschichtig, als dass man das Problem auf diese Art lösen könnte.
SPIEGEL ONLINE: Inwiefern?
Wallraff: Einige Mädchen werden von ihren Eltern gezwungen, ein Kopftuch zu tragen - quasi als Unterdrückungssymbol. Und genau diese Mädchen werden dann auch davon abgehalten, an Klassenfahrten oder am Sportunterricht teilzunehmen. Diese Kinder und Jugendlichen werden dadurch in ihrer Entwicklung gehemmt und in eine Rolle gedrängt, die sie integrationsuntauglich macht.
SPIEGEL ONLINE: Was ist mit den jungen Frauen, die das Kopftuch gerne tragen?
Wallraff: Tatsächlich gibt es nicht selten Mädchen, die das Kopftuch sogar gegen den Willen ihrer Eltern tragen, weil es für sie eine Selbstfindung ist. Für manche ist das Kopftuch sogar eine Art Mode. Es gibt Mädchen, die ein schickes Kopftuch kombiniert mit sehr sexy Kleidung tragen - was natürlich überhaupt nicht im Sinne der Mullahs ist. Kopftuch ist nicht gleich Kopftuch. Ein staatliches Verbot würde immer auch die Falschen treffen.
SPIEGEL ONLINE: Wieso?
Wallraff: Damit würden wir wahrscheinlich nur viele provozieren, das Tuch aus reiner Protesthaltung zu tragen. Die Isolation würde befördert, manche Eltern würden ihre Kinder womöglich nicht weiter zur Schule schicken. Beim Thema Kopftuch fehlt es einfach an Aufklärung, an geschulten Lehrerinnen, die in die Familien gehen und das Problem von Fall zu Fall lösen.
SPIEGEL ONLINE: Es geht auch um sehr junge Mädchen, teilweise um Zehnjährige. Die Vorsitzende der Ex-Muslime, Mina Ahadi, sagt, das Kopftuch sei eine Form der Kindermisshandlung. Stimmen Sie mit dieser These überein?
Wallraff: Ja, wenn so junge Mädchen Kopftuch tragen müssen, wird es sehr bedenklich. Dahinter steckt eine bigotte Auslegung des Korans und die Überzeugung, dass das Mädchen für Männer einen sexuellen Reiz darstellt. Nach dieser Vorstellung sind alle Männer lüsterne, potentielle Kinderschänder. Das ist ein total kaputtes Selbstverständnis der Männer. Mir ist wichtig: Wir müssen offen über das Thema Kopftuch sprechen, auch mit den zuständigen Islamverbänden.
SPIEGEL ONLINE: Die Ex-Muslime haben die "kritische Islamkonferenz" ins Leben gerufen. Eine Islamkonferenz gibt es aber bereits unter der Leitung von Innenminister Schäuble. Unter den Teilnehmern sind auch zahlreiche Islamkritiker. Wieso diese Gegenkonfrenz?
Wallraff: Bei Schäubles Islamkonferenz sind kritische Muslime extrem unterrepräsentiert. Die Zusammensetzung des Podiums mit den Vertretern der Islamverbände ist ein Zerrbild der islamischen Community in Deutschland. Der deutsche Durchschnittmuslim ist viel liberaler als diese Hardliner.
SPIEGEL ONLINE: Sind Sie einer Meinung mit dem Schriftsteller Ralph Giordano, der sagt, der Islam sei schuld an den Integrationsproblemen in Deutschland?
Wallraff: Nein, da stimme ich nicht mit Ralph Giordano, den ich ansonsten sehr schätze, überein. Von allen Muslimen in Deutschland gehen vielleicht nur rund drei Prozent in die Moschee. Probleme mit der Integration haben wir nicht aufgrund des Islam. Tatsächlich gibt es aber im Umgang mit muslimischen Einrichtungen in Deutschland ein großes Problem.
SPIEGEL ONLINE: Was meinen Sie damit?
Wallraff: Sie bekommen im Vergleich zu säkularen Migrantenorganisationen wesentlich mehr Unterstützung. Moscheegemeinden in Deutschland werden nicht nur aus dem Ausland finanziert, aus der Türkei, aus Saudiarabien, sogar aus Iran - der deutsche Staat zahlt ihnen darüber hinaus Gelder unter der Sparte "Integrationsförderung". Stattdessen sollten die laizistischen Organisationen, Elternvereine, Träger von Kindergärten, zum Beispiel auch griechische, italienische und russische Gruppen, unterstützt werden.
SPIEGEL ONLINE: Woher haben Sie die Erkenntnis, dass die säkularen Gruppen weniger Geld bekommen?
Wallraff: Das sagen mir zum Beispiel liberale Vertreter der türkischen Aleviten, die keine Moscheegänger sind und auch in der Türkei so gut wie keine Förderung erfahren.
SPIEGEL ONLINE: Sie selbst haben im Sommer dem türkisch-muslimischen Verband Ditib in Köln vorgeschlagen, in einer Moschee aus Salman Rushdies "Satanischen Versen" zu lesen. Der Dialog-Beauftragte der Ditib, Bekir Alboga, lehnte ab. Warum eigentlich?
Wallraff: Das hat mich überrascht, denn erst hat er zustimmendes Interesse bekundet. Inzwischen sagt Alboga in Interviews Dinge wie: "Wallraff löst weltweit bei den Muslimen Bestürzung aus." Ich kann daraus nur folgern, dass in den muslimischen Verbänden wie der Ditib eine knallharte zentralistische Befehlsstruktur herrscht. Schließlich hat der aus der Türkei entsandte Botschaftsrat die Lesung verhindert, Alboga war weisungsgebunden. Ich habe den Eindruck: Wenn in dem Verband die Jüngeren das Sagen hätten und eine geheime Abstimmung stattgefunden hätte, hätte die Lesung der "Satanischen Verse" stattgefunden.
SPIEGEL ONLINE: Wollen Sie die Idee weiterverfolgen?
Wallraff: Ja, so schnell gebe ich nicht auf - trotz Drohungen gegen mich. Ich wurde wegen meines Vorschlags auf einer islamistischen Website als Islamfeind Nummer eins gehandelt. Ich finde einfach zuviel der Ehre, da haben sich andere doch viel mehr verdient gemacht. Ich spreche momentan mit einer anderen Moscheegemeinde über die Lesung der "Satanischen Verse" - und rechne damit, dass sie im nächsten Jahr stattfindet. Ich bin überzeugt: Es ist ein Beitrag zur Integration, wenn Muslime über das Buch diskutieren und auch ihre Vorbehalte in einer Diskussion zum Ausdruck bringen.
Das Interview führte Anna Reimann