
S.P.O.N. - Der Schwarze Kanal Das Muslim-Problem


AfD-Politikerinnen Storch (l.), Petry
Foto: PHILIPP GUELLAND/ AFPWohin will die AfD? Sie will zurück, darauf kann sich die Kommentarrepublik einigen. Nur die Frage, wie weit zurück sie will, ist offen.
In der "Zeit" konnte man vor ein paar Wochen lesen, der typische AfD-Anhänger sehne sich nach den Achtzigerjahren - das sei das Jahrzehnt, in dem er am liebsten leben würde. Auf SPIEGEL ONLINE stand, ein Blick in das Programm sei wie eine Zeitreise in die Sechziger. Die "Frankfurter Allgemeine" bestimmt in ihrem neuen Wochenmagazin die Fünfzigerjahre als ideellen Fluchtpunkt.
Auf dem Cover präsentierte das Blatt die AfD-Familie als Neuauflage der Familie Trapp: die Kinder in Tracht, die Wangen so rosig, als würden sie den ganzen Tag mit Sanddornsaft gefüttert; die Mutter mit frischgestärkter Schürze und Schokokuchen in der Hand; der Vater als fescher Naturbursche, das Jagdgewehr über der Schulter, den Dackel zu Füßen.
Das war als Warnung gemeint. Ich habe allerdings Zweifel, ob die Warnung verfängt. Der unbedingte Fortschrittsglaube ist in Deutschland weniger verbreitet, als man unter Kommentatoren meint. Viele Menschen blicken mit einem Gefühl der Sehnsucht nach hinten, unabhängig von der politischen Zugehörigkeit.
Nostalgie ist kein Vergehen
Was die Vergangenheitsfixierung angeht, kann es zum Beispiel keine Generation mit den in die Jahre gekommenen Achtundsechzigern aufnehmen, die bis heute davon überzeugt sind, dass erst mit ihnen das Land wahrhaft demokratisiert wurde. Die Idealgesellschaft der Grünen liegt noch weiter zurück, irgendwo in einer mythischen Zeit, als Mensch und Natur im Einklang waren, die Flüsse sauber und die Luft kristallklar, und man alles, was man zum Leben brauchte, aus regionalen Manufakturen bezog statt aus anonymen Großbetrieben.
Das Problem mit der AfD ist nicht die Rückwärtsgewandtheit. Nostalgie ist kein Vergehen. Es ist der reformerische Ansatz, der uns zu denken geben sollte. Man täuscht sich, wenn man glaubt, diese Partei habe keine Vorstellung von der Zukunft. Auch die AfD denkt nach vorne, auch sie will den Menschen in eine bessere Welt führen. Darin gleicht sie der revolutionären Vorgängerbewegung der Achtundsechziger, die zu überwinden sie sich vorgenommen hat.
Noch ist nur schemenhaft zu erkennen, wie diese Zukunft aussehen soll, aber in jedem Fall ist sie exklusiv. Der Muslim hat in ihr schon mal keinen Platz. Dass der Islam nicht zu Deutschland gehöre, ist die zentrale Botschaft, die vom Parteitag in Stuttgart ausgeht. Von hier leitet sich von nun alles Weitere ab.
Die führenden Leute bei der AfD verweisen darauf, sie meinten die Religion, nicht die Gläubigen. Da der Islam aber insgesamt als politische Ideologie verstanden wird, steht jeder unter Verdacht, der sich zu dieser Religion bekennt. In Deutschland sind das etwa fünf Millionen Menschen. Das ist eine gewaltige Zahl, die die Kühnheit des Unterfangens unterstreicht.
Die Leute glauben an die verrücktesten Dinge
Was die Ausführungsbestimmungen auf dem Weg zur islamfreien Gesellschaft angeht, sind wir auf Vermutungen angewiesen. In der Hinsicht hält man sich bei der AfD vorerst bedeckt. Von Deportationen will man absehen, immerhin. "Wir meinen nicht, alle Muslime auszuweisen", erklärte Beatrix von Storch in Stuttgart. Aber das kann sich ändern. Am Ende der gedanklichen Fluchtlinie jeder Reinheitsutopie liegt das Lager. Weil derjenige, der als unpassend identifiziert wurde, meist nicht von selber verschwindet, muss nachgeholfen werden, durch Schikane oder Aussonderung.
Der ehemalige Verfassungsrichter Dieter Grimm hat darauf aufmerksam gemacht, dass es auch das Christentum schwer hätte, wenn die Inhalte einer Religion mit dem Grundgesetz vereinbar sein müssten. Das Alte Testament enthält alle möglichen Ideen, die eindeutig grundgesetzwidrig sind. Die Verwüstung ganzer Städte und Völker als Strafe für das Fehlverhalten einzelner ist definitiv kein Rechtssystem, das modernen Ansprüchen genügt.
Die Leute glauben an die verrücktesten Dinge. Der Autor Gideon Böss hat gerade einen Führer mit dem Titel "Deutschland, deine Götter" veröffentlicht, für den er monatelang durch das religiöse Unterholz der Republik gestapft ist. Er hat Wicca-Hexen bei ihren Anrufungsritualen beobachtet, an Heilungskonferenzen teilgenommen und mit Menschen gebetet, die davon überzeugt sind, dass vor 73 Millionen Jahren eine Gottheit namens Xenu die Erdbewohner in Eiszapfen verwandelt hat, um sie dann ihrer Seelen zu berauben. Ich bin sicher, dass vieles von dem, was Böss zu hören bekommen hat, ebenfalls nicht mit dem Grundgesetz vereinbar ist.
Neben die Tugendapostel von links, die ständig neue Wege ersinnen, wie sie die Bürger vor falschen Geschlechter- und Rollenbildern schützen können, tritt nun der Tugendapostel von rechts. Seine Obsessionen sind anders gelagert. Er fürchtet nicht die Nacktheit an der falschen Stelle, sondern das unangemessene Kleidungsstück, das auf eine Gesinnung verweist, die er meint, nicht dulden zu dürfen. Eine Obsession bleibt es gleichwohl.
Wie viele Frauen in Deutschland tragen eine Burka? Niemand weiß es genau. Aber mutmaßlich ist die Zahl kleiner als die der Frauen, die gerne Handschellen tragen oder sich an den Bettpfosten fesseln lassen.
Zu einer freiheitlichen Gesellschaft gehört, dass Menschen ihr Herz ungestraft an Dinge hängen dürfen, über die man als aufgeklärter Mensch nur den Kopf schütteln kann. Religionsfreiheit bedeutet nicht nur die Freiheit, den Gott anzubeten, den man will. Religionsfreiheit schließt die Freiheit ein, an Dinge zu glauben, die jedem Verfassungsschützer die Haare zu Berge stehen lassen.
